Die meisten Menschen rennen bei einem Erdbeben aus ihren Häusern und auf die Straße. Nicht so Rene Lagos. Der chilenische Ingenieur steht am liebsten ganz oben in einem Wolkenkratzer und spürt, wie unter ihm das Gebäude wackelt. Lagos ist Spezialist für erdbebensichere Architektur, eine immer gefragtere Branche in Chile, dem weltweit am häufigsten von Beben betroffenen Land.
Allein in den vergangenen fünf Jahren gab es in dem südamerikanischen Land drei große Erdbeben mit einer Stärke über acht. Chile liegt auf dem Pazifischen Feuerring, einem Vulkangürtel, an dem mehrere Kontinentalplatten und ozeanische Platten aneinanderstoßen. Diese sind ständig in Bewegung und lassen die Erde beben. Jährlich richten die Erdstöße in Chile Schäden von einer Milliarde Dollar (rund 917,60 Millionen Euro) an.
"Wenn es ein starkes Erdbeben gibt, versuche ich, es bewusst zu erleben und Nutzen daraus zu ziehen", sagt Lagos, während er im 24. Stock eines Wolkenkratzers in Chiles Hauptstadt Santiago steht. "Ich verbringe mein Leben damit, Häuser für diese Anlässe zu entwerfen, da darf ich mich nicht drücken, wenn es mal bebt", setzte er weiter fort, während das Gespräch immer wieder von Erschütterungen unterbrochen wird. Der Ingenieur bleibt gelassen und versucht, seine Lektion zu lernen.
Schmerzhafte Lehren aus dem Beben 2010 gezogen
Schmerzhafte Lehren hat Chile aus dem Erdbeben der Stärke 8,8 im Jahr 2010 gezogen, dem ein Tsunami folgte. Mehr als 500 Menschen starben. Nur 30 Prozent der Schäden waren versichert. Besonders eingebrannt hat sich das Bild, wie ein Gebäude mit Sozialwohnungen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel - das Bauunternehmen hatte zu dünne Stahlträger verwendet.
Danach verschärfte Chile seine Gesetzgebung, investierte in erdbebensichere Technologie und erhöhte die Sicherheitsvorkehrungen. Nach chilenischem Recht müssen Gebäude so gebaut werden, dass sie bei Erdbeben nicht sofort einstürzen und so das Leben der Menschen gerettet wird. Geht das schief, stehen die Bauunternehmen in der Verantwortung.
Technologie ist schon nahe an der Perfektion
Doch es reicht vielen nicht mehr, nur am Leben zu bleiben. "Die Menschen möchten, dass ihr Hab und Gut danach noch benutzbar ist", sagt der Forscher Juan Carlos de la Llera von der Katholischen Universität von Chile, die gemeinsam mit seinem Unternehmen Sirve mehrere erdbebensichere Technologien patentiert hat. Absolute Sicherheit gibt es nicht, sagt er, es werden immer Schäden am Material bleiben. Doch Chiles Ingenieure seien mittlerweile nahe dran an der Perfektion.
Eine Methode ist die Basisisolation oder seismische Isolation, mit deren Hilfe der potenzielle Schaden um 80 Prozent verringert werden kann: Eine Konstruktion aus Gummirollen und Stahl trennt das Fundament vom eigentlichen Gebäude, sodass bei einem Erdbeben nur das Fundament wackelt und die Erschütterungen absorbiert. Die Technologie funktioniert wie ein Stoßdämpfer - ist bisher aber nur bei wichtigen öffentlichen Gebäuden wie etwa Krankenhäusern vorgeschrieben.
Eine weitere Methode konzentriert sich auf die Zerstreuung der Erdbebenenergie: Spezielle mechanische Systeme nehmen diese auf und verhindern damit, dass sie in vollem Umfang an das eigentliche Gebäude weitergegeben wird. Bis zu 40 Prozent weniger Schäden sind möglich.
Eines von Santiagos ältesten Gebäuden soll geschützt werden
Derzeit arbeitet Forscher De la Llera daran, eines von Santiagos ältesten Gebäuden mit Basisisolation sicher zu machen - die Basilica del Salvador. Das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert war bei dem Erdbeben 2010 und auch schon 1985 schwer beschädigt worden. Anlässe, die Früchte der Arbeit zu begutachten, wird es in Zukunft wohl reichlich geben.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.