Zielpunkt-Pleite

Verkäuferinnen abserviert: “Wo ist Herr Faymann?”

Wirtschaft
28.11.2015 19:50

So viele Jahre lang hielten Sabine (30) und Manuela (51) die kleine Zielpunkt-Filiale in der Wiener Löwengasse in Schuss. Jetzt werden sie - wie 2700 andere - eiskalt abserviert. Lohn gibt's keinen mehr. Im Interview mit Conny Bischofberger erzählen die zwei Alleinerzieherinnen ihre bittere Geschichte. Werner Faymann hat noch am Samstagabend auf die Kritik reagiert und sein Verständnis für die Betroffenen geäußert. Der Bundeskanzler merkte aber auch an: "Die Politik wurde von der Firmenleitung sehr spät informiert."

Wie leer gefegt ist das Zielpunkt-Geschäft in der Wiener Löwengasse, zwischen Spar, Kolonitzkirche, Billa und Hundertwasserhaus. "Vielen Kunden ist es peinlich, dass wir pleite sind", sagt Filialleiterin Manuela leise, "sie trauen sich nicht mehr herein." Ein paar Schnäppchenjäger schauen vorbei, das schon. Was, noch gar nix im Abverkauf? Im Markt dürfen wir uns laut Firmenleitung weder unterhalten noch Fotos machen. Also setzt sich Frau Roswitha an die Kasse, und Aylan, die Jüngste, übernimmt. Manuela schnappt sich ihre Kollegin Sabine, und wir gehen auf einen türkischen Kaffee bei Celal, gleich nebenan.

"Krone": Stimmt es, dass die Belegschaft schon länger wusste, dass eine Insolvenz bevorsteht?
Manuela: Nein, wir haben es am Mittwochabend offiziell erfahren. Wir hatten keine Ahnung!
Sabine: Aber wir sind Geschäftsfrauen. Wenn jede Filiale Umsatzminus macht, die Kunden weniger werden, wir in den Lieferungen übergehen, dann macht man sich schon Sorgen.
Manuela: Wir haben oft geblödelt. Wenn das so weitergeht, gehen wir irgendwann pleite! Ständig neue Besitzer, jedes Mal neue Konzepte. Es war mühsam. Aber dass es so endet... Unvorstellbar.
Sabine: Bevor du es auf der Filialleitersitzung erfahren hast, war es schon online. Wir haben es eigentlich aus dem Internet erfahren.

Sabine B. und Manuela L., zwei Opfer der Zielpunkt-Pleite (Bild: Martin A. Jöchl)
Sabine B. und Manuela L., zwei Opfer der Zielpunkt-Pleite

"Krone": Was war Ihr erster Gedanke?
Manuela: Der erste Gedanke war: Bitte! Das muss ein Irrtum sein. Das wird sich irgendwie aufklären. Am Donnerstag hätte ja unser Geschäft umgebaut werden sollen. Das wurde dann natürlich abgesagt. Als ich gehört habe, dass unsere Filiale die erste im Bezirk ist, die zusperrt, sind bei mir die Tränen geflossen.

Manuela L. ist 51, seit 19 Jahren bei Zielpunkt, von Anfang an in der Löwengasse. Sabine B. ist 30, sie begann hier als 18-Jährige und hat sich zur Filialleiter-Stellvertreterin hinaufgearbeitet. Beide haben ein Kind. Katharina (heute 23) und Kevin (heute 13) sind im Markt aufgewachsen. Wenn die Omas ausfielen, halfen die Kleinen beim Schlichten der Regale oder durften rote Prozent-Pickerln auf Abverkaufsware kleben.

"Krone": Wie ist das, wenn man hört, dass die Gehälter nicht mehr ausbezahlt werden?
Sabine: Ich verstehe das nicht. Der Besitzer will sich wieder Zielpunkt-Filialen nehmen. Also hat er ja das Geld. Wieso bezahlt er uns nicht? Wieso müssen wir jetzt auf unser Weihnachtsgeld bis Jänner warten, bis der Fonds das auszahlen kann?
Manuela: Wir sind ihm egal. Er denkt nur an sein Geschäft. Wir haben den feinen Herrn Pfeiffer ja auch nie kennengelernt. Auch sonst keinen von ganz oben.

"Krone": Fühlen Sie sich von der Gewerkschaft gut vertreten?
Sabine: Ich glaube an das schon.
Manuela: Unsere Betriebsrätin, die Susi, die schafft das schon, dass wir unsere Gehälter so schnell wie möglich kriegen. Aber wo ist der Herr Faymann? Warum hilft er uns nicht? Für alles gibt es Soforthilfen. Warum kann er uns das Weihnachtsgeld nicht einfach vorstrecken?
Sabine: Für die Flüchtlinge gibt es auch das Geld. Aber wir müssen jetzt um unsere Existenz kämpfen und unseren Kindern erklären, dass es heuer nicht wirklich Weihnachten gibt. Wer hat schon gerne Schulden bei der Bank? Gott sei Dank dürfen wir bei der Bank Austria kostenlos überziehen.
Manuela: Vielleicht kommt noch der rettende Engel und sagt: Ihr könnt bleiben, wir übernehmen euch! Die Filiale geht ja nicht schlecht, und sie hätte viel besser gehen können, wenn man auf uns gehört hätte.
Sabine: Es wurde immer irgendetwas versprochen, aber gehalten wurde nichts.

krone.tv-Video: Das sagen Kunden über die Zielpunkt-Pleite

"Krone": Was wurden für Fehler gemacht?
Sabine: Wir haben zum Beispiel jahrelang um Jausenbrote für die Arbeiter gekämpft - unsere Filiale hat keine Feinkostabteilung. Nicht alle geben sich mit abgepackten Cabanossi zufrieden oder schneiden sich gern die Semmel selber auf.
Manuela: Aber das hat keinen interessiert. Ware, die unverkäuflich war, kam in Massen, und anderes, was wir dringend gebraucht hätten - Mascarpone für die Biskottentorte zum Beispiel - wurde ausgelistet von irgendwelchen Menschen in der Zentrale, die keine Ahnung haben, was unsere Kunden wollen beziehungweise nicht wollen. Exotische Früchte zum Beispiel oder die ganzen Veggie-Sachen. Die haben wir dann abgeschrieben und der Caritas geschenkt.
Sabine: Und jetzt müssen wir unseren Kunden sagen, dass wir keine Sammelpässe mehr annehmen, keine Treuepunkte mehr ausgeben.
Manuela: Die haben wochenlang darauf gespart. Das ist wirklich schlimm für uns.

Die zwei Verkäuferinnen zünden sich jetzt eine Zigarette an. "Schön warm hier", sagt Manuela und reibt sich die Hände. Ihr Markt ist ungeheizt, nur hinten im Aufenthaltskammerl hatten sie einen Heizkörper zum Anstecken.

"Krone": Wenn Sie auf die vielen Zielpunkt-Jahre zurückblicken, was war das für eine Zeit?
Sabine: Eine wunderschöne. Wir hatten viele Stammkunden, die Frau Sekt und den Herrn Vöslauer. Wir haben sie nach den Dingen benannt, die sie immer eingekauft haben. Viele haben uns ihre Lebensgeschichten erzählt.
Manuela: Der Zielpunkt war unser Zuhause, das zweite Wohnzimmer. Wir waren jeden Tag um halb sieben da. Eine von uns ist bis 19.15 Uhr geblieben.
Sabine: Am Mittag haben wir uns Semmerln und Wurst gekauft und uns Brote gemacht.
Manuela: Und Kaffee aus unserer eigenen Maschine. Als sie eingegangen ist, gab es keine neue mehr. Manchmal haben uns Kunden ein warmes Essen gebracht. Schinkenfleckerl oder Pasta asciuta.
Sabine: Keine von uns war krank, denn sonst hätte ja die andere einspringen müssen.
Manuela: Da hat man halt ein paar Pulver genommen, und dann ging es schon wieder. Sogar nach dem Überfall bin ich am nächsten Tag wieder im Geschäft gestanden.

"Krone": Ist für Sie mit der Insolvenz eine Welt zusammengebrochen?
Sabine: Ja. Weil wir wie eine Familie waren. Die Manuela war die Mutter, die Aylan war unser Kind, ich war die große Schwester. Eine Familie will man nicht verlieren.
Manuela: Voriges Jahr zu Weihnachten ist meine Mutter gestorben, jetzt stirbt der Zielpunkt.

Video: "Zielpunkt war ein Fass ohne Boden"

"Krone": Zukunftsangst?
Sabine: Nein, ich werde mich noch am Wochenende bei Hofer bewerben. Wenn das nicht klappt, lasse ich mich umschulen.
Manuela: Ja, zur Altenpflegerin vielleicht. Aber eigentlich will ich gar nicht dran denken. Da ist man 19 Jahre dabei, und dann ist es plötzlich aus.
Sabine: Am letzten Tag kaufen wir uns eine Flasche Sekt.
Manuela: (lacht) Vielleicht ist er dann 50 Prozent billiger, dann nehmen wir gleich zwei.

"Krone": Wenn Sie sich jetzt etwas wünschen könnten, was wäre es dann?
Sabine: Dass wir zusammenbleiben.
Manuela: Ich wünsche mir noch immer, dass alles nur ein böser Traum war, aus dem man eines Morgens wieder erwacht.

(Bild: APA/GEORG HOCHMUTH)

Faymann: "Politik wurde sehr spät informiert"
Bundeskanzler Werner Faymann hat noch am Samstagabend auf das "Krone"-Interview mit den beiden Zielpunkt-Verkäuferinnen reagiert: "Ich verstehe die Sorgen der Mitarbeiten sind immer die Beschäftigten, die sich oft jahrelang im Betrieb engagiert haben und dann oft völlig unerwartet auf der Straße stehen. Im Falle von Zielpunkt wurden Gewerkschaft und Politik sehr spät durch die Firmenleitung von der drohenden Schließung der Lebensmittelkette informiert. Diese wurden dann sofort aktiv."

Der zuständige Sozialminister, so der Kanzler, habe dazu bereits öffentlich erklärt: "Ich habe gemeinsam mit der Wirtschaftskammer einen Appell an die Banken gerichtet, dass eine Überziehung in der Höhe von einem Monatsgehalt ausbezahlt wird, ohne dass Überziehungszinsen anfallen. Die wesentlichen Banken werden diesem Appell folgen." Einige Wochen später, wenn das ausstehende Geld vom Insolvenzentgeltfonds überwiesen wird, wird die Überziehung automatisch abgedeckt, ohne dass die ZielpunktmitarbeiterInnen einen zusätzlichen Aufwand haben.

Faymann weiter: "Mir ist bewusst, dass es für die Betroffenen und ihre Familien trotzdem eine sehr schwierige Situation ist. Wichtig ist, dass es jetzt volle Unterstützung für die Betroffenen gibt, damit sie möglichst rasch eine neue Beschäftigung aufnehmen können." Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten sei deshalb auch das Kernstück der Regierungspolitik. "Dass die Menschen eine Arbeit finden und davon auch leben können, ist und bleibt unsere Hauptaufgabe."

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