"Krone": Bruce, Gratulation zu eurem brandneuen Doppelalbum "The Book Of Souls" – ich habe es mir vor diesem Gespräch zweimal angehört und das hat insgesamt mehr drei Stunden veranschlagt.
Bruce Dickinson: (lacht) Möglicherweise ist das Teil tatsächlich noch etwas epischer geworden als alle anderen, die wir bislang gemacht haben. So schnell kann's gehen.
"Krone": Bevor wir weiter über das Album reden, will ich dich aber fragen, wie es dir gesundheitlich geht? Bei dir wurde Anfang des Jahres ein Krebstumor auf der Zunge diagnostiziert – der letzte Stand war, dass du auf einem wirklich guten Weg bist.
Dickinson: So übel sehe ich nicht aus oder? (lacht) Wir haben letztes Jahr das Album aufgenommen und ich bin zufällig draufgekommen, dass ich einen 3,5 Zentimeter dicken Tumor auf meiner Zunge hatte. Ich habe das ganze Album so aufgenommen. Ich hatte noch einen zweiten Tumor, der in meinen Lymphknoten gewachsen ist – das hat mich dann zu den Ärzten gebraucht. Unglücklicherweise ist das leider ziemlich normal – all das passierte im Dezember. Am 5. Jänner habe ich mit der Chemotherapie gestartet, die neun Wochen lang gedauert hat. Zur selben Zeit hatte ich 33 Sessions mit einer Strahlentherapie. Ich war nie im Spital, sondern habe mich zu Hause pflegen lassen. Als ich meine letzten Strahlentherapie hatte, das war Ende Februar, haben wir offiziell bekanntgegeben, dass ich krank war. Ich wollte die Therapie zuerst einfach beenden.
"Krone": Du leitest perfekt über zu meiner nächsten Frage – warum habt ihr diese Geschichte überhaupt so schnell in die Öffentlichkeit gegeben?
Dickinson: Unglücklicherweise hatten wir eine Tour geplant und mit vielen Veranstaltern wurde schon alles ausgemacht. Die Promoter wussten auch Bescheid und sie haben unser Management angerufen, wie sie jetzt agieren sollten. Es ist alles auch eine Frage des Geldes und natürlich wollten sie wissen, was jetzt passieren würde, wie wir verfahren würden. Außerdem entstehen daraus schnell Gerüchte und das interessiert uns nicht, also mussten wir die Sache bekanntgeben. Ich wollte einfach nur warten, bis die Behandlungen beendet sind, damit es mir hoffentlich schon besser ging, wenn die Leute davon erfahren würden. Das war die Idee und die haben wir auch sehr gut umgesetzt. Etwa Ende Mai hatte ich noch einmal eine Kontrolle und da war dann glücklicherweise alles klar und alle Tumore völlig verschwunden. Ich kann also bis jetzt auf Holz klopfen. Derzeit gehe ich einmal pro Monat zum Arzt, um mich visuell untersuchen zu lassen. Das wird noch zwei bis drei Jahre so gehen, es wird dann wahrscheinlich etwas weniger wird. Mein Krebsarzt aus der Onkologie ist aber sehr zufrieden mit meinem Heilungsverlauf und er meint, es würde unüblich schnell gehen. (lacht)
"Krone": Hat das eigentlich dein Stimmvolumen, deine Art des Singens in irgendeiner Art und Weise verändert?
Dickinson: Die Stimmbänder sind davon überhaupt nicht betroffen, das hängt in keiner Weise zusammen. Durch die technologischen Fortschritte können sie die Bestrahlungstherapie heute bereits so genau ansetzen, dass sie nicht mehr unabsichtlich andere Organe deines Körpers schädigt. Das ist ziemlich cool und wichtig. Ich musste von Anfang an unbedingt genau wissen, wie dort was funktioniert. Ein typischer Pilot halt. (lacht)
"Krone": Kommen wir zur Musik – du hast schon gesagt, dass das Album bereits im Vorjahr aufgenommen wurde und zwar in Paris, dem Ort, wo ihr zur Jahrtausendwende auch "Brave New World" eingespielt habt, dein Comeback nach deinem mehrjährigen Ausstieg aus der Band. Wolltet ihr damit die schöne Nostalgie von damals heraufbeschwören?
Dickinson: Gar nicht so wirklich, aber das Guillaume Tell Studio ist dort einfach genial. Normalerweise proben wir vorher und gehen dann ins Studio, aber es war gerade zufällig frei und wir haben uns gefragt, warum wir denn nicht gleich auch für die Proben und das Songwriting dorthin gehen könnten? Einfach, um dort alles auf einmal zu machen. Wir hatten vorher etwa zwei oder drei aufnahmefähige Songs, aber der Rest nahm seine Formen tatsächlich erst im Pariser Studio an. Manche waren etwa zur Hälfte fertig, aber wir haben dort einfach hart gearbeitet und alles simultan zueinander eingespielt. Wir haben wie in einem Büro von Montag bis Freitag zusammengespielt, abends und am Wochenende hat dann jeder für sich individuell geschrieben. Wir waren sehr konsequent – wenn wir am Montag an einem Song zu arbeiten begannen, haben wir solange daran gearbeitet, bis ihn jeder konnte und er aufnahmefähig war. Und dann der nächste und der nächste. Während all dieser Songs habe ich daneben immer an "Empire Of The Clouds" geschrieben. Ich hatte ein paar Teile des Songs zusammen, aber im Studio stand plötzlich ein Steinway-Flügel und das war mein Ende. Ich habe zuhause so ein kleines elektronisches Piano, auf dem ich oft herumklimpere, aber plötzlich stand dieses Teil vor mir. Das hat mich komplett weggeblasen. (lacht) Ich hatte plötzlich all diese Ideen und wusste sofort, dass dieser Song episch wird.
"Krone": Es war also nicht der Plan, dass der Song mit 18 Minuten Spielzeit das bisher größte Masterpiece der Bandgeschichte wird? Ich kann mich erinnern, dass du dich früher oft humorvoll darüber mokiert hast, dass Bassist Steve Harris so viele überlange Songs schrieb.
Dickinson: (lacht) Ich wusste schon, dass der Song sehr lang wird, weil ich auch eine ganze Geschichte darin verpacken wollte, aber mein Gott, wer denkt da schon an 18 Minuten? Es war unser Drummer Nicko McBrain, der schlussendlich mit den Soundeffekten am Ende herankam. Die klingen sehr orchestral und wurden mit einem Violinenbogen gemacht. Ein sehr verrückter, erschreckender Sound, der sehr nach Metal klingt und einfach brillant war. Über diesen horrösen Sound des Geigenbogens habe ich dann den rhythmischen Klaviersound gelegt – das ist wirklich ein Endzeit-Sound. Viele Ideen in diese Richtung sind so oder so ähnlich direkt im Studio entstanden.
"Krone": Ein bestimmtes Konzept wollt ihr mit "The Book Of Souls" aber nicht erzählen?
Dickinson: Nein, es ist auf keinen Fall ein Konzeptalbum. Nimm nur mal den ersten Song, "If Eternity Should Fail", heran. Der war komplett für ein Soloalbum von mir geschrieben. Ich hatte fünf Demos, die Steve interessierten und zwei Songs davon könnte man sofort für Maiden verwenden und einer davon war eben dieser. Der andere Song war aus den Sessions meines Soloalbums "Accident Of Birth", das 1997 erschien. Er heißt "Nightmares" und wurde nie für das Album aufgenommen. Der Track wurde aber von mir und Roy Z geschrieben, also konnten wir ihn nicht für "The Book Of Souls" verwenden. "If Eternity Should Fail" war aber ganz meine Nummer und es geht darum um eine fremde Maschine, die die Seele der Menschen stiehlt. Der böse Mann in der Geschichte war Dr. Necropolis und der gute Professor Lazarus. Davon handeln die Spoken Words am Ende. Steve wollte den Song jedenfalls für Maiden, ich stimmte zu und er meinte nur, er müsse länger werden. Ist der Song nicht schon lange genug? (lacht) Nun gut, also schrieb ich einen Extra-Vers und außerdem ist es meines Wissens nach der einzige Maiden-Song, den wir in Drop-D aufgenommen haben. Die gesprochenen Wörter am Ende drehen sich um Seelen und das gefiel Steve natürlich. Es hat aber nichts mit dem Rest des Albums zu tun, das gesamte Konzept war ja ein anderes. Ich kannte mich anfangs auch nicht genau aus, aber Steve wollte das unbedingt so.
"Krone": Und die restlichen Songs hängen auch nicht miteinander zusammen?
Dickinson: Nein. Falls es so rüberkommt, dann nur aufgrund einiger seltsamer Synchronisationen, die aber sicher nicht geplant wurden.
"Krone": Das epische "Empire Of The Clouds" kommt aber ganz aus deiner Feder und war nur für Iron Maiden gedacht. Da stellt sich trotzdem die Frage, warum es 26 lange Jahre, seit dem Hit "Bring Your Daughter… To The Slaughter", gedauert hat, bis du wieder mal ganz alleine Songs für die Band beisteuerst?
Dickinson: (lacht) Ich bin wohl ein bisschen faul. Als ich meine Solokarriere hatte, war ich unheimlich produktiv. Ich habe vier Studioalben in vier Jahren geschrieben – das passierte alles zwischen 1994 und 1998. Da flossen die Ideen nur so aus mir raus. Ich denke als ich zu Maiden zurückkam war es für mich eine unglaubliche Erleichterung, dass auch alle anderen an Songs arbeiteten. (lacht) Auf "Brave New World" habe ich ziemlich viel gemacht und es hat damals so gewirkt, als ob die anderen eigentlich keinen großen Bock darauf hatten. Wie auch immer. Ich musste nichts beweisen oder so, aber es hat dann einfach funktioniert. Auf diesem Album jetzt habe ich auch noch zwei Songs mit unserem Gitarristen Adrian Smith geschrieben. "Speed Of Light" und "Death Or Glory", die eher kürzeren, schnelleren, kompakteren Nummern, die auch als Singles ausgekoppelt werden können. Als sich aber die Idee zu "Empire Of The Clouds" entwickelte, war ich selbst wie gebannt und wollte das Ganze unbedingt ambitioniert weiterverfolgen. Ich wollte etwas machen, was wir niemals zuvor gemacht haben.
"Krone": Das wäre doch etwas, wenn ihr die 18-Minuten-Nummer in ihrer vollen Pracht auch live spielen würdet.
Dickinson: Ich denke aber nicht, denn ich kann mir diesen Song nicht auf der Bühne vorstellen. Ich bin mir nicht sicher, wie wir ihn einbauen könnten. Er würde das gesamte Set dominieren und alles dahinter verblassen lassen. Vorher würden vielleicht alle seufzen und sich denken: "Okay, da kommt jetzt ,Empire'" – und danach würden sie wahrscheinlich erst mal gebannt vor der Bühne stehen und sich zurecht die Frage stellen, was denn jetzt noch kommen sollte?
"Krone": Wie wäre es mit dem zweitlängsten Song, "Rime Of The Ancient Mariner"?
Dickinson: Selbst der ist wesentlich leichter live zu performen, weil er nicht so komplex ist wie "Empire Of The Clouds". Es gibt einfach zu viele Rhythmus- und Stilwechsel und wir hätten natürlich das Zusatzproblem, dass wir jemand wirklich Kundigen und Guten benötigen würden, der die Orchesterparts auch richtig rüberbringt. Wir haben aber schon intern darüber diskutiert, was wir machen könnten, falls dieser Song bei den Menschen wirklich so gut ankommen würde. Man könnte den Song zu einem etwa 40-minütigen Spoken-Word-Stück erweitern und es quasi extra – nicht zwingend unter dem Banner Iron Maiden – aufführen. Mit Orchester, einem Interlude und visuellen Effekten, die mitreinspielen. Dann könnte man noch sechs oder sieben Songs als Rock-'n'-Roll-Band nachschieben – das wäre doch Entertainment in Reinkultur. Ein völlig von den Maiden-Wurzeln abgetrenntes Ding, das sicher gut ankommen würde. Es ist ein netter Tagtraum, aber jetzt liegt der Fokus auf Iron Maiden, auf das Doppelalbum "The Book Of Souls" und die Tour, bei der wir noch die Termine finalisieren werden. Jedenfalls steht auch Österreich am Plan.
"Krone": Viele Menschen haben in eurem letzten Studioalbum "The Final Frontier" das Ende von Iron Maiden hineininterpretiert. Für viele klang auch der Albumtitel an sich als Schlusspunkt eurer glanzvollen Karriere. Habt ihr denn wirklich jemals für euch selbst darüber nachgedacht?
Dickinson: Spätestens als wir aktiv an "The Final Frontier" gearbeitet haben wussten wir alle, dass das noch nicht das letzte Kapitel der Band sein könnte. Dafür hatten wir einfach viel zu viel Spaß beim Aufnahmeprozess. Um ehrlich zu dir zu sein – wenn es nach mir geht, dann gehen wir schon bald wieder ins Studio und machen gleich wieder weiter. Ich wäre jedenfalls noch hungrig auf mehr. Das gilt aber für mich. Ich weiß nicht, ob "The Book Of Souls" ein Abschluss ist oder nicht. Wenn aber dieses Album und speziell der Song "Empire Of The Clouds" das Allerletzte ist, was die Menschen von Iron Maiden hören würden, dann könnte ich damit leben. Es wäre doch mit Sicherheit ein würdiger Abschluss.
"Krone": Wenn man an ein Doppelalbum im Heavy Metal denkt, denkt man auch unweigerlich an das ambitionierte Konzeptwerk "Nostradamus" von Judas Priest. Die sind zumindest bei ihren Fans damit ziemlich baden gegangen und das Werk scheint mit Stand jetzt auch nicht unbedingt den "Test Of Time" zu bestehen. Hattet ihr ein derartiges Risiko beim Komponieren eures Werkes mitunter im Hinterkopf?
Dickinson: Nein, das war überhaupt kein Thema. Wir haben überhaupt noch niemals ein Album gemacht, bei dem wir uns Sorgen darüber gemacht haben, was die Iron-Maiden-Fans davon halten würden. Wir sind einfach ziemlich egoistisch. (lacht) Wir machen Alben, um uns selbst zufriedenzustellen und hoffentlich mögen unsere Fans das, was auch wir mögen. Du kannst unmöglich zu viele Sachen in der Zukunft planen. Es war eben auch nie unsere Intention, ein Doppelalbum zu machen, es passierte einfach. Wir waren selbst darüber überrascht, denn heute macht doch niemand mehr ein Doppelalbum. Jemand hat mich schon davor an Judas Priest erinnert und ich antwortete nur, dass ich das längst vergessen hatte. (lacht)
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