Leistungsmäßig ist die KTM 1190 Adventure bei den Reiseenduros ganz vorne dabei. Ihre 150 PS und 125 Nm sind ideal für ambitioniertes Kurvensurfen und Überholen an der kroatischen Küste, ihr geringes Gewicht von nur 230 kg vollgetankt prädestiniert sie für das Winkelwerk auf der griechischen Pilionhalbinsel, ihre Handlichkeit macht es mir auf den Offroad-Wegen von Skiathos leicht und die Regelelektronik samt Kurven-ABS ist Gold wert auf den im Regen extrem schmierigen "Straßen" Albaniens. Dank elektronisch einstellbarem Fahrwerk ist der Wechsel zwischen solo/zu zweit/mit Gepäck Knopfdrucksache über das genial strukturierte Menü.
Gewichtsverteilung ist wesentlich
Als Leichtgewicht bin ich dennoch nicht unterwegs, inklusive Koffern dürfte die Zuladung rund 40 kg ausmachen (das ist insgesamt immer noch weniger, als eine unbeladene Honda Crosstourer auf die Waage bringt). Allein die Abus-Kette samt Schloss wiegt gefühlt Tonnen. Die Packrolle habe ich erst ganz hinten quer auf dem Soziussitz festgeschnallt. Schon auf der ersten Etappe nach Belgrad befestige ich sie aber längs und direkt hinter mir, sonst fängt die 1190 schon bei 160 zu pendeln an. Mit neuer Gepäckstrategie habe ich immerhin bis 180 Ruhe, darüber wird's kritisch. KTM erklärt das damit, dass die Koffer nur bis 160 km/h zugelassen sind.
Weil ich viel zu spät losgekommen bin, habe ich keine Zeit, mir am Abend etwas von Belgrad anzuschauen. Dafür fahre ich am nächsten Tag rauf an die Donau, um mir das "Eiserne Tor" anzuschauen, eine berühmte und wunderschöne Donauengstelle. Schöne Strecke den Fluss entlang, auf dem Weg dorthin teils abenteuerlicher Asphalt. Wie gut, dass die Adventure alles souverän wegsteckt. Den Rest macht die vorausschauende Fahrweise, denn bei manchen Schlaglöchern frage ich mich, wie viele Motorräder und Kleinwagen da wohl schon drin liegen. Runter Richtung Skopje herrliche Landschaft, gute Straßen (auch abseits der Autobahn) und rücksichtsvolle Autofahrer, wenn auch nicht ganz so zuvorkommend wie in Ungarn, das ich diesbezüglich als Musterland kennengelernt habe. Vor Radarfallen werde ich bisher verlässlich vom Gegenverkehr gewarnt.
Skopje als Beispiel für EU-Wahnsinn
Die makedonische Hauptstadt ist mein Etappenziel an Tag zwei, nach 700 Kilometern und insgesamt zehn Stunden. Monumentalbauten und teures, aber miserabel verlegtes Pflaster: 46 Bauprojekte als Millionengräber stehen hier dem Verfall der eigentlichen Stadt gegenüber. Man will in die EU. Wo das Geld wohl herkommt?
Eine Augenweide ist der Weg Richtung Griechenland: Die Autobahn verläuft streckenweise geteilt durch bewaldete Täler, zwei kurvige Spuren in eine Richtung. Mit Tempobegrenzung, aber ohne Kontrollen. Die Cent-Beträge, die an den Mautstellen fällig werden, sowie Sprit zahle ich mit Kreditkarte, Denar braucht man inzwischen nicht mehr.
Ein Hoch auf die Reifendruckkontrolle!
Nach einer Nacht im griechischen Volos (unbedingt hier tanken, der Sprit ist 20 Cent billiger als auf der Insel) bringt mich die Fähre nach Skiathos, eine der Sporadeninseln, auf der zwar der Film "Mamma Mia" gedreht wurde und die sogar einen Flughafen hat, die aber trotzdem nicht überlaufen ist. Hier überrollt mich dermaßen das Urlaubsfeeling, dass ich mich dazu hinreißen lasse, in kurzer Hose und T-Shirt sowie ohne Helm zu fahren. Was für ein Freiheitsgefühl – allerdings riskant (don't try this). Herrlich, den Fahrtwind auf der Haut und in den Haaren zu spüren – nur warum warnt mich das Display vor zu geringem Reifendruck? Kann nur ein Elektronikfehler sein, denke ich mir – bis die Reifendruckkontrolle am nächsten Morgen 0,3 bar anzeigt. Die Ursache: eine Schraube im Profil des Hinterrades. Immerhin schaffe ich es noch runter zur Tankstelle, um erst mal Luft nachzufüllen.
Einen neuen Reifen montieren ist ausgeschlossen, es muss dieser spezielle Conti sein, und bis der hier ankommt, bin ich in Pension. Zum Glück finde ich einen Motorrad-Service-Betrieb, dessen Chef, Giannis, mir verspricht, den Gummi am nächsten Tag zu flicken. Bis dahin erkunde ich die Insel on- und offroad (die KTM ist top zu balancieren) mit beschraubtem Reifen und verfolge den Luftfüllstand in Echtzeit am Favoriten-Display. Wird's mir zu wenig (ungefähr nach zwei Stunden, Tendenz sinkend), suche ich mir eine Tankstelle. Die Distanzen sind hier nicht so riesig, dafür die teils menschenleeren Strände umso schöner. "Karibik Griechenlands" sagt man nicht ganz zu Unrecht. 30 Euro inklusive Wuchten kostet mich vor der Fährfahrt aufs Festland das Vulkanisieren – ein Schnäppchen, und der Reifen sollte problemlos halten! Giannis hatte Recht mit "100% safe".
Bikerparadies Pilion
Ein simpler Bindfaden sichert die KTM im höllenheißen Bauch der Fähre auf dem Rückweg. Hitze bin ich inzwischen gewohnt, nicht zuletzt vom Motor, der mich ziemlich brutzelt. Der 1.195-cm³-V2 aus der RC8 ist auch im übertragenen Sinn richtig heiß und bekommt auf den kurvigen Straßen der Pilionhalbinsel, wo Tintenfische auf der Leine hängen und gerne mal Stahldraht aus einem betonierten Straßenabschnitt ragt, angemessen Auslauf. Zum Glück ist es trocken, da sind die Straßen einigermaßen griffig. In Lefókastro finde ich spontan ein Zimmer direkt am Meer – mit Blick auf die Oktopusse, von denen ich mir am Abend einen Arm servieren lasse.
Das Schlimmste ist Autobahn fahren. Meist ist in Griechenland 120 das Limit und die Autobahnerei ist extrem ermüdend in der Hitze (schade, dass man vom Pilion mit dem Bike nicht mehr per Fähre runterkommt). Kontrolliert wird natürlich auch, nicht nur mit fest installierten Radarfallen, die nicht zu übersehen sind. Auf der Landstraße warnt auch in Griechenland der Gegenverkehr, auf der Autobahn braucht man Glück, wenn man an der Pendelgrenze der Adventure unterwegs ist.
Zurück gen Österreich – aber erst ins Kloster
Nach einer Woche quasi stationär auf Euböa mache ich mich wieder auf den Rückweg. Auf Griechenlands zweitgrößter Insel habe ich den Motor lediglich für Kurztrips zum Baden angeworfen. Der längste waren die 30 Kilometer nach Dafni (herrlich dort!), auf dem Rückweg hat sich der (manuell während der Fahrt verstellbare) Windschild der Adventure bewährt, weil er – wenn ich mich ein wenig klein mache – den Fahrtwind von den Augen abhält. Am Rande bemerkt: In Griechenland gilt natürlich wie bei uns Helmpflicht, aber das ist vielen Griechen wurscht – und der Polizei auch.
Erster Stopp der Rückreise ist Kalambaka, ein Muss für Kulturinteressierte und Cineasten ebenso wie für Motorradfahrer. Denn dort stehen die zum Weltkulturerbe zählenden Meteora-Klöster – bzw. kleben auf schroffen Felsen. Eines davon, das Agía Triáda, welches nur per Fußaufstieg oder Versorgungsseilbahn erreicht werden kann, wurde als Schauplatz des James-Bond-Films "In tödlicher Mission" bekannt. Das ganze Areal besteht nur aus Felsen, Klöstern und Kurven ohne Ende. Eine göttliche Kombination. Allerdings empfiehlt es sich, die Gegend am frühen Morgen zu erkunden, bevor busweise die Touristen kommen.
Keine Ahnung, wie ich den 16-Stunden-Tag geschafft habe…
Ich muss sagen, nach zehn Stunden auf der KTM fällt mir jedes Mal auf, dass mein Rücken, mein Hintern und mein rechtes Handgelenk schmerzen. An diesem Tag erwartete mich aber eine 16-Stunden-Odyssee, denn es kamen ein paar Dinge zusammen: Navigationsprobleme, heftiger Dauerregen, Nacht und schlechte Straßen. Immerhin konnte meine Held-Textil-Kombi (Carese und Torno II), deren Goretex-Membran man wahlweise innen oder außen tragen kann, zeigen, was sie drauf hat. Jedenfalls mehr als die zugehörigen Goretex-Handschuhe (Air'n'Dry), die einem Dauerregen irgendwann einfach nachgeben. Wenn's richtig schüttet, kommt das Material einfach an seine Grenzen.
Tagesziel ist Kotor, ein malerischer Ort in Montenegro. Den Weg habe ich mir grob auf der Straßenkarte angeschaut, ich fahre aber der Einfachheit halber per Navigationssystem. Dummerweise wechselt es spontan auf eine andere Route, die etwa eine Stundeden Ohridsee herum, bevor ich durch Albanien fahre. Von albtraumhaften Streckenabschnitten im strömenden Regen bis zu atemberaubenden Aussichten ist alles dabei. Letzteres auf einem Bergkamm, auf dem eine Kurvenstraße kilometerlang von Bradashesh Richtung Tirana führt. Immer wieder finde ich mich mitten in einer Ziegenherde, aber solch tierische Überraschungen kenne ich schon aus Griechenland.
Danach fängt der Regen richtig an, und er soll nicht mehr aufhören, bis ich am Abend in Kotor ankomme. Die Straßen sind teilweise rutschig wie mit Schmierseife überschüttet, Autos liegen im Graben. Selten war ich so froh über die versammelte Elektronik-Fahrhilfen-Armada, und auch der Rain-Modus, der auch die Leistung begrenzt, kommt erstmals zum Einsatz. Nachts im Regen sehe ich ohne Fernlicht genau gar nichts, also nehme ich die Lichthuperei geblendeter Autofahrer in Kauf. Die Straßen sind teils miserabel, ich weiß oft nicht, ob das da vor mir eine simple Wasserlacke ist oder ein mit Wasser aufgefüllter Motorradfriedhof. Fahren in Albanien ist generell etwas abenteuerlicher als in den anderen Ländern, durch die ich gekommen bin.
Die Griffheizung feiert auch Premiere. Gut, dass ich sie habe, aber ich würde mir einen extra Knopf wünschen, um sie ein- und auszuschalten. Tatsächlich ist die Funktion aber im Menü untergebracht, obwohl die Griffe selbst eine Zubehörlösung sind und sogar die Kabel recht prominent herumhängen. Die Sitzheizung ist beim Testbike leider nicht angeschlossen (sie ist nur drauf, weil die Zubehörsitzbank besser ist) – wenn es kalt und nass wird, reicht die sonst schweißtreibende Motorabwärme nicht.
Die Sache mit dem Navi
Gegen Mitternacht habe ich es dann doch zu meinem Apartment in Kotor geschafft, das ich mir am Vorabend übers Internet gecheckt habe – trotz Navi, muss ich schon fast sagen. Abgesehen davon, dass es mittendrin plötzlich auf eine längere Route geswitcht hat, hat mich das Zumo noch zusätzlich Zeit und Nerven gekostet. Mancherorts hat es mich über Umwege geleitet, die vielleicht tagsüber im Sonnenschein ganz nett zu fahren sind, nachts im Regen nach einem Marathontag würde ich mir aber direkte Wege wünschen. Außerdem hat es in Kotor komplett versagt, weil es Straßenverbindungen gesehen hat, die in Wahrheit zehn Meter abfallendes bebautes Gelände waren. Die Zieladresse hat es gleich mal um 1,5 km verpasst.
Die Navigationslösung ist grundsätzlich nicht der Weisheit letzter Schluss, denn das Gerät ist nicht integriert. Die Halterung ist passiv und so konstruiert, dass sie die Ladebuchse verdeckt. man kann also während der Fahrt nicht laden. Der Akku hält rund drei Stunden. Ich habe mir damit geholfen, dass ich das Gerät ins Klarsichtfach des Tankrucksacks gesteckt und ein USB-Kabel zur 12-V-Buchse gelegt habe. Irgendwann habe ich es einfach mit Gaffer-Tape befestigt. Wie es richtig geht, macht etwa BMW vor.
Augen öffnendes Unwetter und eine Traumstraße
Am nächsten Morgen auf der nur eine Viertelstunde dauernden Fährüberfahrt von Lepetane nach Kaminari bricht so etwas wie die Sintflut über mich herein. Ein Gewitter mit Hagel und unglaublich viel Wasser. Bis ich von der Fähre runter komme und eine Tankstelle zum Unterstellen finde, steht diese bereits bis zum Randstein unter Wasser. Weil die Straßen ähnlich ausschauen, schaffe ich es nicht wie geplant bis Zadar, sondern lege spontan einen Zwischenstopp in Dubrovnik ein, wo ich bis dato noch nie war. Unbedingt anschauen, das ist eine der schönsten Städte der Welt!
Und der Besuch dort lässt sich mit einer der supersten Straßen verbinden: der Küstenstraße in Kroatien. Zum Glück ist es bei meiner Rauffahrt meist sonnig und trocken und es ist relativ wenig Verkehr – ideale Bedingungen, um es laufen zu lassen. Trocken ist der Asphalt griffig, die Aussicht ist atemberaubend und vor den besten Kurven zeigen Schilder verschlüsselt an, wie schnell man sie fahren kann – Spaß beiseite, das sind natürlich Tempolimits. Aber wenn man die Zahl verdoppelt, kommt man in etwa auf das, was die Kurve verträgt (ich hab' nix g'sagt!). Ich bin hin- und hergerissen zwischen dahinstauben und Aussicht genießen. Nur um Split herum ist die Strecke etwas mühsam.
Wozu braucht man 150 PS?
Spätestens hier fragt niemand mehr, wozu man 150 PS auf einer Reiseenduro braucht. Das ist kein Reisedampfer, sondern ein Rennpferd aus einem ambitionierten oberösterreichischen Stall. Es ist voll in seinem Element, wenn man ihm die Sporen gibt und es im gestreckten Galopp dahingeht. Niedrige Drehzahlen liegen der Vollblutstute weniger, den Bereich unter 3.000 Touren wird man aus Ruckelgründen eher meiden. Die Gänge flutschen fast wie von selbst rauf und runter (dass "N" bisweilen Glückssache ist, sei verziehen), sogar eine Anti-Hopping-Kupplung ist Serie.
Rauf durch Slowenien und weiter über die herrliche Seebergstraße nach Österreich ist es nicht die hohe Leistung, sondern eher das satte Drehmoment, das mich begeistert, aber solange jene nicht zu Lasten von diesem geht, ist nichts dagegen einzuwenden.
Fazit
Über 5.014 Kilometer hat sie mich getragen, die KTM 1190 Adventure, im Schnitt hat sie 5,9 l/100 km verbraucht, was mit dem 23-Liter-Tank ganz manierliche Reichweiten gibt. Das ist gut in Ländern, in denen nicht überall Kreditkarten akzeptiert werden (in Albanien heißt es auch nichts, wenn die Kartensymbole auf der Preistafel aufgeführt sind).
Das elektrisch einstellbare Fahrwerk (gibt es nicht für die Adventure R) und der Motor sind erstklassig, die Koffer sind groß genug und leicht zu beladen. Leider ist auch bei deren neuerster Generation die Schlosskonstruktion mies. Schon nach einer Woche hat ein Schloss gezickt, am Ende der Reise alle. Sonst passt die Ergonomie im Wesentlichen, auch auf dem Soziussitz.
Die KTM 1190 Adventure ist kein perfekt durchgestyltes Rundum-sorglos-Paket, sondern ein Charakterstück mit dem Herzen am rechten Fleck. Wobei: Auf den Style will ich nichts kommen lassen – sie ist die erste KTM-Adventure, die mir persönlich richtig gut gefällt. Vielleicht, weil die Optik (bei aller individueller Note) massentauglicher ist als früher. Eines ist sie auf jeden Fall: tauglich für die ganz große Reise – ebenso wie fürs Carven auf der Hausstrecke.
Warum?
Warum nicht?
Oder vielleicht …
… BMW R 1200 GS, Ducati Multistrada, Aprilia Caponord 1200
Durchfahrene Länder: Albanien, Bosnien (das kurze Stück an der kroatischen Küste), Griechenland, Kroatien, Makedonien, Montenegro, Österreich, Serbien, Slowenien, Ungarn
Preis des Testmotorrades: knapp 20.000 Euro (Grundpreis laut Liste 16.801 Euro)
Tourenkombi: Carese/Torno II von Held
Reiseführer: Michael Müller Verlag
Straßenkarten: Freytag und Berndt
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