"Krone"-Interview

Stiehlt Schelling Ihnen die Show?

Österreich
09.05.2015 16:30
Zwei Tage vor dem Reform-Parteitag der ÖVP spricht Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (59) im "Krone"-Interview mit Conny Bischofberger über Erneuerung, sein "Django"-Image und interne Konkurrenz.

Reinhold Mitterlehner erscheint höchstpersönlich im Empfangsraum des Wirtschaftsministeriums, um seine Gäste abzuholen. Ein Sir in Grau. Grauer Anzug, graublaue Krawatte, graumeliertes Haar. "Kommen Sie!" Auf einem schwarzen Teppich mit roten Rosen geht es in sein Büro, wo er an der Spitze des großen Besprechungstisches Platz nimmt. Links neben dem Schreibtisch hängt ein Rosenkranz an der Wand ("Den hat mir jemand aus Medjugorje mitgebracht, das hat mich berührt"), rechts eine "Django"-Skizze ("Das ist eine ganz nette Facette im politischen Leben.") Mundwinkel und Stirnfalten des ÖVP-Chefs bewegen sich während des Gesprächs munter auf und ab.

Hier gibt's drei Hörproben von Reinhold Mitterlehner! Clip 1 (zum Freihandelsabkommen TTIP), Clip 2 (über nötige Reformen in Österreich) und Clip 3 (über die Familie).

"Krone": Acht Monate Vizekanzler, sechs Monate Parteichef: Hält der Django-Effekt noch an?
Reinhold Mitterlehner: (Lacht, das ist schon mal ein gutes Zeichen) Ich hoffe nicht, dass meine Politik auf einem Hype aufgebaut ist. Mein Spitzname war ein netter Einstieg bei manchen Zielgruppen, aber ich möchte natürlich mit inhaltsorientierter Politik punkten.

"Krone": Hat das Westernheld-Image mehr genutzt oder geschadet?
Mitterlehner: Es macht angreifbarer. Über "Django" schimpft man leichter als über den Herrn Mitterlehner. Viele Leute lachen aber auch darüber, und das freut mich. Der Spitzname bringt ein bisschen Humor in die Politik, aber er kann Politik natürlich nicht ersetzen.

"Krone": Am Dienstag beginnt der ÖVP-Reformparteitag. Hat sich die Partei - Stichwort "Homo-Ehen" - noch nicht genügend reformiert?
Mitterlehner: Die ÖVP ist auf jeden Fall offener geworden. Wir fördern und schätzen die traditionelle Familie, aber wir respektieren auch andere Lebensentwürfe. Was so selbstverständlich klingt, ist ein intensiver Veränderungsprozess.

"Krone": Bei dem was passiert?
Mitterlehner: Wir interpretieren unsere Werte - etwa Leistung, Eigentum, Eigenverantwortung - neu und stärken sie damit. Wir wollen uns mit einem Wahlrecht, das klare Verhältnisse bringt und mit einer europäischen Armee auch als Europapartei neu positionieren. Wir werden uns aber auch Themen wie Digitalisierung oder Migration annehmen.

"Krone": Sie wollen den Vorstand verkleinern. Sophie Karmasin oder Fritz Neugebauer werden nicht mehr dort sitzen. Gibt das nicht Ärger?
Mitterlehner: Das hoffe ich nicht, weil wir das ja im Parteivorstand beschlossen haben. Wir führen eine Art "Board-System" ein, in dem nur noch Vertreter der Bünde und der Länder sitzen. Dafür wird die Parteileitung breiter aufgestellt. Zusätzlich wollen wir nicht mehr nur die Funktionäre alleine entscheiden lassen, sondern auch die Mitglieder stärker einbeziehen. Das Instrument dazu ist das Internet. Das macht uns meines Erachtens beweglicher. 13.000 Personen haben sich schon an unserem Programmentwurf beteiligt, was ich als Zeichen dafür werte, dass es keine Politikverdrossenheit gibt.

"Krone": Sie setzen auf "schwarze Schwarmintelligenz"?
Mitterlehner: Kann man sagen. Guter Ausdruck!

"Krone": Sie haben die ÖVP als "liberal-konservativ" bezeichnet. Warum steht liberal an erster Stelle?
Mitterlehner: Weil es zeigt, dass wir den Veränderungen, die die Zeit vorgibt, Rechnung tragen, dabei aber auf einem stabilen Wertefundament stehen. Beides ergibt eine unverwechselbare Komponente.

"Krone": Sind Sie selbst im Grunde Ihres Herzens eher ein Reformer oder doch ein Bewahrer, wie auch einige Ihrer Parteifreunde behaupten?
Mitterlehner: Würde ich ein reiner Klientel-Vertreter sein, dann wäre ich wahrscheinlich in einer Interessenvertretung geblieben. Aber zu Ihrer Frage: Ich ordne mich nicht gerne ein. Bei unserer Europalinie bin ich ein kontinuierlicher Mensch. In Sachen Pensionen, Arbeitsmarkt, Verwaltung sehe ich mich als Reformer. Wir sind wirtschaftlich leider auf die Kriechspur gekommen. Daher müssen wir jetzt einen Sprung nach vorne machen, und dabei würde ich mir schon einen Regierungspartner mit etwas mehr Dynamik wünschen.

"Krone": Sie glauben, dass die ÖVP mehr Dynamik an den Tag legt?
Mitterlehner: Ja, Sie brauchen nur unser Team anzuschauen. Schelling, Mahrer, Kurz... Unser Team steht für Zukunftsorientierung!

"Krone": Bei der Steuerreform hat sich der Finanzminister über die Maßen etabliert. Stiehlt Schelling Ihnen die Show?
Mitterlehner: Ich habe Hans-Jörg Schelling geholt und kenne ihn von früher, genauso wie Harald Mahrer. Also ich glaube das nicht und wenn es so wäre, dann würde ich mich freuen. Wir gewinnen im Team und wir verlieren im Team. Also sein Erfolg ist mein Erfolg und wir beide sind uns dessen nicht nur bewusst, sondern wir arbeiten genau in der Richtung. Also Sie können sicher sein, wir lassen uns da nicht im Geringsten auseinanderdividieren.

"Krone": Hand aufs Herz: Gibt es da kein Fünkchen Neid, wenn Schelling und auch Kurz bei den Rankings vor Ihnen liegen?
Mitterlehner: Ich bin jetzt schon so lange in der Politik... Ich glaube, über Neid erhaben zu sein.

"Krone": Sie glauben?
Mitterlehner: Werte gehen auf und ab. Ich habe in den letzten sieben Jahren auch immer gute Werte gehabt und war in den Rankings auch schon vorne. Das aber ist nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt ist, wie wir mittelfristig beim Wähler wahrgenommen werden. Gegenüber diesem Ziel ist alles andere nebensächlich.

"Krone": In Brüssel wurde diese Woche das Freihandelsabkommen TTIP neu verhandelt. Bleiben Sie bei Ihrer strikten Pro-TTIP-Linie?
Mitterlehner: Ich habe keine bedingungslose Pro-Linie. Ich möchte ein qualitativ gutes Abkommen. Ich habe einen positiv-kontrollierenden und nicht einen negativ-abwehrenden Zugang.

"Krone": Aber können private Schiedsgerichte - Stichwort ISDS-Klausel - Teil des Vertrags sein?
Mitterlehner: Sie müssen nicht Teil des Vertrags sein. Die Kommissarin hat ja schon einen verbesserten Versuch vorgelegt und den werden wir diskutieren.

"Krone": 61 Prozent befürchten laut aktueller Umfrage Nachteile: Verstehen Sie diese Ängste?
Mitterlehner: Die Ängste verstehe ich, aber ich bin jemand, der die Ängste nicht schürt, sondern beseitigen möchte, und zwar durch Klarheit und durch Qualität.

"Krone": Die zuletzt veröffentlichten Rekordarbeitslosenzahlen sind ein ziemliches Desaster. Die Entfesselung der Wirtschaft hat noch nicht ganz funktioniert, oder?
Mitterlehner: (Dieses Hölzerl nehme ich nicht auf, scheint er jetzt zu denken) Das ist zu vereinfachend, das Leben ist leider viel komplexer. Wir müssen das systematisch angehen und die Wirtschaft tatsächlich von Bürokratie und Überregulierung befreien. Zusätzlich brauchen wir eine neue Gründerwelle in Österreich.

"Krone": Herr Mitterlehner, Sie werden im Dezember 60. Werden Sie es noch schaffen, Kanzler zu werden?
Mitterlehner: Es geht mir nicht um den Machtanspruch. Ich möchte, dass mein Team und ich Reformen besser und schneller vorwärts bringen, als sich das momentan andere zutrauen. Wenn wir dafür bei den nächsten Wahlen das entsprechende Vertrauen kriegen, dann würde ich der Kriechspur.

"Krone": Sie haben im Interview ausschließlich männliche Minister genannt. Hängt Ihnen das Foto noch nach, auf dem die ÖVP-Frauen in der zweiten Reihe schmachten?
Mitterlehner: Das Foto hat mich geärgert, weil es erstens nicht intendiert war und zweitens die Politik absolut nicht widerspiegelt. Sicher, wir brauchen noch mehr Frauen an der Spitze. Darauf werden wir auch bei einer Neukonstellation zu achten haben. Ich selber lebe es bei mir vor: In meinem Ministerium gibt es vier Sektionschefinnen und vier Sektionschefs. Also genau die Hälfte.

"Krone": Am Sonntag ist Muttertag - was verdanken Sie Ihrer Mutter?
Mitterlehner: Die trivial-logische Antwort wäre: Das Leben. Aber ich verdanke meiner Mutter neben dem Gefühl von Geborgenheit und dem Charakterzug der Geradlinigkeit auch eine ungeheure Unterstützung. Sie hat darauf geachtet, dass wir Kinder als Eintrittskarte in unser Leben alle etwas lernen konnten. Ein Privileg, das in ihrer eigenen Kindheit nur die älteste Schwester hatte. Wir sind sechs Kinder, und noch keines war auch nur einen Tag arbeitslos. Aber es arbeitet auch keines meiner Geschwister im Ort, in dem wir geboren wurden. Also, und jetzt sind wir wieder bei der Politik: Du brauchst neben Bildung und Qualifikation auch Mobilität und Veränderungsbereitschaft, um erfolgreich zu sein.

Seine Karriere
Geboren am 10. Dezember 1955 in Helfenberg, OÖ. Der Vater ist Polizeiinspektor, die Mutter Buchhalterin. Nach dem Jus-Studium startet er seine Karriere in der Wirtschaftskammer. 2008 wird er Wirtschaftsminister. Ende August 2014 folgt er Michael Spindelegger als ÖVP-Obmann und Vizekanzler nach. Verheiratet seit 10. Oktober 1992 mit Anna-Maria. Er hat drei Töchter: Stefanie (18), Elisabeth (23) und Martina (39).

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