Als die ISIS-Krieger auf die Millionenstadt Mossul vorrückten, säumten nicht nur Leichen, sondern auch Tweets, Online-Videos und Facebook-Postings ihren Weg. Terrorbotschaften, Bilder gefolterter und ermordeter Soldaten, mit den Köpfen Enthaupteter posierende Gotteskrieger – den irakischen Soldaten, die in Mossul stationiert waren, brandete aus den sozialen Medien eine Welle menschenverachtender Propaganda entgegen, die viele von ihnen dazu bewogen haben soll, zu desertieren.
Propaganda verängstigte Soldaten
Die Botschaft der ISIS-Truppen war klar: Wer sich den Terroristen in den Weg stellt, setzt sein Leben aufs Spiel. "Und es hat tatsächlich funktioniert. Viele Soldaten desertierten, als sie die schwarzen Banner der ISIS sahen", zitiert die britische Tageszeitung "The Guardian" einen ISIS-Sympathisanten namens Abu Bakr al-Janabi.
Die Gesichter der Terrororganisation könnten unterschiedlicher nicht sein: Auf der einen Seite eine radikal-islamistische Organisation, bestehend aus Dschihadisten mit einer Weltanschauung aus dem vorletzten Jahrtausend. Und auf der anderen Seite extrem geschickte Propaganda mit den hypermodernen Mitteln des Social Web.
Vor allem Twitter wird von den Terroristen für die Verbreitung ihrer Botschaften und das Anwerben neuer Kämpfer genutzt. Unter Hashtags wie "#ISIS" oder "#Alleyesonisis" spuckt der Kurznachrichtendienst propagandistische Bilder und Tweets aus. Klickt man sich durch die Botschaften, zeigen manche Tweets enthauptete Körper, Erschießungen und Leichenberge – wer solche Bilder nicht sehen will, sollte ISIS im Netz meiden. Hier einige der harmloseren Tweets:
We're from different race & nation, but we're one! United under one flag, one leader.. we're Muslimin! #AllEyesOnISIS pic.twitter.com/DYnYpzJxCA
— Aryza Arif Rakhman (@al_ghurabaa99) 20. Juni 2014
— Battar (@Battar1434) 19. Juni 2014
توزيع المساعدات على الأيتام وفقراء المسلمين #الدولة_الاسلامية_في_العراق_والشام pic.twitter.com/VUWSsYSJDc
— ولاية الرقة (@raqqaa) 19. Juni 2014
Eigene App für Twitter-Propaganda entwickelt
Erstaunlich: Die Terroristen haben sogar eine App entwickelt, um ihre Botschaften möglichst effektiv verbreiten zu können. Mitglieder und Sympathisanten der ISIS installieren sie am Handy und geben der Führung damit die Kontrolle über ihren eigenen Twitter-Account. In weiterer Folge kann die Organisation über Tausende Twitter-Konten gleichzeitig ihre Botschaften verschicken.
Zusätzlich unterhält die Organisation auf Twitter mehrere offizielle Konten und weitere Konten für bestimmte Regionen. Auch darüber verbreitet die Organisation ihren Terror, zusätzlich wird Twitter aber auch für die Koordination der eigenen Truppen genutzt. Manche Tweets enthalten Infos zu laufenden Operationen der Terrorgruppe.
Und teilweise stellen sich die ISIS-Truppen auch als Unterstützer der Zivilbevölkerung dar – etwa, wenn sie Essen verteilen oder bei der Ernte helfen. Ebenfalls verbreitet: Erklärungen von Islamisten aus anderen Ländern, die ihre Unterstützung der ISIS-Terroristen zum Ausdruck bringen.
Im Internet mächtiger als in der Realität?
Tatsächlich nutzt ISIS das Social Web so geschickt, dass manche Beobachter glauben, die gegen Bagdad vorrückenden Terroristen würden dadurch überschätzt. "Die Furcht, dass ISIS die Hauptstadt stürmt, ist aus ihrer Social-Media-Kampagne geboren, nicht aus der Realität", sagt der Nahost-Experte des "Guardian", Martin Chulov. "Sie haben nicht die militärische Stärke, um das zu tun."
Im Netz macht die Terrorgruppe allerdings alles, um diese militärische Stärke vorzutäuschen. Dabei schrecken die Dschihadisten auch nicht vor Bildmanipulationen zurück. "Es gibt eine Menge Leute bei ISIS, die gut mit Adobe-Programmen umgehen können. InDesign, Photoshop – alles Mögliche", verrät ISIS-Sympathisant al-Janabi.
Manche Sympathisanten der Terrorgruppe sollen über eine Grafiker-Ausbildung verfügen, andere haben sich die Nutzung der Programme selbst beigebracht. Die Twitter-App, mit der im Irak und in Syrien Botschaften über Tausende Accounts gleichzeitig verbreitet werden, soll etwa von Sympathisanten in Palästina stammen. Selbst professionelle Filmemacher sollen für die Terrororganisation arbeiten und mit Profi-Equipment Propagandastreifen drehen.
Durch diese Expertise hebe sich die ISIS von anderen Terrorgruppen ab, so der Journalist Aris Roussinos zur Zeitung. ISIS arbeite mit High-End-Equipment. "Und sie sind tatsächlich technisch sehr versiert bei der Benutzung - auf eine Art, die andere Rebellen nicht beherrschen. Sie sind auch wirklich gut in Photoshop."
Cyber-Propaganda sorgt für neue Kämpfer
Letzten Endes macht die ausgedehnte Propaganda im Netz die Terrororganisation auch in der Realität mächtiger. Aymenn Al-Tamimi, ein Nahostexperte aus den USA, warnt gegenüber der Zeitung, dass die große Online-Präsenz der Terroristen ihnen auch zu größerer Prominenz in der medialen Berichterstattung verhelfe.
Und mehr klassisch-mediale Präsenz führe ebenso wie die Präsenz im Netz dazu, dass die Organisation viele potenzielle neue Kämpfer erreiche. Die Online-Propaganda erfüllt also nicht nur den Zweck, Gegner einzuschüchtern, sondern lockt auch immer wieder neue Kämpfer zu den ISIS-Truppen.
ISIS ist beileibe nicht die einzige Terrorgruppe, die das Internet für ihre Zwecke nutzt. Verschiedenste Terrorgruppen in der gesamten Nahostregion setzen zur Verbreitung ihrer Parusra-Front in Syrien oder die Al-Kaida-nahe Ansar Beit al-Maqdis in Ägypten. Allerdings ist keine dieser Organisation so versiert im Umgang mit Online-Propaganda wie die ISIS-Islamisten.
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