"Krone"-Interview
“Generation Dschihad – das sind verlorene Seelen”
Was treibt Jugendliche in die Arme des Terrorregimes IS? Keine kennt die "Generation Dschihad" so gut wie Nahost-Expertin Petra Ramsauer. Im Interview mit Conny Bischofberger gibt sie einen Einblick in das Netzwerk des Islamischen Staates.
"Krone": Ihr Buch über die Bedrohung Europas durch den IS hat durch die Terroranschläge in Paris traurige Aktualität erlangt. Erkennen Sie in den Angreifern diese Generation?
Petra Ramsauer: Absolut. Mein Buch handelt aber nicht nur von den 7000 Jugendlichen, die aus Europa nach Syrien und in den Irak gegangen sind, um für den IS zu kämpfen. Es zeigt auch auf, dass es dem IS verstärkt gelingt, Zuhausegebliebene und Sympathisanten zu rekrutieren. Von diesen potenziellen, gewaltbereiten Angreifern geht eine verheerende Gefahr aus.
"Krone": Was sind das für Leute?
Ramsauer: Dieses Netzwerk von gewaltbereiten Extremisten hat sich seit 2001, nach 9/11, gebildet. Das Mastermind bei Al-Kaida, Abu Musab al-Suri, hat damals zum globalen Dschihad aufgerufen, er war auch aktiv im Auftrag des IS tätig. Er hat als einer der Vordenker eine völlig neue Terrorstrategie entwickelt. Der IS besteht heute aus vielen Al-Kaida-Veteranen, die aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben.
"Krone": Allein in Österreich gibt es 250 Fälle von Dschihadismus. Warum spielt unser kleines Land eine so große Rolle?
Ramsauer: Österreich ist ein wichtiger Ort der Koordination. Das war schon im Bosnienkrieg so, da galt Österreich als logistisches Zentrum für die freiwilligen Dschihadisten. Die bosnische Community ist heute noch eine der Keimzellen des europäischen Arms des IS. Zu der hohen Zahl an Fällen trägt auch bei, dass Exil-Tschetschenen überdurchschnittlich häufig für den IS rekrutiert werden - jeder zweite Rekrut ist Tschetschene, ein tschetschenischer Kriegsherr ist auch Militärchef des IS. Österreich hat besonders viele tschetschenische Flüchtlinge aufgenommen, und leider ist es in vielen Fällen nicht gelungen, diese Gruppe zu integrieren. Der IS scheint in Österreich nun tatkräftig zu versuchen, all diese Kräfte zu bündeln.
"Krone": Hat die Polizei die Szene im Griff?
Ramsauer: Ich denke, sie hat es gut unter Kontrolle. Aber nicht nur die österreichische Polizei und der Verfassungsschutz stehen mit dem IS vor einer ganz großen Herausforderung. Ganz Europa ist bedroht.
"Krone": Hat der IS schon erreicht, dass man sich ohne Angst bald nicht mehr frei bewegen kann?
Ramsauer: Ziel des IS ist es ja nicht in erster Linie, Menschen zu töten, sondern diese ständige Drohkulisse aufzubauen. Diese 7000 Ausgewanderten stellen ja auch die Propaganda-Abteilung des IS, die lesen alles, die lesen auch dieses Interview. Immer, wenn man sich wieder sehr fürchtet, wird in deren Magazinen gejubelt.
"Krone": Hugo Portisch hat im "Krone"-Interview gesagt, dass Europa ein Recht habe, auf Krieg - wie es der französische Präsident Francois Hollande nennt - mit Krieg zu reagieren. Kann man gegen den IS Krieg führen?
Ramsauer: Man muss mit militärischen Mitteln vorgehen, aber man sollte es nicht Krieg nennen. Krieg wird zwischen Staaten geführt, aber dem sogenannten bzw. selbst ernannten Islamischen Staat fehlt ja die staatliche Legitimität, und Krieg ist leider auch eine Form der Anerkennung. Der IS verwendet die Rhetorik des Krieges bewusst und spricht über Paris und nun auch Mali von einem "erfolgreichen Eroberungsfeldzug". Die Jugendlichen brauchen das, sie suchen bewusst das Bild des Siegers. Die Kämpfer sind aus Sicht der gefährdeten Jugendlichen zu Ikonen geworden, zu richtigen Popstars. Wir sprechen deshalb vom Phänomen des "Pop-Dschihadismus".
"Krone": Wie funktioniert die Radikalisierung dieser Jugendlichen?
Ramsauer: Da durchstreifen sogenannte Catcher Parks, Moscheen und Jugendzentren und suchen Jugendliche, die empfänglich sind, weil sie sich ausgeschlossen, unterdrückt oder entrechtet fühlen. Einer der Recruiter hat mir gesagt: "Jeder hat eine Pforte, wo wir mit unserem Gedankengut eindringen können. Wenn wir diese Pforte erst einmal gefunden haben, drehen wir den Jugendlichen innerhalb einer Woche um." Es gibt gefinkelte Handbücher, ausgearbeitet von Experten, mit Anleitungen, die stark an Sekten erinnern.
"Krone": Wie kann man das stoppen?
Ramsauer: Wahnsinnig schwer. Denn in den ersten Wochen wird mit den Jugendlichen noch nicht über den Dschihad und den Märtyrertod gesprochen. Da wird nur versucht, eine persönliche Beziehung aufzubauen. Einen Satz werde ich nie vergessen. Da hat mir ein Jugendlicher vom schönsten Moment seines Lebens berichtet. Das sei gewesen, als der Dschihadführer ihm den Arm um die Schulter gelegt und gesagt habe: "Du gehörst zu uns, du bist jetzt etwas wert." Das sind verlorene Seelen.
"Krone": Was geht in ihnen vor?
Ramsauer: Sie sind geplagt von einem Gefühl der totalen Entfremdung. Deshalb rekrutiert der IS auch sehr oft Kleinkriminelle. Er gibt ihnen das Gefühl der Reinheit, so unter dem Motto: Dein Leben ist bisher gescheitert, aber du kannst alles gutmachen, wenn du dich dem IS anschließt.
"Krone": Märtyrertod inklusive?
Ramsauer: Tatsächlich ist die Märtyrerkarriere für diese Leute ein hehres Ziel.
"Krone": Was wäre Ihr Rezept im Umgang mit dieser Generation?
Ramsauer: Eine offenere Haltung der Mehrheitsgesellschaft Minderheiten gegenüber. Je eingebundener diese jungen Menschen sind, desto weniger anfällig sind sie für terroristische Strukturen. Wir sollten ihnen das Gefühl geben: Ihr seid ein Teil von uns, ihr gehört dazu - solange ihr euch an die Spielregeln der westlichen Demokratien hält.
"Krone": Wird die Terrorgefahr unser Verhältnis zu den Syrien-Flüchtlingen verändern?
Ramsauer: Sie hat es schon verändert. Einige muslimische Jugendliche, die dabei waren, sich zu radikalisieren, haben mir gesagt, dass sie durch unsere Willkommenskultur das Interesse am IS verloren haben, weil sie zum ersten Mal spüren, dass Österreich sich um Muslime kümmert. Deshalb will der IS auch bewusst Stimmung gegen die Flüchtlinge erzeugen, etwa indem er behauptet, er habe 8000 Kämpfer in den Flüchtlingsstrom eingeschleust.
"Krone": Vielleicht nicht 8000, aber müssen Sie inzwischen nicht auch zugeben, dass diese Gefahr nicht unerheblich ist?
Ramsauer: Ausschließen würde ich das nicht, aber die Ermittlungsergebnisse haben es bis jetzt noch nicht erhärtet. Erstens gibt es beim IS sehr wenig Syrer. Ich glaube auch, dass Flüchtlinge die ersten wären, die Alarm schlagen, wenn sie unter ihnen IS-Kämpfer vermuten. Denn vor diesen fliehen sie ja. Und auch wenn unter den Hunderttausenden ein paar Extremisten dabei sein sollten: Ohne Sprengstoffgürtel und ohne Waffen können sie keinen Terror ausüben. Die tragische Lehre aus Paris ist: Es sind leider mehr als genug Terroristen schon da.
"Krone": Denken sie, dass Österreich ein vorrangiges Ziel der Terroristen ist?
Ramsauer: Ich glaube, dass der IS mit seinen Anschlägen genau dieses Ziel verfolgt hat. Dass wir uns diese Frage stellen! Es kann jedes Land treffen, auch Österreich. Ich persönlich könnte mir aber vorstellen, dass ihnen dieser "Ort der Koordination" zu wichtig ist für einen Angriff.
"Krone": Sind Sie als Insiderin dieser Szene schon bedroht worden?
Ramsauer: Überhaupt nicht. Weil ich ja in Wahrheit eine Verstärkerin ihrer Botschaft bin, weil ich sie wichtig nehme und ihnen so eine gewisse Bedeutung verleihe. Dieses Risiko musste ich eingehen, als ich das Buch (Anm.: "Die Dschihad-Generation - wie der apokalyptische Kult des Islamischen Staats Europa bedroht", Styria-Verlag) geschrieben habe.
"Krone": Ist das nicht bitter?
Ramsauer: Doch. Ich habe daher darauf geachtet, dass kein einziger IS-Sympathisant diesen sogenannten Staat lobt. Es kommen nur frustrierte, schwer verletzte, reumütige Deserteure vor.
IS-Video: "Wir werden das Herz Amerikas treffen"
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