"Krone" vor Ort

So leben die Iraner im Reich der Mullahs

Ausland
11.09.2015 17:38
Es ist weit nach Mitternacht: Die Mädchen sind aufgebrezelt wie Christbäume, geschminkt, enge Hosen, das lange Haar hochgesteckt. Sie trinken Daiquiris oder Mojitos, amerikanische Hits dröhnen aus den Autolautsprechern auf der Straße. Auffällig ist nur: Die Frauen haben ihr Haar - lasziv, aber doch - mit bunten Tüchern teilweise bedeckt, die Blusen sind lang und die Drinks alkoholfreie Abwandlungen von Cuba Libre & Co. Wir sind nicht in New York, sondern in Teheran, der Hauptstadt der Islamischen Republik Iran, eines Landes, in dem zwei Parallelwelten existieren - die der Mullahs und die der Straße.

Eines der plakativsten Beispiele für die beiden Parallelwelten, die im Iran existieren - noch dazu eines, in dem sich diese Welten auch in eigentlich absurder Weise überschneiden, ist folgendes: Twitter und Facebook sind als amerikanisches Teufelswerk in der Islamischen Republik verboten und technisch gesperrt. So weit, so klar.

Allerdings verfügen sowohl der oberste Religionsführer Ajatollah Ali Khamenei, also der wirklich starke Mann im Land, als auch Staatspräsident Hassan Rouhani sowohl über einen Twitter-Account als auch über eine Facebook-Seite, über die sie ihre politischen und religiösen Ansichten in die Welt hinausblasen. Und Khamenei nützt das Internet besonders gerne, um den "großen Satan", die USA, zu verteufeln und Israel wieder einmal mit der Vernichtung zu drohen.

Frauen am Steuer sind längst nicht in allen muslimischen Ländern selbstverständlich. (Bild: APA/EPA/ABEDIN TAHERKENAREH)
Frauen am Steuer sind längst nicht in allen muslimischen Ländern selbstverständlich.

Viele Iraner wollen in die USA auswandern
Gleichzeitig nutzen aber auch rund 20 Millionen Iraner die Internet-Netzwerke. Die technischen Sperren umgehen sie mittels VPN-"Datentunneln". Und für viele dieser Internetnutzer ist Amerika keineswegs zu verteufeln, sondern ein Traumland, in das sie gerne auswandern oder in dem sie gerne studieren würden. Alle wissen von dieser Absurdität. Aber das Land lebt damit, als sei dieser Widerspruch das Normalste auf der Welt. Tatsächlich wandern Zehntausende gebildete Iraner in die USA aus, Techniker, Mathematiker etc., sie werden von den USA sogar aktiv abgeworben. In Teheran einem Iraner oder einer Iranerin zu begegnen, die mit US-Akzent Englisch spricht, ist alles andere als außergewöhnlich.

Diese jungen Iranerinnen freuen sich über einen Sieg ihres Fußball-Nationalteams. (Bild: AP)
Diese jungen Iranerinnen freuen sich über einen Sieg ihres Fußball-Nationalteams.

Dieser sogenannte Braindrain ist eines der großen Probleme des Iran. Denn die Schulen und Universitäten dieser alten Kulturnation sind traditionell sehr gut. Und die Bevölkerung ist bildungs-, aufstiegs- und erfolgsorientiert. Ganz anders als in so manchem arabischen Land in der Region. Da aber die Jugendarbeitslosigkeit, obwohl sich die Wirtschaft nach den Jahren der internationalen Isolation wieder zu erfangen scheint, immer noch sehr hoch ist, zieht es sehr viele ins westliche Ausland. Neben den USA ist die EU eines der Traumziele vieler gut ausgebildeter junger Menschen.

60 Prozent der Bevölkerung unter 30
Und junge Menschen hat der Iran im Überfluss: 60 Prozent der Iraner sind unter 30 Jahre alt, 50 Prozent unter 25. Diese Menschen sind der Iran der Zukunft. Und sie brauchen alle einen Job. Auch die Frauen. Denn die Islamische Republik ist keineswegs das schiitische Gegenstück zum rigid-reaktionären, wahhabitisch-sunnitischen Saudi-Arabien, in dem die Frauen weggesperrt und in der Öffentlichkeit unter schwarzen Ganzkörperumhängen mit kleinen Augenschlitzen versteckt werden. Dafür sind die Iranerinnen viel zu stolz, viel zu selbstständig und viel zu gebildet. Die Iraner - und eben auch die Frauen - haben eine ganz andere Tradition, ein ganz anderes Selbstverständnis und Selbstbewusstsein als die Nomadenstämme der arabischen Halbinsel.

Auch McDonald's-Kopien findet man im Iran. (Bild: AP)
Auch McDonald's-Kopien findet man im Iran.

Jugend hofft auf den großen Aufbruch
Außerdem ist der Iran (im Gegensatz zur Wahhabiten-Monarchie) zwar keine lupenreine Demokratie, aber doch ein Land mit mehr oder weniger fairen Wahlen, auch wenn nicht jeder einfach kandidieren darf. Und die letzten Präsidentschaftswahlen haben den moderaten Kleriker Hassan Rohani an die Staatsspitze gebracht - und damit den Atomdeal mit der internationalen Gemeinschaft und das kommende Ende der massiven Wirtschaftssanktionen überhaupt erst möglich gemacht. Mehr als 90 Prozent der Iraner begrüßen das. Und vor allem die Jugend setzt große Hoffnungen in den sich abzeichnenden Aufbruch. Hoffentlich werden diese Träume nicht wieder zerstört.

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