Ausprobiert

“HTC Vive”: Erweckungserlebnis im virtuellen Raum

Elektronik
15.08.2015 08:30
Ein halbes Jahr ist es her, dass HTC seine in Zusammenarbeit mit dem Gaming-Spezialisten Valve entwickelte Virtual-Reality-Brille "Vive" auf dem Mobile World Congress enthüllt hat. Auf der Gamescom in Köln nutzte der taiwanesische Smartphone-Spezialist jetzt die Gelegenheit, Journalisten erste Einblicke in die faszinierende Technologie zu geben. krone.at-Redakteur Sebastian Räuchle schildert sein Virtual-Reality-Erweckungserlebnis.

Freitagmorgen, kurz vor neun Uhr. Ich melde mich beim HTC-Stand im Business-Center zum verabredeten "Vive Demo"-Termin. Die Messe hat noch nicht offiziell geöffnet und trotzdem belagern bereits zahlreiche Interessierte die Empfangsdamen. Das Interesse an Virtual Reality ist offenbar enorm. Warum, das wird mir nur wenige Minuten später bewusst. Ich werde in einen abgedunkelten, nahezu leeren Raum geführt und bekomme sogleich die Brille samt Kopfhörer aufgesetzt. Obwohl sie leicht auf die Nase drückt, trägt sie sich angenehmer als Sonys kurz zuvor ausprobiertes "Project Morpheus". Grund dafür: Anstatt mit Gummi, das im Inneren schnell für tropischen Hitzestau sorgt, ist die Vive-Brille mit leichterem Schaumstoff abgedichtet.

Verloren im virtuellen Raum
Und noch ein Unterschied zum Sony-Produkt fällt sofort ins Auge: Das Bild - 1200 x 1080 Pixel vor jeder Pupille bei 90 Frames pro Sekunde - ist gestochen scharf, ohne dass ich dafür an einem Visier herumschieben müsste. Für das Erleben elementar aber ist, dass ich im Gegensatz zur Sony-Demo nicht sitze, sondern mich frei im virtuellen Raum bewegen kann. Zwei mal zwei Meter sollten Nutzer dafür mindestens zur Verfügung haben, erklärt mir HTC. Für seine Demo hat der Hersteller eine doppelt so große Fläche "abgesteckt", die mittels zweier SteamVR-Basisstationen per Laser abgetastet wird, um meine physische Position zu orten. Die Bewegungen meines Kopfes werden indes von der Brille erfasst: Ein integrierter Gyro-, ein Beschleunigungs- und ein Laser-Positionssensor sollen die Rotation des Kopfes auf ein Zehntel Grad genau berechnen.

Für mich selbst ist zunächst nur wichtig, dass ich, blind für die reale Außenwelt, wie ich nun mal bin, nicht über das Datenkabel stolpere, das von meinem Kopf baumelt, oder gegen die Wand laufe. Um das zu vermeiden, wird mir dankenswerterweise rechtzeitig im virtuellen Raum ein blau-leuchtendes Gitter angezeigt. Als Kind der 80er weckt das bei mir zwangsweise Erinnerungen an "Tron". Die Grenzen zwischen realem und virtuellem Raum verwischen endgültig, als ich in der ersten Demo in einem ansonsten leeren Gitter-Raum (die "Matrix" lässt grüßen) meine Hände nach dem vor mir schwebenden Controller-Paar ausstrecke - und daraufhin vom HTC-Präsentator deren reale Entsprechung in die Hand gedrückt bekomme.

Virtual-Reality-Erweckungserlebnis
Über das Touchpad des Controllers kann ich nun mit dem Daumen eine Farbe auswählen und anschließend mit dem auf der Rückseite des Controllers befindlichen Trigger per Zeigefinger einen der Farbe entsprechenden Luftballon virtuell aufpumpen und diesen mit dem Controller anstupsen. Nett. Mein Virtual-Reality-Erweckungserlebnis habe ich allerdings erst in Demo Nummer zwei: Ich befinde mich unter Wasser, an Deck eines gesunkenen Schiffes. Kleinere Fischschwärme ziehen an mir vorbei, und als ich meinen Blick nach oben richte, wo sich die Sonnenstrahlen an der Meeresoberfläche brechen, sehe ich einen Mantarochen über mir "fliegen". Ich blicke wieder über die Reling, drehe meinen Kopf zur Seite, und da taucht er plötzlich auf - majestätisch und gigantisch: ein Blauwal (siehe Video oben).

Wie Gulliver in Liliput
Er zieht ganz langsam an mir vorüber und sieht mich mit seinem sanften Auge an. "Wahnsinn", denke ich und träume bereits von einer Zukunft, in der ich abends nach der Arbeit beim virtuellen Whale-Watching auf der Couch entspannen kann. Von dem soeben Gesehenen noch immer völlig fasziniert, werde ich von der HTC-Brille jedoch bereits ins nächste Extrem befördert. Kam ich mir im Angesicht des Wales vor wenigen Sekunden noch unglaublich klein vor, throne ich jetzt wie ein Riese über einem Miniatur-Schlachtfeld. Zu meinen Füßen ziehen winzige Panzer und Soldaten über hügeliges Grasland in Richtung einer Burg. Auf Anraten des Präsentators gehe ich in die Hocke, und plötzlich lösen sich aus dem Gesamtbild einzelne Details heraus, wie zum Beispiel ein Soldat, der unter einem Baum liegend Pfeife raucht.

Genau so muss sich Gulliver auf Liliput auch gefühlt haben. Zu gerne würde ich die einzelnen Figuren angreifen und mit ihnen interagieren, was in dieser Demo technisch jedoch leider nicht möglich ist. Man stelle sich aber nur einmal vor, wie sich dieses virtuelle Erlebnis in naher Zukunft etwa für Spielzeughersteller wie Playmobil oder Lego nutzen ließe…

Probekochen für den Ernstfall?
Ein wenig auf den Boden der Realität (bloß welcher?) zurückgeholt werde ich in Demo Nummer drei. In einer eher stilisierten Restaurantküche darf ich mich als Koch versuchen und Essen gemäß der großen Schautafel vor mir zubereiten. Mit echtem Kochen hat das allerdings wenig zu tun: Mithilfe der Controller werfe ich etwas unbeholfen Zwiebeln und Tomaten in den vor mir am Herd stehenden Topf, um ein Süppchen zu kochen. Das Ei-Steak-Sandwich gestaltet sich schon schwieriger, zumindest bilde ich mir das zunächst ein. Ich hole das Ei aus dem Kühlschrank und greife nach der Pfanne, um wie verlangt ein Spiegelei zu braten, doch so komplex ist die Simulation leider nicht: Die Pfanne braucht es nicht, es genügt, das Ei einfach fallenzulassen - fertig ist das Spiegelei. Noch kurz das Steak auf den Herd, dann schlichte ich alles mehr schlecht als recht übereinander und haue auf die Servierglocke.

Wenngleich sehr einfach gehalten, macht diese Demo bereits deutlich, wohin die virtuelle Reise auch abseits des Gamings gehen kann. So soll die Brille laut HTC beispielsweise auch zu Schulungszwecken verwendet werden. Die Koch-Demo zeigt dabei, wie sich Arbeitsabläufe spielerisch und noch dazu gefahrlos trainieren lassen. Ob virtuell Gekochtes letzten Endes auch tatsächlich schmeckt, ist allerdings eine ganz andere Frage.

Dreidimensionale Kunst
Kreativ zur Sache geht es in der nächsten Demo: Ich darf malen. Der eine Controller fungiert dabei als Malerpalette, aus der ich mit dem anderen die gewünschte Farbe wähle. Auch einige "Stempelvorlagen" wie Schneeflocken oder ein Regenbogen stehen zur Auswahl. Was zunächst nicht sonderlich originell und spannend klingt, hat in der virtuellen Realität dennoch seinen ganz besonderen Reiz. Denn: Sämtliche "Kunstwerke" sind dreidimensional. So kann ich etwa unter dem von mir gemalten Regenbogen hindurchgehen oder meine Signatur aus allen Winkeln betrachten.

Fantastisch wird es dann noch einmal in der fünften und letzten Demo, die mich in den geheimen Laden des Händlers aus dem Echtzeitstrategiespiel "DotA" verschlägt. Hier gilt es, versteckte Interaktionspunkte ausfindig zu machen und zu aktivieren. Eine der Folgen: Ich schrumpfe auf Miniaturformat und stehe neben einem Frosch, der mit unverhofft seine Zunge entgegenschnalzt. Eine andere: Ich blicke zum rissigen Holzdach, sehe, wie sich der Himmel verfinstert und wie plötzlich ein grimmig dreinschauender Dämon auf mich herabsieht und die Zähne fletscht…

Nach gerade einmal 20 Minuten bin ich wieder zurück in der echten Realität und verstehe erst jetzt so richtig, was die Faszination an der virtuellen Realität ausmacht: das Gefühl, mittendrin zu sein und in einer Geschichte völlig aufzugehen. Ein Spiel wie "The Witcher" (oder von mir aus auch "Call of Duty") auf diese Art erleben zu können, muss ebenso beeindruckend wie emotional bewegend sein, eröffnet die Technik doch ganz neue Möglichkeiten des Story-Tellings. Für den Anfang würde ich mich allerdings auch schon mit dem Wal-Aquarium zufrieden geben.

Noch viele offene Fragen
Immerhin: HTC möchte seine Virtual-Reality-Brille noch dieses Jahr auf den Markt bringen. Damit dürfte die Vive noch vor Sonys Project Morpheus oder der Oculus Rift auf dem Markt erscheinen. Noch völlig unklar ist allerdings, was die laut Herstellerangaben "im oberen Preissegment" angesiedelte Brille dann zu leisten vermag. Die Demonstrationen waren allesamt beeindruckend, wirklich abendfüllendte Angaben zu den unterstützten Inhalten. Bis auf die Nennung einiger weniger - weitgehend unbekannter - Namen aus der Spielebranche sowie Partner aus der Filmindustrie wie HBO und Lionsgate gibt sich HTC noch sehr zurückhaltend, was Inhalte für seine Brille anbelangt. Genau von diesen wird aber letztlich abhängen, ob sich das Thema Virtual Reality nun endgültig für die Massen erschließt oder auch in Zukunft ein Nischenprodukt bleiben wird.

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