Zeitung besetzt
So bringt Erdogan seine Kritiker zum Schweigen
Die türkische Polizei hat am Freitagabend gewaltsam den Sitz der regierungskritischen Zeitung "Zaman" übernommen und unter Zwangsverwaltung durch die Behörden gestellt. Die Polizei setzte unter anderem Tränengas und Wasserwerfer gegen Hunderte Demonstranten ein, die sich vor dem Redaktionshaus in Istanbul versammelt hatten, und drang dann in das Gebäude ein. Die Zeitung steht einem Erzfeind von Staatschef Recep Tayyip Erdogan nahe.
Die Polizei hätte Überwachungskameras im Gebäude abgeschaltet, um Livebilder vom Einsatz zu verhindern. Die Mitarbeiter seien aufgefordert worden, das Haus zu verlassen. Demonstranten vor dem Gebäude hielten Plakate mit der Aufschrift "Wir kämpfen für eine freie Presse" und "Wir werden nicht schweigen" hoch. Sie wurden mit Wasserwerfern und Tränengas beschossen.
Zuvor hatte ein Istanbuler Gericht die Einsetzung eines neuen Managements bei "Zaman" (Zeit) angeordnet. Das Blatt ist mit nach Branchenangaben rund 650.000 Exemplaren täglich die auflagenstärkste Tageszeitung des Landes. Das Flaggschiff der Bewegung von Fethullah Gülen ist eine der führenden regierungskritischen Zeitungen des Landes.
"Das ist das Ende der Pressefreiheit in der Türkei"
Die Chefredakteurin des englischsprachigen "Zaman"-Schwesterblattes "Today's Zaman", Sevgi Akarcesme, sagte am Freitag der Deutschen Presse-Agentur: "Die Regierung hat unsere Zeitung konfisziert. Das ist das Ende der Pressefreiheit in der Türkei und das verstößt gegen unsere Verfassung." Es gebe keine Rechtsstaatlichkeit in der Türkei mehr. "Das ist ein trauriger und beschämender Tag." "Zaman" hatte nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr eine Auflage von rund 850.000 Stück und war damit die auflagenstärkste Zeitung der Türkei.
Um die Pressefreiheit war es in der Türkei bislang ohnehin nicht gut bestellt - auf einer diesbezüglichen Rangliste der Organisation Reporter ohne Grenzen liegt das Land auf Platz 149 von 180 Staaten.
Ein YouTube-Video zeigt die Szenen im Gebäude während des Polizeieinsatzes:
Die Zeitung sprach auf ihrer Website von einem illegalen Akt. "Für unsere Zeitung einen Zwangsverwalter einzusetzen, kommt einer Aussetzung der Verfassung gleich", erklärte Chefredakteur Abdülhamit Bilici. Am Abend sagte er laut der Nachrichtenagentur Cihan vor dem Sitz seines Blattes: "Die Demokratie wird fortbestehen und die freien Medien werden nicht schweigen."
"Beschämend für EU, wenn mit Ankara verhandelt wird"
Auch die österreichische Ausgabe der regierungskritischen Zeitung kritisierte den Schritt. Es ist beschämend für die EU, wenn in Ankara Verhandlungen geführt werden und gleichzeitig in Istanbul von der Polizei eine Redaktion gestürmt wird und niemand ein einziges Wort darüber verliert, weil man auf die Unterstützung von Erdogan angewiesen ist", sagte Bilal Baltaci, Redakteur bei der Österreich-Ausgabe der Zeitung, am Freitag.
"Indem sie um sich schlägt und danach strebt, die kritischen Stimmen im Zaum zu halten, walzt die Regierung von Präsident Erdogan Menschenrechte nieder", erklärte auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Der Deutsche Journalisten-Verband kritisierte die Entscheidung des Gerichts scharf: "Damit werden die letzten Reste der Pressefreiheit in der Türkei ausgehebelt", sagte der Bundesvorsitzende Frank Überall. Es seien ohnehin schon Dutzende Journalisten in dem Land inhaftiert. Und Amnesty International teilte mit: "Indem sie um sich schlägt und danach strebt, die kritischen Stimmen im Zaum zu halten, walzt die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan Menschenrechte nieder."
Zeitung steht Erdogan-Gegner Gülen nahe
"Zaman" steht der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nahe, der im US-Exil lebt. Gülen war einst ein Verbündeter von Erdogan, hat sich aber völlig mit ihm überworfen. Gülens "Hizmet"-Bewegung ist in der Türkei inzwischen zur Terrororganisation erklärt worden. Gülen wird vorgeworfen, "parallele Strukturen" - also einen Staat im Staat - in der Türkei gegründet zu haben mit dem Ziel, Erdogan zu entmachten.
Der Parlamentsabgeordnete Emrullah Isler von der Regierungspartei AKP erklärte, die Übernahme von "Zaman" durch Treuhänder sei "ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die parallele Struktur". In Richtung der Gülen-Anhänger meinte er: "Sie zahlen den Preis für ihren Verrat gegenüber dem Staat und dem Volk."
Kritische Medien werden mundtot gemacht
Regierung und Justiz sind in den vergangenen Monaten hart gegen mehrere kritische Medien vorgegangen. So wurde die Gülen-nahe Zeitung "Bugün" unter Treuhandverwaltung gestellt und auf Regierungskurs gebracht. Der Chefredakteur der unabhängigen, nicht der Gülen-Bewegung nahestehenden kritischen Zeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, und der Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül wurden in Untersuchungshaft genommen. Ihnen wird unter anderem Spionage und Geheimnisverrat vorgeworfen.
Das Verfassungsgericht hatte vergangene Woche die Freilassung der beiden Journalisten verfügt, es sah das Recht auf Meinungsfreiheit und die Persönlichkeitsrechte Dündars und Güls verletzt. Trotzdem droht ihnen weiterhin lebenslange Haft. Erdogan kritisierte den Beschluss des Obersten Gerichts mit den Worten: "Ich sage es offen und klar, ich akzeptiere das nicht und füge mich der Entscheidung nicht, ich respektiere sie auch nicht." Der Prozess gegen Dündar und Gül soll am 25. März beginnen.
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