"Kinder des Terrors"
Was mit den Babys der IS-Sexsklavinnen passiert
Welche unfassbaren Qualen jesidische Frauen in den Händen der Terrormiliz Islamischer Staat erleiden müssen, ist aus zahlreichen Erzählungen geflohener Opfer bekannt. Für viele Frauen der religiösen Minderheit, die der IS als Teufelsanbeter sieht und daher zu zerstören versucht, endet aber der Terror nicht mit der Befreiung. Vor allem jene, die von IS-Kämpfern geschwängert bzw. sogar während der Gefangenschaft gezeugte Kinder zur Welt gebracht haben, sind Hass, Ausgrenzung und Gewalt in ihrer Umgebung ausgesetzt. Die "Kinder des IS" werden versteckt, getötet oder von kurdischen Paaren anonym adoptiert.
Das deutsche Nachrichtenmagazin "Spiegel" hat sich die Geschichten von geflohenen Jesidinnen, die derzeit in Flüchtlingsunterkünften in Deutschland eine neue Existenz aufzubauen versuchen, angehört. Ihr Martyrium steht stellvertretend für Tausende Jesidinnen, die das gleiche Schicksal erleben mussten oder nach wie vor erdulden müssen: Misshandlungen, brutale Vergewaltigungen und Zwangsarbeit.
Grausame Schicksale während IS-Eroberungen
Die meisten der Opfer, die sich dem "Spiegel" anvertraut haben, wurden während der Eroberungszüge des IS in die Region Sindschar im Norden des Iraks im August 2014 verschleppt, von ihren Ehemännern und Familien getrennt und wie Vieh an den Bestbietenden weiterverkauft.
Die Fotografin und Journalistin Seivan M. Salim erfasste die Berichte der Frauen als Teil des Projekts "Map of Displacement" , das die Schrecken der IS-Herrschaft dokumentiert.
IS-Kämpfer: "Ich will, dass du mir einen Sohn schenkst"
Die 23-jährige Khaula - ihren richtigen Namen wollte sie laut dem Magazin aus Angst vor IS-Sympathisanten in Deutschland nicht bekannt geben - sei wie Hunderte andere Frauen aus ihrem Dorf in Busse gezwängt und zunächst in ein Gefängnis gebracht worden. Nach kurzer Zeit habe sie ein 45-jähriger IS-Kämpfer für die Summe von 1,5 Millionen irakische Dinar (rund 1500 Euro) gekauft. Von diesem sei sie entjungfert und monatelang in einem Haus in Mossul brutal vergewaltigt worden. Später sei sie in ein anderes Haus gebracht worden, wo die Ehefrau ihres Peinigers mit fünf Töchtern lebte. Sie sei erneut schwanger gewesen - erneut mit einem Mädchen. Aus diesem Grund habe der 45-Jährige Khaula gesagt: "Ich will, dass du mir einen Sohn schenkst."
"Bitte kein Kind vom IS"
Als Khaula gemerkt habe, dass sie schwanger war, habe sie versucht, mit körperlicher Überanstrengung ihr Baby zu verlieren. Doch das Kind blieb und die Ehefrau wurde offenbar eifersüchtig. Das war auch Khaulas Glück, denn die Frau des Kämpfers habe ihren Bruder kontaktiert. Dieser wiederum habe der Jesidin mithilfe seiner Kontakte in der Region Irakisch-Kurdistan die Flucht ermöglicht. Wieder in Freiheit sei die 23-Jährige ziemlich bald von Familienmitgliedern mit der Frage konfrontiert worden, was denn nun mit ihrem Baby geschehen soll. Die Position der Familie sei eindeutig gewesen: "Bitte kein Kind vom IS."
"Jesiden akzeptieren kein fremdes Blut"
Daraufhin habe sie Mittel genommen, die die Wehen haben einsetzen lassen. Die Tochter sei lebend zur Welt gekommen, doch danach habe es "Komplikationen" gegeben. Khaulas Kind sei gestorben, der Wunsch der Familie war damit erfüllt. "Fremdes Blut, also ein Kind von einem Muslim würde nie akzeptiert", erklärt Nezar Ismet Taib, Leiter der Gesundheitsdirektion in der nordirakischen Stadt Dohuk, im "Spiegel", warum es als Schande gilt, so ein Kind zu gebären.
"Eltern unbekannt"
Viele Frauen bringen es nicht über das Herz, jenes Leben, das in ihren Körpern entstanden ist, auszulöschen. Für all diese Frauen gibt es laut dem Nachrichtenmagazin in Dohuk die Möglichkeit, ihre Kinder zur anonymen Adoption freizugeben. Babys mit der Information "Eltern unbekannt" seien häufig IS-Kinder. Das wüssten aber nur die Gesundheitsdirektion und das Zivilgericht von Dohuk - nicht jedoch kurdische Paare mit einem unerfüllten Kinderwunsch. Sobald ein adoptiertes Kind im Ehezeugnis der neuen Eltern steht, gilt es als Familienmitglied und niemand aus der Nachbarschaft fragt dann noch nach den Stammesstrukturen, die in der kurdischen Gesellschaft ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.
Frauen retten Kinder mit erfundener Herkunft
Jene Frauen, die es in die Klinik in Dohuk schaffen, haben Glück. Doch viele sind zu traumatisiert, um sich Medizinern anzuvertrauen und bleiben mit ihren IS-Kindern alleine. Viele helfen sich mit Lügen, die sie rund um die Herkunft ihrer Neugeborenen spinnen. Zumeist heißt es, der Freund oder Ehemann sei an der Front gefallen. Mit der Zeit glauben die betroffenen Jesidinnen ihre erfundenen Geschichten selbst.
Nach wie vor rund 4000 Jesidinnen Händen des IS
Laut den Vereinten Nationen befinden sich derzeit rund 4000 jesidische Frauen in den Händen der Terrormiliz. Für den IS sind die Jesiden "Teufelsanbeter" und "Ungläubige". Diese Ansichten, die auch von vielen orthodoxen Muslimen geteilt werden, beruhen großteils auf der Sekten-ähnlichen und mysteriösen Religion der Jesiden. Sie folgen einem uralten Glauben, der aus Mesopotamien stammt. Er soll vor 3500 bis 4000 Jahren entstanden sein und hat seine Wurzeln im Zoroastrismus, einer antiken persischen Religion und Philosophie.
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