30 Jahre nach dem Super-GAU in Tschernobyl hat die EU-Kommission offenbar immer noch nichts dazugelernt: In einem jetzt durchgesickerten Strategiepapier fordert sie den massiven Ausbau der Atomkraft und kündigt umfangreiche Investitionen in entsprechende Forschungsprogramme an.
Die EU, heißt es in den Unterlagen, die "Spiegel Online" vorliegen, müsse ihre technologische Vorherrschaft auf dem Nuklearsektor verteidigen. Dafür sollten die Mitgliedsstaaten bei Forschung, Entwicklung, Finanzierung und beim Bau neuer innovativer Reaktoren stärker zusammenarbeiten. Konkret solle der Bau von "flexiblen Mini-Reaktoren" vorangetrieben werden.
Lunacek kritisiert "fanatische Anhänger der Atomkraft"
Die grüne Vizepräsidentin des EU-Parlaments, die Österreicherin Ulrike Lunacek, kann darüber nur den Kopf schütteln und spricht von "fanatischen Anhängern der Atomkraft" an einflussreichen Stellen in der EU-Kommission: "Die Kommission ignoriert damit, dass Atomenergie wirtschaftlich mit erneuerbaren Energien wie Wind- und Sonnenenergie nicht mehr mithalten kann, wenn man alle Kosten inklusive des Rückbaus berücksichtigt. Daran können auch sogenannte Mini-AKWs nichts ändern - die Gefahr und die Kosten aber bleiben maxi."
Reinhard Uhrig von der Umweltschutzorganisation Global 2000 findet die Pläne der EU "gefährlich" und "geradezu absurd, ja aberwitzig". Kleine Reaktoren seien noch unwirtschaftlicher als große und ein noch viel massiveres Sicherheitsrisiko - vor allem in Zeiten der terroristischen Bedrohung: Schließlich müssten all diese geplanten kleinen Atomkraftwerke vor möglichen Attentaten geschützt werden.
Rupprechter: "Das ist der absolut falsche Weg"
Auch Umweltminister Andrä Rupprechter kritisierte die Überlegungen der EU-Kommission zur weiteren Förderung der Atomenergie scharf. "Das ist der absolut falsche Weg. Über eine Renaissance der Kernenergie nachzudenken ist absurd", sagte er am Rande des EU-Agrarrats in Brüssel. "Wir brauchen eine Energiewende, um in nachhaltige Energien zu investieren", so der Minister.
Die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks bezeichnete die EU-Pläne als "eine verrückte und unverantwortliche Idee". Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sagte: "Atomkraft ist nicht nur hoch gefährlich, sondern auch verdammt teuer. EU-Subventionen für den Bau von Atomkraftwerken können wir nicht unterstützen." Die EU-Kommission solle endlich eine konkrete Strategie zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zum Energiesparen in ganz Europa entwickeln.
EU-Kommission beschwichtigt: Offene Diskussion geplant
Angesichts der heftigen Kritik von allen Seiten versuchte die EU-Kommission am Dienstagabend die Wogen zu glätten. Eine Sprecherin sagte in Brüssel, es gehe lediglich darum, im Rahmen der Energieunion mögliche Forschungsbereiche im Nuklearbereich zu identifizieren. Es handle sich nicht um ein abschließendes Dokument oder die endgültige Position der Kommission.
Die zuständige Generaldirektion in der Brüsseler Behörde habe an die nationalen Experten ein entsprechendes Schreiben über eine innovative Diskussion in diesem Bereich versandt. Außerdem verwies die Sprecherin darauf, dass die Wahl des Energieträgers eine nationale Kompetenz sei und in der Verantwortung jedes einzelnen EU-Landes liege. Die Angelegenheit solle nächste Woche offen diskutiert werden und zu einer nicht bindenden Absichtserklärung führen.
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