"Schräger Vogel"
Linker Rebell Jeremy Corbyn ist neuer Labour-Chef
Rund 554.000 Labour- und Gewerkschaftsmitglieder sowie erstmals auch registrierte Unterstützer der Partei waren bei der Urwahl stimmberechtigt. Corbyn triumphierte über die drei anderen Kandidaten Andy Burnham, Yvette Cooper und Liz Kendall, welche die Partei weiter in der Mitte verankern wollten. Der 66-Jährige hingegen will Labour weit nach links ausrichten. Nach seinem Wahlsieg rief er dazu auf, in Großbritannien eine "bessere Gesellschaft" aufzubauen.
Vom krassen Außenseiter zum großen Hoffnungsträger
Für viele Briten ist er ein Bürgerschreck, und auch das Establishment seiner eigenen Partei hält ihn für eine Gefahr: Jeremy Corbyn ist erklärter Sozialist und Spargegner. Er startete als krasser Außenseiter in den innerparteilichen Wahlkampf, doch seine Anhängerschaft wuchs ständig. Nach Ansicht seiner Fans bringt er frischen Wind in die Labour Party mit ihrem sozialdemokratischen Kurs. Er hat solchen Zulauf, dass inzwischen sogar von "Corbynmania" die Rede ist. Viele Gewerkschafter und klar links orientierte Labour-Anhänger haben Corbyn zu ihrem Hoffnungsträger erklärt.
Nach dem unternehmens- und marktfreundlichen Kurs von Ex-Premierminister Tony Blair und den Jahren der New Labour hatte zuletzt Ed Miliband als Parteichef versucht, den Kurs wieder etwas nach links zu verschieben. Auch er erkannte aber die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen an - und verlor die Wahl im Mai in Bausch und Bogen gegen Premierminister David Cameron. Miliband trat daraufhin als Parteichef ab.
"Eine ernsthaft radikal-alternative Botschaft rüberbringen"
Nun wurde der neue Parteichef in einer Urwahl bestimmt, die am Donnerstag endete. Corbyn hatte sich zuvor siegessicher gegeben: Unter seiner Führung werde Labour eine "ernsthaft radikal-alternative Botschaft rüberbringen", sagte er. Die große Unterstützung für seinen Wahlkampf zeige, dass es "eine gewaltige politische Bewegung da draußen" gebe, die ihm helfen werde, die Partei auch ohne breiten Rückhalt in der eigenen Parlamentsfraktion zu lenken.
Auftrieb gaben Corbyn die Wahlerfolge der linken Syriza in Griechenland und von Podemos in Spanien. Völlig überraschend wurde der bärtige Vegetarier vom Außenseiter zum Favoriten für die Wahl zum Parteichef - zum Unbehagen vieler Parteigranden. Ex-Premier Blair lancierte kurz vor der Urwahl sogar einen Appell an die Parteimitglieder und warnte vor einer "Selbstzerstörung" von Labour. "Wenn Corbyn der Parteichef wird, bedeutet das Niederlage, vielleicht Vernichtung", schrieb er im "Guardian".
Im Parlament oft gegen den Kurs von Labour gestimmt
Corbyn, der eher ein Mann der leisen Töne ist, wuchs in einer politischen Familie auf - seine Eltern lernten einander im Spanischen Bürgerkrieg kennen. Später arbeitete er für Gewerkschaften, bevor er 1983 zum ersten Mal ins Parlament gewählt wurde. Einen wichtigen Posten hatte er nie inne, dafür setzte er sich für Menschenrechte und Arme ein, forderte die Abschaffung der Atomwaffen und stimmte auch oft gegen den Kurs der eigenen Partei. So lehnte er 2003 den unter Blair vorangetriebenen Einmarsch in den Irak ab.
Im Mai gewann Corbyn zum achten Mal in Folge seinen Parlamentssitz in der Londoner Innenstadt und konnte seine Unterstützung sogar auf 60 Prozent ausbauen - obwohl oder eben weil er dezidiert sozialistische Positionen vertritt. So sagt er, dass Großbritannien viel von Karl Marx lernen könne. Angeblich zerbrach seine zweite Ehe daran, dass er es ablehnte, seinen Sohn in eine Schule zu schicken, die Kinder nach ihren schulischen Fähigkeiten auswählt.
"Es gibt einen Virus in der Partei, Corbyn ist das Gegenmittel"
Für seine parteiinternen Gegner sind die Positionen Corbyns, der auch bei öffentlichen Auftritten gerne Sandalen trägt, schlicht "verrückt", wie es der Abgeordnete Simon Danczuk ausdrückte. Schon bevor das Ergebnis am Samstag verkündet wurde, forderten Danczuk und andere bereits eine Wiederholung der Urwahl. Corbyn zeigte sich ungerührt und erklärte, Labour könne mit ihm Anhänger zurückgewinnen. Gewerkschafter wie Dave Ward von der Telekommunikationsgewerkschaft CWU sehen das genauso: "Wir denken, es ist Zeit für einen Wandel. Es gibt einen Virus in der Labour Party, und Jeremy Corbyn ist das Gegenmittel."
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