Zum 70. Geburtstag

Reinhold Messner: Meine sechs Leben

Adabei
14.09.2014 07:00
Eine Biografie so mächtig wie ein Achttausender, die Willensstärke von 500 Sherpas, Ideen für weitere sechs Leben: Der Südtiroler Ausnahme-Mensch sprach mit der "Krone" über Gott und die Welt.

Und plötzlich steht er da: Der raue Nordwind kämmt ruppig sein dunkles langes Haar in Strähnen ins Gesicht, im Vorbeigehen schenkt der ganz in Schwarz gekleidete Burgherr den überraschten, aber sofort strahlenden Museumsbesuchern in der Festung Sigmundskron bei Bozen ein kurzes Lächeln. Reinhold Messner, der am Mittwoch 70 wird und wie 60 aussieht, setzt sich an den Gartentisch der Burgschenke. Und er legt gleich die Grenzen fest: "Bitte keine Rückblenden." Dann erzählt er von einem Pressetermin vor 14 Tagen, einem "Bild"-Reporter, von dessen Fragen nach dem Yeti – und von einem schnellen Abschied.

Messner lächelt. Wer auf allen 14 Achttausendern stand, wer in der Antarktis halb erfroren ist und die Wüste Gobi durchquert hat, lebt das Leben gelassener. Der Südtiroler macht nur noch das, was er tatsächlich tun will: Er baut jetzt am letzten der fünf Standorte seines Mega-Projekts "Messner Mountain Museum". Und er spricht mit der "Krone" über seine sechs Leben, über Gott, Hölderlin, Putin, die EU und seine Familie.

Schloss Sigmundskron (Bild: dpa/ANSA/A1809 epa ansa Matteo Groppo)
Schloss Sigmundskron
Reinhold Messner mit Peter Habeler (Bild: APA/DPA/KLAUS HEIRLER)
Reinhold Messner mit Peter Habeler

"Krone": Gewaltige Mauern, hohe Türme, eine hochinteressante Ausstellung – Sigmundskron wurde zum Juwel. Was macht Reinhold Messner, wenn alle seine fünf Museen eröffnet sind?
Reinhold Messner: Das wird vermutlich zu Weihnachten sein. Aber momentan arbeiten wir noch an dem Projekt Corones in den Dolomiten. Zaha Hadid hat die architektonische Umsetzung.

"Krone": Was dann? Es folgt doch nicht ein Leben ohne große Projekte?
(Der Blick Messners geht hinauf zur großen Inuksuk-Statue im Burghof, mit der rechten Hand streicht er eine seiner langen Haarsträhnen zurück.)
Messner: Mein Leben reicht für all die Ideen, die ich habe, sicher nicht aus. Aber nächstes Jahr möchte ich in Tibet einen Autorenfilm drehen. Eine Mischung aus Dokumentar- und Kinofilm. Mit guten Bergsteigern – und auch Hollywood-Schauspielern. Der Film muss Emotionen zeigen.

"Krone": Nicht die einfachste Kombination: Achttausender, eisige Kälte und Hollywoodstars…
Messner: (lacht) Ja, ein langer Dialog am Gipfel des K2 ist wirklich unrealistisch. Da sagt man nur: "Scheiße hier, wir gehen wieder runter." Nein: Die Geschichte muss weiter unten stattfinden, oben sollen gute Bergsteiger zu sehen sein. Vielleicht der ausgezeichnete junge Freikletterer David Lama. Wir werden drehen, dann wird sich die Geschichte entwickeln. Es wird um das Zwischenmenschliche gehen. Und darum, dass es auf diesen Bergen keine Rettung gibt, wenn etwas passiert.

"Krone": Dieses Filmprojekt, 50 Bestseller, Vorträge für Topmanager, das Museum – hat Reinhold Messner nicht Sehnsucht nach einer weiteren ganz großen Expedition?
Messner: Ich bin sicher der einzige Alpinist in meinem Alter, der offen zugibt, dass er nicht mehr so hoch steigen kann. Ich bleibe herunten. Mir wär's peinlich, jetzt mit zwei Sherpas und einer Sauerstoffflasche am Rücken nochmals auf den Mount Everest zu steigen. Nein, ich hatte ja bereits sechs Leben: die Felskletterei, die Touren in den Dolomiten, die großen Berge im Himalaya, die Expeditionen, jetzt das Museum und natürlich die Familie. Es wäre auch langweilig geworden, immer das Gleiche zu machen.

"Krone": Die Expeditionen auf den Nanga Parbat (8.125 Meter) oder den Kangchendzönga (8.586 Meter) waren alles andere als langweilig – Ihr Leben war damals in akuter Gefahr. Kommt dann nicht im Eissturm bei minus 40 Grad Kälte automatisch ein "Vaterunser" über die Lippen?
Messner: Meine Einstellung zu Leben und Tod war natürlich immer eingebettet in dieses große christliche Weltbild, in diesen katholischen, ja aus dem Jüdischen kommenden Gedanken. Aber...

"Krone": Der Glauben an Gott fehlt?
Messner: ...ich schließe nichts aus: Weder, dass es Gott gibt, noch, dass es ihn nicht gibt. Ich bin Possibilist. Wir Menschen haben keine Fähigkeit, die Göttlichkeit zu begreifen. Das hat bereits Friedrich Hölderin gut formuliert ("Wenn ich einen Gegenstand als möglich denke, so wiederhole ich nur das vorhergegangene Bewusstsein, kraft dessen er wirklich ist. Es gibt für uns keine denkbare Möglichkeit, die nicht Wirklichkeit war", Zitat aus "Urteil und Sein", verfasst 1795 bis 1805). Er schließt: Das uns bekannte Göttliche ist vom Menschen erfunden.

"Krone": Das sehen aber viele anders.
Messner: Natürlich ist es schon gut möglich, dass es etwas gibt – die Natur und auch die Natur des Menschen ist großartig. Wir alle sollten aber dieses eine Leben intensiver leben.

"Krone": Und Sie waren bei Ihren Expeditionen tatsächlich bereit zu sterben?
(Messner macht eine kurze Pause, blickt fünf, sechs Sekunden auf die vulkanrote Felswand im Innenhof von Burg Sigmundskron.)
Messner: Ja, ich war mehr als bereit dazu. Ich hatte kein Problem damit, mich fallen zu lassen, mich in der Unendlichkeit zu verlieren. Der Rest wird sich dann schon weisen.

"Krone": Diese Gelassenheit hört man nicht oft.
Messner: Der Tod war für uns schon als Kinder selbstverständlich. Ich erinnere mich noch gut an die Bilder, als im Winter ein Sarg mit der Bahre auf den Schlitten gepackt worden ist. Aber natürlich will auch ich jetzt noch nicht sterben – allein schon wegen der Familie.

"Krone": Paul Preuß (1886–1913), ein Pionier des Freikletterns aus dem Salzkammergut, starb bereits mit 27 Jahren. Er riet: "Bergtouren, die man unternimmt, soll man nicht gewachsen, sondern überlegen sein." Sie sind ja ein Fan des Österreichers – haben Sie das immer befolgt?
(Die Augen blitzen auf, Reinhold Messner beginnt zu lachen.)
Messner: Nein! Nein, das hab ich sicher nicht. Aber auch der "Pauli" war manchmal an der Grenze des Machbaren. Das macht ihn ja so menschlich. Ja, wir waren oft an unseren Grenzen.

"Krone": Auch am Mount Everest 1978?
Messner: Das Problem war: Der Sturm tobte den ganzen Tag, der konnte mich und Peter Habeler jederzeit vom Eisgrat wehen. Wir gingen weiter. Und dazu gibt's ein noch viel schöneres Zitat von Paul Preuß: "Das Können ist des Dürfens Muss." Aber natürlich: Da oben war nichts kontrollierbar.

"Krone": Wäre nicht jetzt ein Comeback als Politiker interessant? Sie arbeiteten ja bereits von 1999 bis 2004 für die Grünen im EU-Parlament – wie soll sich unser Europa entwickeln?
Messner: Wenn wir nicht schaffen, dass die Europäer tatsächlich zu Europäern werden, sehe ich schwarz. Wir müssen mehr zusammenhalten. Die Nationalstaaten müssen nochmals Macht an die EU abgeben. Und gleichzeitig müssten die Regionen gestärkt werden. Dann würde Tirol mit Südtirol wieder eine alte, neue Einheit. Die Geschichte ist doch aufgearbeitet – in Deutschland der Nationalsozialismus, in Österreich die Zeit Österreich-Ungarns. Wir brauchen ein großes Ganzes, dann sind wir Europäer mit unserer Öko- und Sozialpolitik den anderen wieder voraus.

"Krone": Der Konflikt um die Ukraine zeigt nun deutlich die Probleme der Europäischen Union.
Messner: Ja – aber wie soll der Westen reagieren? Putin will sein Russland neu erfinden, einen Landkorridor zur Krim schaffen. Er braucht das so wie einst Österreich den Hafen von Triest. Das ist jetzt wie eine Landnahme. Aber niemand will einen ernsten Konflikt. Putin handelt wie Hitler 1939, beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, beim Überfall auf Polen – Putin lügt und taktiert.

"Krone": Ist vielleicht doch noch ein Wiedereinstieg in die Politik denkbar?
Messner: Nein, sicher nicht. Die Zeit im EU-Parlament hat mir eins sehr gut gezeigt, das habe ich relativ schnell verstanden: Mir fehlt die Kompromissfähigkeit. Das ist eine Kunst. Und ich habe diese Gabe nicht. Wenn merdem: Ich bin für die Politik zu alt. Wer in der Politik bedeutende Entscheidungen trifft, soll auch deren Folgen selbst noch spüren.

"Krone": Italien hat jetzt einen sehr jungen Ministerpräsidenten, Matteo Renzi ist erst 39 Jahre alt. Kann er die Probleme in den Griff bekommen?
Messner: Ich habe Matteo Renzi getroffen. Das Gespräch war gut. Es gibt Chancen, dass sich etwas ändert, wenn er es schafft, sich gegen Bürokraten und alte Füchse durchzusetzen.

"Krone": Spricht Reinhold Messner, jetzt in seinem sechsten Leben, offener über seine Familie? Haben Sie nun mehr Zeit für die Kinder?
Messner: Im Schnitt war ich eigentlich nie länger weg als andere Familienväter. Ich war sogar oft sehr lange daheim, wenn ich an den Büchern schrieb. Meine 25-jährige Tochter freut sich eben über ihre Sponsion, sie arbeitet hier in der Burg im Museum. Meine zwölfjährige Tochter geht in die Schule. Und mein 22-jähriger Sohn studiert in Innsbruck Molekularbiologie. Er klettert gern und gut.

Beim Fotoshooting zeigt Reinhold Messner noch kurz sein Museum in Sigmundskron, erklärt die großartigen Himalaya-Gemälde gleich am Eingang, spricht dann über die gewaltige Inuksuk-Statue – ein Monument der Inuit – auf der Burgwiese. Und der wohl größte Abenteurer unserer Zeit stellt sich lachend einem Selfie mit dem "Krone"-Journalisten: "Sicher doch. Das muss sein."

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(Bild: kmm)



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