Gerichtsurteil
Niederlande mitschuldig an 300 Srebrenica-Toten
Im Bosnien-Krieg hatten serbische Einheiten im Juli 1995 die UN-Schutzzone Potocari Srebrenica überrannt und rund 8.000 Muslime ermordet. Die niederländischen UN-Blauhelme hatten die Enklave den Serben unter Führung des Generals Ratko Mladic kampflos übergeben. Das Massaker ging als folgenschwerstes Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Geschichte ein und wurde als Völkermord eingestuft.
Die niederländische Justiz hatte dann nach jahrelangen Justizverfahren im September 2013 letztinstanzlich bestätigt, dass die mit dem Schutz der UN-Enklave im Osten Bosniens beauftragten niederländischen Einheiten durch ihr Verhalten drei Männer den Serben quasi ausgeliefert hatten (siehe Story in der Infobox). Die Hinterbliebenen bekamen daraufhin im April diesen Jahres jeweils 20.000 Euro Schadenersatz zugesprochen.
"Mütter von Srebrenica" klagten niederländischen Staat
Juristen schlossen nach dem Den Haager Urteil nicht aus, dass Klagen weiterer Srebrenica-Opfer folgen könnten - was auch geschah. Die Vereinigung der "Mütter von Srebrenica", in der Angehörige von Opfern des Massakers im Bosnien-Krieg zusammengeschlossen sind, klagte ebenfalls den niederländischen Staat.
In dem neuen zivilrechtlichen Verfahren kam das Gericht nun zu dem Schluss, dass der Staat für den Tod von mehr als 300 weiteren Muslimen in Srebrenica mitverantwortlich ist. "Das niederländische Bataillon hätte die Möglichkeit in Betracht ziehen müssen, dass diese Menschen Opfer eines Völkermordes würden." Es könne mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden, dass diese Menschen überlebt hätten, wenn man ihnen erlaubt hätte, in dem niederländischen Militärcamp zu bleiben, erklärte das Gericht.
Angehörige enttäuscht: "Wie ist dies möglich"
Familienangehörige von Opfern des Massakers zeigten sich nach dem Urteil am Mittwoch dennoch enttäuscht. "Wie ist dies möglich, dass die Niederlande für einige Menschen verantwortlich sind, nicht aber für die anderen", meinte Munira Subasic vom Verband "Mütter von Srebrenica und Zepa" in einer ersten Reaktion. Der Verband hatte in Den Haag eine auf 300 Seiten verfasste Anklage eingereicht. "Wir werden nicht nachlassen und wenn nötig bis nach Straßburg (zum Menschenrechtsgerichtshof) gehen", so Subasic.
Berufungsverfahren dürfte wieder Jahre in Anspruch nehmen
Wie der Anwalt des Verbandes, Semir Guzin, nach der Urteilsverkündung gegenüber bosnischen Medien erklärte, gab das Gericht der Klage nur für jene 300 Männer statt, die sich im UN-Stützpunkt Potocari befanden und die am 13. Juli von niederländischen UNO-Soldaten den bosnisch-serbischen Truppen ausgeliefert wurden. Guzin kündigte am Mittwoch an, Berufung gegen das Urteil einlegen zu wollen. Das Berufungsverfahren dürfte nach Meinung des Anwaltes etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen.
Weitreichende Folgen für künftige UN-Einsätze
In der niederländischen Gesellschaft hat das Entsetzen über die Rolle der Blauhelm-Soldaten tiefe Spuren hinterlassen. Der Staat weist dennoch alle Verantwortung für das Massaker zurück, unter anderem weil die Soldaten unter UN-Führung standen. Die nun erfolgten - und mögliche weitere - Urteile dürften neben der Verpflichtung des Staates zu Schadenersatzzahlungen auch weitreichende Folgen für künftige UN-Einsätze haben, weil sich Regierungen dabei mehr zurückhalten könnten.
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