Zugegeben: Mein letzter Ausflug in das Commonwealth war schon ein Weilchen her. Schließlich ist es bereits sieben Jahre her, dass "Fallout 3" erschien. Doch die Rückkehr in die Post-Apokalypse wird mir leicht gemacht: Vieles ist beim Alten geblieben, sodass man sich - wie in meinem Fall - auch nach längerer Abstinenz problemlos zurechtfindet. Das gilt insbesondere für den Pip-Boy, jenen elektronischen Helfer für das Handgelenk, der Informationen zu Inventar, genauer Position, verfügbaren Quests und körperlicher Verfassung anzeigt, aber auch das sogenannte V.A.T.S.-System - die taktische Kampfansicht, in der sich einzelne Körperteile des Gegners gezielt ins Visier nehmen lassen.
Neuerungen und Verbesserungen gibt es dennoch, wenn auch eher im Detail. So stehen etwa mehr Waffen- bzw. Item-Slots für den Schnellzugriff zur Verfügung, Stimpaks müssen nicht mehr einzelnen Körperteilen zugewiesen werden, sondern heilen ganzheitlich und die Item-Verwaltung gestaltet sich dank einfacher Kennzeichnung mittels Plus- und Minus-Symbolen einfacher. Dass man schnell die Übersicht über Eingesammeltes verliert, bleibt trotzdem nicht aus. Das liegt einerseits an der schieren Fülle an Items, andererseits daran, dass selbst vermeintlich Wertloses in "Fallout 4" an Bedeutung gewinnt.
Crafting, also dem Herstellen und Modifizieren von Waffen, Rüstungsteilen und anderen Hilfs- und Heilmitteln, wird nämlich großgeschrieben. Und für das braucht es nunmal bestimmte Bauteile, die sich überall in der gewaltigen Spielwelt finden oder - durch ihre Verwertung - aus anderen Komponenten gewinnen lassen. Auf die Spitze getrieben wird dieses Prinzip in einem gänzlich neuen, allerdings optionalen Editor-Modus, in der Held/die Heldin Siedlungen aufbauen und sanieren kann. Das beschränkt sich allerdings nicht nur auf den Bau von Unterkünften (inklusive Innendekor, sofern gewünscht), sondern bezieht auch die Produktion bzw. Gewinnung von Nahrungsmitteln und Strom/Wasser mit ein.
Da florierende Siedlungen, die untereinander regen Handel betreiben können, immer auch Begehrlichkeiten wecken, gilt es zudem für den Schutz ihrer Einwohner zu sorgen. Geschütze, Wachtürme oder Barrikaden können auf Knopfdruck aus dem Boden gestampft werden, ihre Positionierung fällt aus der Ego- oder auf Wunsch auch Third-Person-Perspektive jedoch mitunter schwer. Damit alleine ist es jedoch nicht getan, denn Verteidigungsanlagen bedürfen ebenso wie Gemüsebeete einer Person, die sich darum kümmert.
Hier kommen die zahlreichen, im Spielverlauf auftretenden Gefährten ins Spiel, die sich wahlweise der eigenen Sache anschließen können und fortan an unserer Seite kämpfen, oder eben konkret einer Siedlung zuweisen lassen, um diese zu unterstützen. Glücklicherweise ist die Entscheidung, wen man wohin schickt, nicht unwiderruflich, bringt doch jeder Gefährte neben zusätzlichem Stauraum nicht nur seine ganz eigenen Talente, sondern auch Quests mit sich. Wer mit seiner Begleitung anbandeln möchte, kann dies ebenfalls tun - vorausgesetzt das eigene Charisma stimmt und der oder die vermeintlich bessere Hälfte zeigt sich mit unseren bisherigen Entscheidungen auch zufrieden.
Andernfalls kann es vorkommen, dass man plötzlich wieder alleine im Ödland dasteht. Einzige Ausnahme: Hund Dogmeat, der seinem Herrchen oder Frauchen stets die Treue hält. Gleichermaßen blöd wie faszinierend ist in diesem Zusammenhang bloß, dass man die Konsequenzen des eigenen Handels in "Fallout 4" zumeist nur schwer abschätzen kann. Selbst vermeintlich kleine Entscheidungen können eine Fülle an neuen Aufgaben nach sich ziehen, die einem andernfalls verwehrt geblieben wären. Da hilft nur häufig zu speichern, um alle Optionen durchzuprobieren, oder mit der gefällten Entscheidung zu leben. Das nächste Quest lässt meist ohnehin nicht lange auf sich warten.
Ob man diese verfolgt oder sich einfach spontan querfeldein in die Wildnis schlägt, bleibt einem abermals selbst überlassen. Gefasst machen sollte man sich in jedem Fall auf zahlreiche Begegnungen mit Raidern, Ghulen, Todeskrallen und dergleichen mehr. Und dann wären da noch Fraktionen wie die Minutemen, die Gunner oder die Stählerne Bruderschaft, denen man sich anschließen kann, was wiederum weitere Quests eröffnet. Als Belohnung winken am Ende jedoch stets Erfahrungspunkte und der obligatorische Stufenaufstieg. Dann geht es ans Individualisieren der eigenen Fertigkeiten, von denen die meisten allerdings bereits bekannt sein dürften.
Hacking-Talente können ebenso verbessert werden wie der Umgang mit der Haarklammer (das Äquivalent zum Dietrich), Verhandlungsgeschick oder der Umgang mit dem Hammer zum Bauen von Rüstungen und Waffen. Ganz zu schweigen von Spezialisierungen auf bestimmte Waffenkategorien oder verbesserten Widerständen gegen eben jene - entdecke die Möglichkeiten. Das eigentliche Ziel - nämlich den Helden mit einem Familienmitglied wieder zusammenzuführen - nicht aus den Augen zu verlieren, fällt angesichts dieser gebotenen Vielfalt schwer.
Verlieren kann man sich mit seinen Augen übrigens auch in der riesigen Spielwelt. Etwaige Befürchtungen, dass "Fallout 4" gegenüber dem Vorgänger in grafischer Hinsicht keine Verbesserung darstelle, erwiesen sich als unbegründet. Aus nächster Nähe anschauen sollte man sich insbesondere Gebäude-Texturen zwar nicht unbedingt, doch der Detailliertheitsgrad ist gigantisch. Dass es dann beim Wechsel von Außen- zu Innenlevels und umgekehrt zu etwas längeren Ladezeiten kommt, ist nur zu verständlich. Schon ärgerlicher fand ich die diversen kurzzeitigen Aussetzer bei Gesprächssequenzen sowie den einen Spielaufhänger, mit dem ich während meines Tests auf der PS4 konfrontiert wurde. Immerhin: Der Spielstand war vorher noch automatisch gesichert worden.
Fazit: Es fühlt sich gut an, ins Ödland zurückzukehren - gerade weil Bethesda die Kontinuität wahrt und anstatt zahlreiche Neuerungen einzuführen auf Verbesserungen im Detail setzt. Stärken wie die umfangreichen Individualisierungsmöglichkeiten bleiben so bewahrt, Schwächen, etwa bei der Inventarverwaltung, wurden ausgemerzt. Die wesentlichste Neuerung neben dem Häusl-Bau-Editor, der einen Hauch von Aufbaustrategie ins Spiel bringt, steckt aber unter der Haube: Dank neuer Konsolen-Hardware "erstrahlt" die Spielwelt größer und schöner denn je. Und dann wären da natürlich noch die vielen Geschichten, große wie kleine, die unweigerlich dafür sorgen, dass aus Stunden Tage und aus Tagen Wochen werden, die man aller virtuellen Widrigkeiten zum Trotz immer wieder gerne in "Fallout 4" verbringt.
Plattform: PS4 (getestet), Xbox One, PC
Publisher: Bethesda
krone.at-Wertung: 9/10
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