"Krone"-Interview

Mark Knopfler: “Fehler machen das Leben spannend”

Musik
15.03.2015 17:00
120 Millionen verkaufte Alben, der "Order Of The British Empire" und weltweite Bekanntheit können nicht irren - der geborene Schotte Mark Knopfler gehört zweifellos zu den größten Gitarristen der Rock-Musikgeschichte. Songs wie "Brothers In Arms" oder "Sultans Of Swing" forderten bereits Abermillionen von Hobby-Gitarristen zu Bestleistungen. Anlässlich der Veröffentlichung seines brandneuen Studioalbums "Tracker" lud uns der introvertiert-sympathische Musiker in sein Londoner British Grove Studio, um bei Tee und Wohnzimmeratmosphäre entspannt über seine bahnbrechende Karriere, Wiener Kaffeehäuser und den Stressfaktor Zeit zu sprechen.
(Bild: kmm)

"Krone": Mark, mit "Tracker" veröffentlichst du nun dein achtes Soloalbum. Bist du mit 65 Jahren und deiner beeindruckenden Karriere noch nervös, wenn du etwas Neues veröffentlichst?
Mark Knopfler: Nein. (lacht) Es ist einfach ein weiteres Album. Es macht mir Spaß, an Alben zu arbeiten und sie zu schreiben, aber ich bin es mittlerweile gewohnt, sie irgendwann auch mal gehen zu lassen.

"Krone": Der Albumtitel ist sehr vielseitig und kann auf verschiedene Arten interpretiert werden. Wie lautet deine Erklärung?
Knopfler: Vielseitig trifft es wirklich gut. Es gibt viele Möglichkeiten, dieses Album und seine Inhalte zu interpretieren. Die Thematik ist auch sehr vielseitig und es geht in gewisser Weise um meinen persönlichen Platz im gegenwärtigen Zeitalter. Du musst einen Song bis zu seinem Ende verfolgen, ihn so lange jagen, bis du zufrieden mit ihm bist.

"Krone": Wenn man den "Tracker" als Fährtensucher oder Verfolger definiert, dann trifft das in jedem Fall auf dich zu, wenn es um das Songschreiben und das Zusammenstellen eines Albums geht. Bist du auch jemand, der Zeit seines Lebens nach dem perfekten Sound sucht?
Knopfler: Ich habe so meine Probleme mit dem Terminus "perfekt". Ich bin nicht daran interessiert, etwas Perfektes zu finden. Ich bin einfach froh darüber, dass ich noch immer Ideen und Energie zum Songschreiben habe. Ich will einfach noch viel mehr schreiben und ich hätte aus "Tracker" auch wieder ein Doppelalbum machen können.

"Krone": Der Vorgänger "Privateering" war auch ein Doppelalbum, das irrsinnigen Erfolg hatte. Warum ist "Tracker" schlussendlich doch nur ein Einzelalbum geworden?
Knopfler: Ich weiß es gar nicht so genau, die ganze Geschichte ist mysteriös. So wie es passiert ist und nun veröffentlicht wird, ist es wahrscheinlich aber die beste Lösung. Die Leute heutzutage wollen auch Bonus-Tracks und Deluxe-Versionen von Alben – so kann ich die anderen Songs eben auf diesem Weg abliefern.

"Krone": Auf dem Cover-Artwork sieht man dich in einem weitläufigen Feld stehen. Irgendwie erinnert mich das Motiv an Fernweh.
Knopfler: Das war die Idee meiner Frau Kitty. Eine besondere Botschaft steckt aber nicht dahinter.

"Krone": Bist du eine Person, die öfters Fernweh verspürt? Die gerne mal ausbricht?
Knopfler: Nicht immer. Selbst wenn ich toure habe ich eigentlich immer meine Familie bei mir. Es gibt aber schon eine Art von Fernweh, die ich damit befriedigen kann, dass mich meine Songs eben in bestimmten Intervallen um die ganze Welt tragen. Ich habe mit meiner Berufswahl einen Deal abgeschlossen und der beinhaltet eben auch das Touren.

"Krone": Macht dir das Touren Spaß?
Knopfler: Das ist der Grund, warum ich noch auf der Bildfläche bin. Warum sollte ich sonst Songs schreiben, wenn ich sie nicht auch präsentieren und spielen möchte? Das hätte keinen Sinn.

"Krone": Also ist dir das Touren lieber und wichtiger als das Schreiben und Produzieren von Songs?
Knopfler: Mir macht eigentlich alles Spaß, ich genieße das Gesamtpaket meines Jobs. Ich mag das Schreiben und Aufnehmen genauso wie das Herumreisen mit meiner Band und meinen Freunden. Die Leute merken glaube ich schon, dass ich gerne zu ihnen komme und spiele – bei mir wird man nie das Gefühl haben, dass es eine Art von "Muss" für mich ist, live zu spielen und zu reisen.

"Krone": Deine nächste große Tour erstreckt sich von Mai bis Ende Oktober und führt dich durch ganz Europa und Nordamerika. Für zwei Shows kommst du auch nach Österreich. Ist dir das Land in guter Erinnerung?
Knopfler: Natürlich. Sobald du das Wort "Österreich" verwendest, bin ich gedanklich bereits in einem Wiener Café und sehe die Fußgängerzone der Innenstadt vor mir. (lacht) Ich habe wirklich eine Menge gute Erinnerungen an Österreich und für mich ist das Touren durch Europa auch immer eine Art von Heimkommen.

"Krone": Inspirieren dich die verschiedenen Städte und Erlebnisse, wenn du unterwegs bist?
Knopfler: Auf Tour gehe ich oft und gerne spazieren. Das Schöne am Touren ist auch, dass ich die Veränderungen eines bestimmten Ortes genau erfassen kann. Du bist vielleicht mal drei oder fünf Jahre nicht mehr in einer Stadt gewesen und merkst dann aber sofort, was sich alles verändert hat. Es ist ein guter Weg, um selbst seine Spuren auf der Welt zu hinterlassen.

"Krone": Du bist geborener Schotte, der schon lange in England lebt. Gab es auf deinen vielen Touren auch Plätze, bei denen du dir vorstellen konntest, sesshaft zu werden?
Knopfler: Es gäbe sogar einige Plätze, bei denen ich mir das vorstellen könnte, aber ich würde relativ schnell an der Sprachbarriere scheitern. Das ist ein großer und wichtiger Faktor, um wo sesshaft zu werden. Wenn du als Musiker, als Sänger oder Songwriter durch die Welt tourst, fühlst du dich im Prinzip fast überall zu Hause. Du kannst überall glücklich sein, weil du deine Musik immer mit dir mitträgst.

"Krone": Schreibst du auch Songs, während du auf Tour bist?
Knopfler: Ja, immer mehr und öfter. Für die anstehende Tour habe ich sogar geschaut, dass ich zwischen den Shows mehr freie Tage habe, um mich stärker dem Songwriting widmen zu können. Ich spiele maximal drei Tage am Stück, normalerweise waren es immer fünf oder sechs Tage. Ich liebe es, auf Tour Songs zu schreiben. Heute kann ich oft sogar direkt nach einer Show konzentriert an Songs arbeiten. Als ich jünger war, wäre das unmöglich gewesen. Da war mir wichtiger, mit den Jungs zu trinken und Partys zu feiern. (lacht) Ich brauche ja nicht viel mehr als meine Gitarre und ein paar Boxen. Alles andere kommt aus mir selbst raus. Für mich ist das ein einfacher Weg. Im Prinzip brauche ich dazu nur noch einen Sessel ohne Armlehnen, um Gitarre zu spielen, und vielleicht noch einen Tisch, auf dem ich mir Notizen machen kann. Das ist alles.

"Krone": Dabei würde es sich doch anbieten, hier in deinem wunderschönen British Grove Studio zu schreiben.
Knopfler: Hier schreibe ich niemals. Es ist ein Aufnahmestudio und dort finde ich keine Ruhe und Inspiration. Vielleicht sollte ich es hier mal versuchen, ich habe aber nie daran gedacht. Bei mir ist das mehr so eine seelische Geschichte. Ich bringe die Songs gerne bereits fertig zur Band mit. Von Anfang bis zum Ende. Würde ich das mit meinem Kumpel Guy Fletcher machen, würde ich einen Song von A bis Z fertigstellen. Es gibt im Prinzip also zwei verschiedene Zugänge beim Songschreiben und du kannst immer nur hoffen, die jeweils richtige Entscheidung zu treffen. Manchmal spiele ich auch nur Fragmente vor der Band und wir alle finden dann rein. Es ist immer verschieden.

"Krone": Bist du ein Perfektionist, wenn es um das Songschreiben geht?
Knopfler: Nein, auf keinen Fall. Du hast einfach Ideen und ein gewisser Prozentsatz davon schafft es schließlich auf dein Album. Du weißt ja nie so recht, wie das auf die Außenwelt wirkt, und wenn du mit einem Song fertig bist, musst du ihn einfach loslassen. Es ist wie bei einem Gemälde. Auch dort sind nicht alle gleich viel wert.

"Krone": Wie viele Songs oder Songfragmente schmeißt du im Laufe eines Albumprozesses weg?
Knopfler: Eine ganze Menge. Ich habe wirklich ganz viele halbfertige oder angeschriebene Songs, die irgendwo auf Zetteln stehen oder einfach nur angedacht, allerdings niemals aufgenommen wurden. Ich weiß eigentlich selber nicht, warum. Manchmal greife ich auch auf ältere Ideen zurück. Ich belebe Songfragmente wieder und füge sie mit neuen Ideen zusammen. Das Leben wäre um so viel einfacher, wenn es>"Krone": Hast du zwischendurch auch mit Phasen der völligen Ideenlosigkeit, kompletten Leere zu kämpfen?
Knopfler: Ich vermute schon. Ich kriege aber keine Panik, wenn ich in solche Phasen verfalle. Manchmal rasiere ich mich am Morgen und habe eine richtig gute Idee, wenn ich mich dann wenig später auf mein Motorrad setze, ist sie weg. Das sorgt mich aber nicht, denn vielleicht ist es sogar gut, dass die Idee weg ist. (lacht) Es ist ja kein Verlust für die Welt. Ich habe mir aber unlängst angewöhnt, meine Ideen grob mit meinem Smartphone aufzuzeichnen. Quasi die Hightech-Variante, meine Ideen für die Nachwelt festzuhalten. (lacht) Ich und mein Smartphone – alles, was man braucht. Ohne Smartphone ist die Chance, dass ich meine Ideen vergesse jedenfalls sehr groß. Ich denke mir dann immer: "Ach, die Idee war mit Sicherheit ohnehin schlecht." (lacht)

"Krone": Du hast vorher von Guy Fletcher gesprochen, der nicht nur deine letzten Alben produzierte, sondern auch die Keyboards einspielt. Habt ihr beide so etwas wie eine magische Arbeitsbeziehung?
Knopfler: Wir sind ein ziemlich gutes Team, das auf jeden Fall. Ich arbeite mit Guy mittlerweile seit meinem zweiten Film-Soundtrack "Cal" 1984, dann war er schnell in der Band. Wir kommen wirklich gut miteinander aus und er hat sich zu einem hervorragenden Techniker gemausert. Wir haben auch im Studio viel Spaß. Wenn du mit einer Band im Studio stehst, hast du nicht mehr viel Zeit, um zu experimentieren. Du hoffst einfach, dass alles möglichst okay geht. Dieses Mal hatten wir aber auch Zeit für Spaß. Ein Aufnahmeprozess hat immer etwas Ungewisses. Du hast verschiedene Instrumente und Mikrofone und musst oft instinktiv entscheiden, was die richtig Wahl für den jeweiligen Song wäre. Aber du triffst nicht immer ins Schwarze. Du triffst ja auch nicht immer die richtige Entscheidung, wenn es um deine Kinder geht. Fehler machen das Leben erst spannend.

"Krone": Bist du beim Albumprozess eigentlich immer der, der endgültig entscheidet? Auch wenn vielleicht Kollegen wirklich gute Ideen haben?
Knopfler: Ja, denn wenn es darum geht, verschiedene Songschichten herauszuhören oder sich entscheiden zu müssen, weiß ich einfach, was ich bevorzuge. Immer. Wenn du mir zum Beispiel zwei Gesangsmikrofone hinstellst, kann ich dir schnell sagen, welches ich für den Song bevorzuge. Ich weiß nicht einmal, wie und warum das funktioniert. Ich weiß nicht einmal, wie ein Mikrofon funktioniert, aber ich kann dir sagen, welches gut für den Song ist. (lacht) Wenn Musiker zusammenkommen, arbeiten sie immer an den Texturen und Schichten, und je mehr Erfahrung du hast, umso besser und klüger kannst du wählen.

"Krone": Auf "Tracker" befinden sich viele interessante Geschichten, die du mit den Songs erzählst. Gibt es einen roten Faden, der die einzelnen Stücke verbindet?
Knopfler: Es gibt lose Thematiken, die sich verbinden, aber auch das ist in gewisser Weise mysteriös. Du kannst dir beim Hören deine Gedanken machen und nachher zusammenreimen, was für dich schlüssig klingt. In meinem Fall spielt die Zeit eine große Rolle. Für mich wird auch die Vergangenheit immer wichtiger und mit steigendem Alter sehe ich die Dinge aus einer völlig anderen Perspektive. Wenn du zum Beispiel den Song "Basil" heranziehst, geht es dort um mich als 15-jährigen Jungen. Ich sorgte mich damals um nichts, außer um mich selbst. Die Welt von morgen oder auch Gitarren war mir damals völlig egal – das zählte alles nichts. "Basil" ist ein Dichter, der für eine Zeitung schreibt und schaut, dass er damit überleben kann. Er ist mit seiner Situation unglücklich und schreibt ein episches Gedicht über Zeit. Er und ich lebten damals unter einem Dach und ich habe nicht verstanden, worum es ihm ging. Jetzt, wo ich älter bin, kann ich seine Perspektive verstehen. Die Zeit ist einfach ein wichtiges Thema.

So auch im Song "Beryl", der sich um die Liverpooler Schriftstellerin Beryl Bainbridge dreht, die einst fünfmal für den Buchpreis nominiert wurde, ihn aber nie gewann. Würde sie heute noch schreiben, würde sie mit Sicherheit Erfolg haben und auch den Preis gewinnen. Damals aber, in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren, als sie diese großartigen Bücher schrieb, war das literarische Establishment vielmehr der Oxford-Universität zugeneigt. Viel stärker männerorientiert. Da hatte eine Frau aus der Arbeiterklasse, die nie zur Uni ging, keine Chance. Der Herausgeber, mit dem sie eine Affäre hatte, hat ihren Roman aber ordentlich gepusht. "Beryl" hat vom Sound her auch Ähnlichkeiten mit den alten Dire-Straits-Stücken. Für mich spiegelt es auch wieder eine gewisse Periode meines Lebens wieder.

"Krone": Stört es dich, dass man dich und deine Songs trotz der großen Soloerfolge, die du in den letzten Jahrzehnten gefeiert hast, immer noch mit den Dire Straits vergleicht oder gleichsetzt?
Knopfler: Nein, das ist für mich total okay. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, dass meine Karriere so verlaufen ist und ich liebe es immer noch, Dire-Straits-Material live zu spielen. Ich spiele "Telegraph Road" oder "Brothers In Arms" bei einem Konzert und sehe, wie es die Leute verändert, was es bei ihnen auslöst. Das ist einfach großartig. Du musst es natürlich gut spielen und mit Herzblut dabei sein, alles andere wäre nicht fair und würde auch sofort auffallen. Ich will jedenfalls kein Kabarett daraus machen.

"Krone": 2015 sind es auch genau 20 Jahre, seit die Dire Straits ihr Dasein als Band beendet haben. Wie viele Anfragen für eine Wiedervereinigung hast du seither bekommen?
Knopfler: Eigentlich nur von Journalisten, und das nicht zu knapp. Das findet wirklich nur über Zeitungen und Magazine statt.

"Krone": Andererseits stehst du heuer seit insgesamt 50 Jahren als Musiker auf der Bühne. Was geht dir als Erstes durch den Kopf, wenn du an diese unglaubliche Zeitspanne denkst?
Knopfler: Je älter du wirst, umso schneller geht alles. Ich sehe aber schon auch kritisch zurück und bereue so manches. Ich würde auf jeden Fall mein eigenes Talent stärker respektieren. Wenn du jung bist, dann lebst du einfach zu sorglos in den Tag hinein und achtest nicht genug auf deine Talente – das würde ich heute sicher anders machen. Das lerne ich aber immerhin jetzt noch. Das ist mit Sicherheit auch ein Grund dafür, dass ich für das Songschreiben und die Genauigkeit und Ausgereiftheit meiner Songs mehr Sorgfalt aufwende. Als junger Mensch stürmst du einfach durch die Gegend und schiebst alles weg, was dir im Weg steht. Das war nicht immer optimal. Jedenfalls bin ich aber kein Nostalgiker.

Mark Knopfler spielt am 12. Juli auf der Burg Clam und am 14. Juli im Steinbruch St. Margarethen. Karten für die Shows erhalten Sie unter 01/960 96 999 oder im "Krone"-Ticketshop.

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