Ade, Kuschelkurs?

Neue Debatte über Autorität in der Erziehung

Leben
30.01.2016 19:54

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Einstellung zu Familie und Erziehung massiv verändert. Autoritäres Verhalten gegenüber Kindern scheint längst überholt zu sein, viele moderne Eltern pflegen zu ihrem Nachwuchs eher ein kameradschaftliches Verhältnis als dass sie eine Führungsrolle übernehmen. Der dänische Erziehungsexperte Jesper Juul schlägt nun jedoch andere Töne an und fordert die Abkehr vom pädagogischen Kuschelkurs: "Eltern müssen ihre Führungsrolle wieder wahrnehmen, auch wenn sie das bei ihren Kindern unbeliebt macht!"

Im Interview mit dem "Spiegel" betont Juul, dass es seiner Ansicht nach zwei zentrale Aspekte in der Erziehung gibt: erstens, dass Mütter und Väter für Kinder Vorbilder sein müssen und eine Art Leuchtturmfunktion übernehmen müssen, und zweitens, dass die Eltern für die Qualität der Beziehung zum Nachwuchs verantwortlich sind. Juul musste aber auch feststellen, dass die Praxis etwas anders aussieht und Eltern ihre eigenen romantischen Ideen in seine Ratschläge projizierten.

"Autoritäre Erziehung will niemand, auch Erwachsene nicht"
Nun sei es an der Zeit, wieder stärkere Signale an die Kinder zu senden. Viele Eltern hätten ihm von Problemen berichtet, die allesamt aus mangelnder Führungsstärke resultierten. Als Aufforderung zur Rückkehr zur autoritären Erziehung will Juul dies aber nicht verstanden wissen: "Das will ja niemand, auch die Erwachsenen nicht. Das individuelle Wesen des Kindes muss berücksichtigt werden. Führungsstärke braucht Empathie, Verständnis und Mut sowie den Wunsch, von denen, die wir führen, auch zu lernen." Daraus entstehe persönliche Autorität, während autoritäre Führung ausschließlich auf Anpassung und Gehorsam aufbaue.

Der dänische Erziehungsexperte Jesper Juul (Bild: jesperjuul.com)
Der dänische Erziehungsexperte Jesper Juul

Kinder haben laut Juul die Fähigkeit, bei den Eltern die verletzlichsten Punkte zu treffen, an Überzeugungen zu rütteln und Grenzen auszuloten. Dennoch bräuchten Kinder keine perfekten Eltern, sondern vielmehr das Gefühl, dass man sich ehrlich Mühe gebe und nicht bloß an irgendwelchen standardisierten Formeln orientiere. Wenn es gelinge, Vertrauen aufzubauen, sei es relativ unwichtig, ob alle Entscheidungen der Eltern auch restlos verstanden würden. Juul: "Das Bedürfnis, aus jedem Streit als Sieger hervorgehen zu wollen, verschwindet, wenn man sich ernst genommen fühlt."

Gut genug ist besser als perfekt
Ein Fehler seitens der Eltern sei auch, dass diese oft glaubten, anders oder besser sein zu müssen, um gute Eltern zu sein. Die Elternrolle sei dadurch nur noch eine Schauspielerei. Das funktioniere Juul zufolge vielleicht in der Arbeit, nicht aber in Beziehungen, die auf Liebe basieren, weil auf diese Weise keine Nähe entstehen könne. Authentizität sei das Um und Auf, diese könne aber nicht entstehen, wenn Eltern unsicher sind, was richtig und was falsch ist. Und auch wenn man falsch liegt, sieht Juul das nicht als Beinbruch, "wenn man über die Fähigkeit verfügt, dies zugeben zu können". Niemand ist perfekt, Eltern sollten daher nicht nach Perfektion streben, sondern "sich damit abfinden, gut genug für ihre Kinder zu sein".

Experten raten zu mehr Vertrauen in Intuition
Ähnlicher Auffassung sind auch andere Experten, die am 19. Jänner im Wissenschaftministerium in Wien beim "Science Talk" teilgenommen haben. Fehlende Orientierung in einer Zeit, in der Kindererziehung zur Glaubensfrage geworden zu sein scheine, führe zu Unsicherheit. Abseits von diversen Ratgebern sollten Eltern daher wieder mehr ihrer Intuition vertrauen.

"Zwei Drittel der Eltern erziehen bodenständig und vernünftig. Aber vom restlichen Drittel kümmert sich die eine Hälfte um nichts - was gesellschaftlich für große Schwierigkeiten sorgt - und die andere Hälfte um alles", sagt Josef Kraus, der Präsident des deutschen Lehrerverbandes. Die Einstellung zum Kind habe sich massiv geändert - unter anderem durch den Trend zu kleineren Familien. "Wer nur ein Kind hat, will ein Premium-Kind. Da wird alles reingesteckt", so Kraus. Er verweist auf Eltern, "die die Kinder den 800 Meter langen Weg durch die verkehrsberuhigte Zone mit dem SUV in die Schule bringen und jede Note anfechten". Durch überbordende Überwachung und Verwöhnung würden Kinder nie mündig und selbstständig.

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(Bild: kmm)



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