Ein Jahr nach Beben
Nepal: Wiederaufbau scheitert an der Regierung
Vor einem Jahr erschütterten zwei verheerende Erdbeben den Himalaya-Staat Nepal. Fast 9000 Menschen starben, mehr als 600.000 Häuser wurden zerstört. Der Wiederaufbau scheitert an der Regierung. Die "Krone" hat sich in Nepal nach den Ursachen umgesehen.
Seine Augen sind müde, der Blick ist traurig und leer. Tek Bahadur Thami nimmt seinen kleinen Sohn in den Arm, streichelt ihm zärtlich über den Kopf. Der 23-Jährige spricht nicht viel, er kann nur mit wenigen, zögerlichen Worten beschreiben, was vor einem Jahr passiert ist. Seine Frau, mit der er fünf Jahre lang verheiratet war, wurde während des Erdbebens von einem Erdrutsch mitgerissen und getötet. Auf dem Rücken trug sie die neun Monate alte Tochter - das Mädchen wurde weggeschleudert und blieb verletzt unter einem großen Stein liegen. Tek Bahadur Thami barg die Leiche seiner Ehefrau und rettete das Baby.
Seither lebt der junge Mann mit seinen beiden Kindern und seinen Eltern in einem kleinen provisorischen Wellblech-Bau, einer notdürftig zusammengezimmerten Baracke. Die Regierung hat den Erdbebenopfern je 2000 US-Dollar (rund 1780 Euro) für den Wiederaufbau versprochen, doch auf das Geld warten die Betroffenen bis heute. Und so sieht es ein Jahr nach der Katastrophe immer noch verheerend aus - eine Ruine reiht sich an die andere, dazwischen stehen die Behelfsunterkünfte, die zum Dauerzustand zu werden drohen.
Das müsste nicht so sein, doch die Regierung blockiert den Wiederaufbau. Das Regime will seine Macht demonstrieren und fordert von den Hilfsorganisationen, die nur darauf warten, endlich loslegen zu können, die Spenden - um angeblich selbst den Wiederaufbau zu finanzieren und durchzuführen. Ein Deal, auf den sich Rotes Kreuz und Co. natürlich nicht einlassen können. Und so passiert gar nichts, in dem bitterarmen Himalaya-Staat herrscht Stillstand.
Rotes Kreuz: "Es geht gar nichts weiter"
Und zwar in allen Bereichen: Acht Jahre lang dauerte es, bis im vergangenen Herbst endlich eine Verfassung verabschiedet wurde. "Durch Bürokratie und schlechtes Management geht einfach gar nichts weiter", sagt Max Santner, der für das Internationale Rote Kreuz die Hilfsaktivitäten in Nepal leitet. Er klingt desillusioniert und auch frustriert - oder realistisch, wie es manche seiner Mitarbeiter nennen.
Dabei stünde alles bereit. Das Rote Kreuz errichtet Demo-Häuser, die erdbebensicherer als die bisherigen einfachen Ziegelbauten sind, und veranstaltet in entlegenen Dörfern Trainings, um Handwerker auszubilden. Dabei stoßen die Helfer auf ein weiteres Problem: In den Ortschaften leben großteils Frauen und Kinder - die Männer sind als Gastarbeiter im Ausland, etwa um in Katar unter barbarischen Bedingungen die Stadien für die Fußball-WM 2022 zu errichten.
Wer Geld hat, baut sein Haus auf eigene Kosten wieder auf. Doch das können sich nur die allerwenigsten leisten - die Einkünfte sind minimal, die Inflationsrate beträgt mehr als elf Prozent. Der Schaden aber, den das Erdbeben angerichtet hat, ist gewaltig. Im Bezirk Dolakha etwa, östlich der Hauptstadt Kathmandu, ist so gut wie jedes Haus beschädigt - 99,9 Prozent, wie es in offiziellen Berichten heißt.
Zu viele Hilfsorganisationen verursachen Chaos
Wenig hilfreich sind auch kleine Hilfsorganisationen aus aller Welt, die - gut gemeint - sehr lokal einzelne Familien unterstützen, das Chaos jedoch oft nur noch größer machen. Insgesamt waren in Nepal nach dem Erdbeben 40.000 Hilfsorganisationen registriert. Einen kleinen Lichtblick sieht Rotkreuz-Experte Santner dennoch: Nächste Woche stehen erneut Gespräche mit der Regierung zum Wiederaufbau auf der Agenda. Ein winziges positives Zeichen, ein Hoffnungsschimmer. Mehr aber auch nicht.
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