Die Erwartungshaltung war eher mäßig. Nach seinem inspirationslosen und beliebigen Auftritt im Herbst 2012 in der Wiener Stadthalle hatte Schockrocker Marilyn Manson so einiges gutzumachen. Die Fanbase des mittlerweile 45-jährigen Enfant terrible ist ihm aber auch nach Ausrutschern treu, so konnte beim Open Air in der Arena schon Tage vor der Veranstaltung das "Ausverkauft"-Schild angebracht werden. Wie in diesem Sommer üblich, prasselt auch am Montagabend der Regen auf die Kapuzen tragenden Anwesenden, im Gegensatz zum witterungsbedingten Joss-Stone-Debakel findet Mansons Gruselkabinett nach wenigen Songs aber im Trockenen statt.
Verzicht auf Rohrkrepierer
Der horröse Großmeister der musikalischen Theatralik hat seine Wirkung leider schon vor Jahren verloren. Zudem tingelt Manson schon ewig mit einem nahezu unveränderten Bühnenoutfit durch die Lande und zeigt sich gerne als launenhafte Diva. Für seine aktuelle Tour verzichtet er zumindest auf einen Kardinalsfehler – er konzentriert sich ausschließlich auf die guten alten Zeiten und lässt Songs von den kommerziellen Rohrkrepierern "Born Villain" oder "The High End Of Low" im Köcher.
Die Konzentration liegt auf seinem zweiten und künstlerisch wertvollsten Album "Antichrist Superstar". Nie wieder verquickte der Musiker die kühle Atmosphäre von Industrial Metal derart geschickt mit schneidenden Gitarrenriffs und bedrohlichen Vokal-Einsätzen wie in Songs der Marke "Angel With The Scabbed Wings", "Irresponsible Hate Anthem" oder "Tourniquet". Wie so oft krankt es schlussendlich an der Live-Umsetzung des gediegenen Materials. Mit trendigem Seitenscheitel und Undercut, den gängigen Plateauschuhen und der obligatorischen Bleich-Schminke versucht der als Brian Warner geborene Künstler dem Alter ein Schnippchen zu schlagen, künstlerisch ist die Darbietung aber vor allem in der ersten Konzerthälfte eine Zumutung.
Distanz und Kühle
"Disposable Teens" oder "Hey, Cruel World..." zergehen im matschigen Soundbrei, zudem sorgen eine Mischung aus Mansons unzureichender Stimmleistung und einem schlechten Mikrofon für Befremden auf der herbstlich kühlen Arena-Freiluftfläche. Dem Publikum wendet sich der Exzentriker nur zu, um Handtücher und Requisiten in die Menge zu werfen. Wenn Manson seine inhaltsstarken Songs leidend am Boden kniend performt, wendet er sich stets von der Menge ab und sucht die Interaktion mit sich selbst. Diese mysteriöse Mischung aus Fan-Bindung und -Abweisung hat den Kultfaktor des Barden über die Jahre potenziert. Nur sein treuer Sidekick, Bassist Twiggy Ramirez, wird phasenweise mit Umarmungen von seinem Chef geherzt.
Den Gruselfaktor verliert Manson spätestens bei den meist lieblos in die Menge geworfenen Ansagen, deren Schreckhaftigkeit nach gut 20 Jahren Karriere leider stark abgenommen haben. Ob er vor "The Dope Show" im dekadenten weißen Fellmantel weißes Pulver über die Bühne streut, bei dem seit fast zehn Jahren nicht mehr performten "Get Your Gunn" vom Erschießen eines Menschen fabuliert oder am Ende fast schon entschuldigend beifügt, dass die Fans noch ein paar Monate auf brandneue Songs warten müssen – er projiziert damit die Gefährlichkeit einer hungrigen Samtpfote.
Seltene Momente der Stärke
In seltenen Momenten gelingt Manson aber doch die Rückbesinnung auf starke, alte Tage. Das inbrünstig vorgetragene "Rock Is Dead", eine sehr solide Vorstellung von "Personal Jesus" und das durch seine viehische Aggression stets beeindruckende "The Beautiful People" transportieren Herz und Feuer früherer Glanzzeiten, wohingegen er "Sweet Dreams" mit unnötig überkandidelten Schreien zerstört und "Antichrist Superstar" an der Beliebigkeit im Gesang scheitert. Die gut 75 Minuten Spielzeit sprechen auch nicht für bedingungsloses Zufriedenstellen der Massen.
Vielleicht tanzt Manson als Schauspieler (zuletzt "Sons Of Anarchy"), Mode-Ikone (Yves St. Laurent), Maler und Absinth-Erzeuger auch auf zu vielen Hochzeiten. Herzblut und Passion zur Musik scheinen obsolet zu sein - von der funkensprühenden, fast schon giftig-offensiven Verfassung der alten Tage ist nichts zu sehen. Mansons musikalisches Formtief ähnelt dem ständig miesen Sommerwetter, womit sich ein wenig positiver Kreis schließt.
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