"Ich bin von Whisky auf Wodka umgestiegen", tönte es in den letzten Tagen und Wochen aus den Zeitungen, Fernsehsendern und Radiogeräten auf der ganzen Welt. Musikalische Insider wissen natürlich, dass es sich bei diesem Zitat nur um Lemmy Kilmister, seines Zeichens 69-jährige Legende, Frontmann von Motörhead und für viele Szenekundige die letzte Inkarnation eines echten Mannes handelt. Dieses Zitat spiegelt aber auch eindeutig wieder, welchen Stellenwert der Wahlamerikaner auf dem Erdenrund besitzt. Einst als schrammelige Rock/Punk-Band mit mangelndem Talent verschrien, entwickelte sich nicht nur seine Band Motörhead, sondern vor allem auch Lemmy selbst zur Blaupause des "echten Rock-'n'-Roll".
Spuren des Exzesses
Der Wodka-Orange schwingt auch beim "Krone"-Interview im Backstage-Zelt des Nova-Rock-Festivals in der linken Hand des Hutträgers mit der markanten Krempe. Die rechte braucht er, um genüsslich an der Zigarette zu ziehen, wenn er nicht gerade auf jede zweite Frage seine Lieblingsantwort gibt: "Fuck 'em!" Lemmy ist mittlerweile bedenklich dünn geworden, die Performance des "Rockgottes" beim Nova Rock war bemüht, aber auch etwas traurig - der über viele Jahrzehnte betriebene, exzessive Lebensstil erwischt früher oder später eben jeden. Doch ein Lemmy Kilmister kennt keine Pause. Auf niemand anderen würde der Iron-Maiden-Songtitel "Die With Your Boots On" besser passen - Lemmy wünscht man ein hoffentlich noch in weiter Ferne befindliches Ende am besten auf der Bühne, vor 50.000 begeisterten "Motörpeople" beim Eingangsriff von "Ace Of Spades" oder dem aufwühlenden "Orgasmatron".
Doch glücklicherweise befindet sich das fidele Trio zumindest auf Albumformat in Topform. Rechtzeitig zum 40. Bandgeburtstag beschenkten sich Motörhead mit der vielleicht stärksten Platte der letzten zwei Dekaden. "Bad Magic", eine unmissverständliche als auch klare Botschaft voller Kompromisslosigkeit, Rock-'n'-Roll-Vibes und Freude an der Sache. "Mit zunehmendem Alter ist das Rocken nicht mehr so einfach", erzählt uns Lemmy nuschelnd und im breitesten Akzent, "aber im Studio ist es noch kein Problem". Die Zeiten, wo Lemmy für sämtliche Motörhead-Hymnen verantwortlich war, sind längst vorüber. Gitarrist Phil Campbell, für gewöhnlich wortkarg, aber kreativ, kümmert sich heute um das Gros der Kompositionen - vielleicht auch der Grund, warum das 23. Album so frisch klingt, als ob ein Rudel Mittdreißiger das Inventar einer Proberaumgarage zerlegen wollte.
Sieg oder Tod
Bereits der Opener "Victory Or Die" ist eine aggressive Kampfansage, die gnadenlos und ebenso rastlos durch die Gehörgänge hämmert. "Der Titel spricht ja für sich", erzählt Lemmy und lacht in seiner unnachahmlich juvenilen und spitzbübischen Art, "gewinne oder stirb. Wie bei allen Sachen im Leben musst du immer dein Bestes geben, ansonsten wirst du verdammt noch mal sterben." Im Gegensatz zu den Vorgängerplatten wie "Aftershock" oder "The Wörld Is Yours" klingen Lemmy und Co. auf "Bad Magic" in vielen Bereichen leichtfüßiger, befreiter und entspannter. Songs wie "Fire Storm Hotel", "Electricity" oder "Tell Me Who To Kill" streifen schon im Titel genüsslich sämtliche Rock-Klischees und dienen in vertonter Form als ideale Sommerbeschallung für das lederjackenbehangene Bikergrillen im Vorstadt-Vorgarten.
Im Alter lädt Lemmy auch gerne mal gute Freunde zur großen Party, so in dem Fall Queen-Gitarrist Brian May, der auf "The Devil" ein Gastsolo beisteuern darf und damit das wilde Treiben zumindest für einige Sekunden entschärft. Die wahre Überraschung findet sich dann aber ganz am Ende - der bekennende Beatles-Fan covert doch tatsächlich die Rolling-Stones-Kultnummer "Sympathy For The Devil". Doch warum eigentlich? "Niemand kann einen Beatles-Song besser spielen als die Beatles selbst, das ist absolut unmöglich." Und bei einem Stones-Song funktioniert das? "Klar, das kannst du doch eindeutig hören, oder nicht?" Die Selbstsicherheit sei Lemmy aufgrund des starken Ergebnisses gewährt, dass er die Lust am Musikmachen und dem Rock-'n'-Roll auch mit knapp 70 noch nicht verloren hat, ist spätestens mit diesem rasanten Alterswerk eindeutig bewiesen.
Mehr neue Songs, weniger Konzerte
Das Problem der Motörhead der Gegenwart liegt ohnehin nicht bei den Studioaufnahmen, sondern angesichts Lemmys vakantem Gesundheitszustands an den Liveauftritten. "Die Shows selber sind nicht das Problem", erläutert er, "aber das viele Reisen macht mir zu schaffen. Oft pendeln wir allein in einem einzigen Monat drei- bis viermal zwischen verschiedenen Kontinenten. Livespielen ist mein Leben, aber leider kommt es auch bei mir auf die Gesundheit an. Mein Körper muss schon mitspielen, wenn wir so weitermachen wollen. Ich glaube dennoch, die Touren werden weniger und das Schreiben neuer Musik häuft sich bei uns."
Im Gespräch ist Lemmy wachsam und witzig. Er liebt es, seine Interviewpartner aus dem Konzept zu bringen, Themen zu wechseln und das Ruder in die Hand zu nehmen. Zudem ist ein Gespräch mit Lemmy Kilmister etwas, dass es in einer oberflächlichen Welt der PR-getriebenen Künstlermarionetten nur mehr allzu selten gibt: Es ist echt. Lemmy, wer wird die Festivals headlinen, wenn Motörhead, KISS und AC/DC einmal in Pension gehen? "Mir scheißegal, dann bin ich sowieso nicht mehr auf der Welt." Was sagen deine Ärzte dazu, dass du zwar keinen Whisky, aber immer noch Wodka trinkst? "Das kratzt mich doch nicht, was die sagen. Fuck 'em!" Würdest du in der heutigen Zeit noch einmal mit einer neuen Band durchstarten? "Mit Motörhead auf jeden Fall. Ich scheiß auf alle Plattenfirmen und ziehe sowieso mein Ding durch."
Kein Heavy Metal!
Aufregen tun Lemmy auch nach wie vor falsche Kategorisierungen. Dass sich so ziemlich jede Heavy-Metal-Band des Erdballs auf Motörhead als Inspirationsquelle beruft, ist dem Mastermind - erraten - scheißegal. "Ich verabscheue diesen Ausdruck sogar. Wir sind eine Rock-'n'-Roll-Band, inspiriert von den großen Rock-'n'-Roll-Musikern der alten Tage. Wer Heavy Metal spielt oder nicht, interessiert mich nicht. Wir tun es jedenfalls nicht." Wie auch immer man die Songs auf "Bad Magic" klassifizieren möchte, Motörhead sind glücklicherweise in bestechender Altersform. Und wer, wie Lemmy, am selben Datum Geburtstag feiert wie Jesus, den darf auch ruhig kultische Rock-'n'-Roll-Heiligkeit umwehen.
Wer in den seltenen Genuss einer Motörhead-Clubshow in Österreich kommen möchte, hat nächstes Jahr gleich zwei Gelegenheiten dazu. Am 14. Februar werden Lemmy und Co. ganz sicher keine handelsübliche Valentinsstimmung in der Wiener Stadthalle aufkommen lassen. Tags darauf sind sie in der Linzerarena zu sehen. Bei den Karten heißt es da wohl schnell sein. Tickets gibt es unter 01/960 96 999 oder im "Krone"-Ticketshop.
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