Die Handlung von "The Phantom Pain" spielt neun Jahre nach den Ereignissen in "Ground Zeroes". Der Spieler übernimmt die Kontrolle über einen sichtlich gezeichneten Snake, der – so viel sei verraten – nach neun Jahren im Koma erwacht und sich gezwungenermaßen sofort wieder in den Kampf gegen Cipher stürzt. Dabei trifft Snake auf bekannte Weggefährten, mysteriöse Wesen, alte Todfeinde wie "Skull Face" – und ein erfreulich buntes Sammelsurium von Skurrilitäten.
Hürde für Einsteiger: Eine Zusammenfassung der Ereignisse der "Metal Gear"-Spiele gibt's in "The Phantom Pain" nicht, lediglich die Ereignisse von "Ground Zeroes" werden im Intro behandelt. Die Folge: Wer mit der Serie nicht vertraut ist, könnte Probleme haben, der Handlung zu folgen.
Inszeniert ist die Handlung von "The Phantom Pain" wie ein spannender Thriller mit überzeichneten Charakteren und unerwarteten Wendungen. Vor allem in der Anfangssequenz zeigen Kojima und sein Team, dass sie einiges von gut inszenierter, packender Action vestehen. Später, wenn Snake sich in der riesigen offenen Spielwelt von "The Phantom Pain" durch Außenposten und feindliche Lager arbeitet, verliert die Handlung zwar ein wenig an Fahrt, insgesamt liefert der Titel aber ein schön unkonventionelles Spielerlebnis.
Herrlich seltsame Spielwelt
Das liegt vor allem daran, dass die Macher bewusst nicht allzu viel Wert auf Realismus legen und dem Spieler allerlei eigentümliche Dinge vorsetzen. Historische Anleihen an den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan kombiniert Kojima geschickt mit brennenden Einhörnern. Seltsame Agenten-Gadgets wie der vielseitige Pappkarton, der als mobiles Versteck beim Infiltrieren von Basen dient, reihen sich an überzeichnete Begleiter wie Snakes halbnackte Scharfschützen-Kollegin Quiet oder den – ebenso wie sein Besitzer mit Augenklappe versehenen – Hund D-Dog. Ebenfalls verfügbar: Ein schwer bewaffnetes Kampf-Robo-Reittier, auf dem Snake in die Schlacht reiten kann. Wer mag, kann Einsätze sogar als einer von Snakes Verbündeten bestreiten.
Die witzigen Features in "Metal Gear Solid: The Phantom Pain" sind dabei keineswegs bloß Zierrat, sondern können spielerisch auch genutzt werden. Reitet Snake auf seinem Ross durch die offene Spielwelt Afghanistans auf ein Lager zu und hinterlässt dabei ein paar Pferdeäpfel auf der Zufahrts-Straße, können gegnerische Vehikel darauf ausrutschen und verunfallen. Schickt Snake einen Gegner lautlos ins Reich der Träume, kann er ihn per Wetterballon sogleich abtransportieren, indoktrinieren und für die eigene Sache seiner Söldnerarmee der "Diamond Dogs" benutzen.
Erstaunliche spielerische Freiheit
Spielerisch bietet "The Phantom Pain" viel Freiheit. Die offene Spielwelt in Afghanistan und Afrika ist zwar nicht ganz so prall mit Nebenaufgaben gefüllt wie etwa jene von "GTA V", sie ist aber voller gegnerischer Lager, die infiltriert werden wollen. Die Aufträge sind meist nichts Besonderes: Oft geht es darum, Zielpersonen auszuschalten oder zu retten und dann schnell zu verduften.
Sehr wohl etwas Besonderes ist aber die Freiheit, die der Spieler beim Erreichen dieser Ziele hat. Per Fernglas werden Lager ausgekundschaftet, anschließend überlegt man sich den besten Weg, unbemerkt hineinzukommen und arbeitet sich Meter für Meter ans Ziel vor. Alle Gegner in Rambo-Manier um die Ecke zu bringen, ist ebenso machbar wie völlig unbemerkt ans Ziel zu gelangen. Der Spieler hat es in der Hand, die Schleich-Variante ist dabei aber meist die atmosphärischere Vorgehensweise.
Natürlich gibt es weit mehr, als nur gegnerische Lager zu infiltrieren. Snake kann auf seiner Reise Tiere per Wetterballon kidnappen – und sich auf seiner schwimmenden Basis, der "Mother Base", einen kleinen Zoo anlegen. Er kann auf die gleiche Art und Weise auch Ausrüstung und Personal abtransportieren, die er für seinen finalen Kampf gegen Cipher verwenden will.
Ausbaubare "Mother Base", coole Begleiter
Allgemein zur "Mother Base": Mit ihr haben die Macher des Games einen witzigen Nebenschauplatz geschaffen, den der Spieler im Verlauf der Dutzende Stunden langen Handlung immer weiter ausbauen darf. Die Forschungsabteilung der Diamond Dogs schaltet – passendes per Wetterballon gekidnapptes Personal vorausgesetzt – etwa neue Agenten-Gadgets und unzählige Waffen frei, die Snake bei seinem Abenteuer helfen. Selbst eine Lenkraketen-Prothese kann Snake nutzen.
Ebenfalls praktisch: Die Begleiter, die Snake mit in seine Einsätze nehmen darf. D-Dog erschnüffelt Gegner und kann sie angreifen, Sniper-Kollegin Quiet kann Snake von weitem Feuerschutz geben, gezielt einzelne Gegner ausschalten – oder in die Luft geworfene Granaten mit einem gezielten Schuss aus ihrem Scharfschützengewehr genau in Richtung feindlicher Hubschrauber lenken. Nicht realistisch, aber unterhaltsam.
Gelungene Grafik, tolle Charaktere
Optisch ist "The Phantom Pain" exzellent gelungen. Die offene Spielwelt Afghanistans und Afrikas glänzt zwar nicht mit Abwechslung, Terrain und Vegetation sind aber detailliert und hübsch umgesetzt. Wettereffekte wie Sandstürme sind gut gelungen und wirken sich auf die Sichtweite der Gegner aus, wechselnde Tageszeiten rücken die Spielwelt laufend in ein neues Licht, das natürlich auch spielerisch Auswirkungen hat. Nachts schleicht es sich leichter als tagsüber.
Besonderes Lob verdient "The Phantom Pain" für die Charaktermodelle. Die sind nicht nur detailliert, sondern wie bereits angedeutet auch herrlich überzeichnet. Snake wird als unfassbar harter Typ dargestellt – mit Augenklappe und im Schädel steckenden Trümmern, die ihn zwar nicht beeinträchtigen, sich aber auch nicht mehr entfernen lassen. Und auch seine Gegner und Verbündeten – etwa "Skull Face" oder Agentenfreund "Kaz" – stehen ihm designtechnisch in Nichts nach.
Kleine Mäkel am "Metal Gear"-Gesamtkunstwerk lassen sich am ehesten bei der Steuerung orten. Sie ist ziemlich komplex und verlangt dem Spieler eine gewisse Eingewöhnungszeit ab, zudem gibt es keinen eigenen Knopf, um hinter Objekten in Deckung zu gehen. Das erledigt Snake automatisch – allerdings im Test nicht immer so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Auch die Kameraführung könnte in engen Innenräumen bei hektischen Schießereien den einen oder anderen Spieler ärgern.
Sehr gut vertont, Multiplayer an Bord
Akustisch überzeugt "The Phantom Pain" ebenfalls. Das Game ist stets stimmig untermalt, beim Infiltrieren feindlicher Lager wechselt die Musik passend zum Spielgeschehen. Sind Feinde in der Nähe, wird es hektischer, bleibt Snake unentdeckt, hält sich die Musik im Hintergrund. Die Soundeffekte – Explosionen, Umgebungsgeräusche, Gegner – sind ebenfalls sehr gut getroffen. Und dass man sich gegen eine deutsche Synchronisierung entschieden und das Game hierzulande stattdessen mit Untertiteln veröffentlicht hat, ist angesichts der gelungenen englischen Vertonung nicht verwerflich.
Eher ein Nebenschauplatz, aber für Serien-Fans auch interessant ist der Mehrspielermodus von "The Phantom Pain". Hier darf der Spieler online Außenposten errichten, die ihm Ressourcen für das Einzelspielerabenteuer liefern, aber von anderen Spielern angegriffen und um ihre Ressourcen erleichtert werden können. Es gilt, die Posten zu Festungen auszubauen und für ihre Verteidigung zu sorgen – oder anderen Spielern einfach zuvor zu kommen und deren Basen zu infiltrieren.
Fazit: "Metal Gear Solid V: The Phantom Pain" ist ein exzellentes Open-World-Agentenepos geworden, das für unseren Geschmack genau den richtigen Spagat zwischen packender Thriller-Handlung und skurrilen Elementen getroffen hat. Die spielerische Freiheit bei den einzelnen Einsätzen erfreut das Gamer-Herz ebenso wie die tolle Optik und die netten Nebenbeschäftigungen auf der "Mother Base". Für "Metal Gear"-Einsteiger mag Ko auch mit der Steuerung könnte manch ein Spieler kämpfen, insgesamt ist es aber ein mehr als würdiger Abschluss für die Stealth-Reihe.
Plattform: PS4 (getestet), Xbox One, PC
Publisher: Konami
krone.at-Wertung: 9/10
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