Vor wenigen Tagen wurde der deutsche Rockstar Udo Lindenberg 70 und mit seinem neuen Album "Stärker als die Zeit" ist der stolze Hotelbewohner erfolgreicher als je zuvor. Doch was ist die Magie hinter dieser Altersstärke? Was macht den in mehrfacher Hinsicht bereits Totgesagten auch für die jüngeren Generationen wieder populär? Wir haben bei Udo durchgeklingelt und uns 20 Minuten über Falco, Maggi-Würfel, Politik, Kantaten und Saufen nach der Mengenlehre unterhalten. Die Antwort auf unsere Fragen - er ist einer der letzten Musiker mit Ecken und Kanten.
"Krone": Udo, nach deinem immens erfolgreichen Album "Stark wie zwei" rollst du jetzt mit "Stärker als die Zeit" die Charts noch kräftiger auf. Wer oder was ist denn deiner Meinung nach stärker als die Zeit?
Udo Lindenberg: Das Album ging in Deutschland gerade auf Nummer eins - deshalb musste ich mich jetzt erst einmal eine ordentliche Runde durchfreuen. (lacht) Das ist meine dritte Nummer eins in Folge und natürlich umwerfend. Da muss man sich anstrengen, überhaupt stehenzubleiben, so geil ist das. Zu deiner Frage: Das ist ein Vorsatz, die Zeit und das Alter auszutricksen. Ich versuche mir eine Dimension von etwas Alienhaftem zu geben. So, als hätte man mit den irdischen Zeitabläufen nichts zu tun. Ein bisschen so, als ob man sich rückwärts entwickeln würde. Da gibt es einen Film dazu, wo ein Typ immer jünger, schneller und frischer wird. Kennst du den Film?
"Krone": Meinst du "Der seltsame Fall des Benjamin Button"?
Lindenberg: (lacht) Genau. Die Songs sind stärker als die Zeit, die werden auch in 300 Jahren noch wirken und die Leute werden sie singen und heilig sprechen. So wie sie das heute schon mit einigen Falco-Songs tun und solchen Kollegen.
"Krone": Was macht denn jemanden zur lebenden Legende? Das Charisma? Die Erfolge? Die Skandale?
Lindenberg: Alles zusammengenommen. Das mysteriöse Wirken in der Unter- und in der Oberwelt. Auch alles, was in den Kanzlerämtern und Chefetagen passiert und in den Höhlen aller Direktoren. Es gibt keine Oberwelt ohne Unterwelt. Keine Politiker ohne Ganoven und oft ist das dasselbe. Wenn man sich da auskennt, dann stärkt das das Wissen und stählt die Seele. Ich habe selbst alle Höhen und Tiefen durchschlichen und durchflogen. Nach dem Krieg gab es um fünf Pfennig den Maggi-Würfel, weil es sonst nichts zu essen gab und der ist für mich die Mischung aus Magie und Alltag. Man kann so etwas nicht lernen, entweder ist man so ein Typ, oder nicht. Das war bei Falco dasselbe. Ich habe Wien durch Falco kennengelernt und wir haben uns oft gegenseitig besucht. Wir waren gute Freunde, sind oft durchs U4 gezogen und er hat mir die Katakomben in Wien gezeigt. Das waren tolle Zeiten, wir haben viel Scheiße gebaut.
"Krone": Waren Falco und du euch sehr ähnlich?
Lindenberg: Das auf jeden Fall, absolut. Wir hatten einen sehr guten Draht zueinander. Er ist auch oft hier in Berlin aufgetreten mit dem "Kommissar" und solchen Sachen. Wir waren sehr enge Buddys. Falco hat mir Wien sehr genau gezeigt und mich durch die Gegend gefahren. Er zeigte mir auch, wo die Töchter von Josefine Mutzenbacher wohnen. (lacht) Das war alles sehr lustig.
"Krone": Sterben solche Typen wie du oder Falco im heutigen Musikgeschäft endgültig aus?
Lindenberg: Leider ja, da könnten ruhig ein paar mehr kommen. Viele haben schon eine Vorzensur im Kopf, weil sie für Radio-Airplay vieles opfern. Die meisten sind von der milden Sorte. Das ist auch nett, aber nicht so aussagekräftig. Wie heißen die einen bei euch gerade? Wanda? Die gehen schon mal in die richtige Richtung. Gibt’s da nicht auch eine Band, die Glücksspiel heißt? Oder Glasperlenspiel oder Zauberspiel?
"Krone": Glasperlenspiel sind aber Deutsche.
Lindenberg: Okay. Ich vermisse jedenfalls krasse Typen und krasse Shows. Auch politisch kommt keiner mehr richtig zur Sache.
"Krone": Auf deinem Song "Plan B" besingst du, dass du deine eigenen Pläne verfolgst und dich nicht mehr ändern willst. Du wirkst aber nicht gerade so, als ob das jemals anders gewesen wäre…
Lindenberg: Da geht es ja eher um Udo Lindenberg als Kind. Mir war schon damals klar, dass ich mich nicht verbiegen lasse und meinen Weg gehen werde. Gerade bei den Liebesbeziehungen und auch in anderen Bereichen meiner Jugend hieß es oft, ich wäre ja ein lieber Junge, aber dieses und jenes müsste noch geändert werden. Ich habe mein Leben immer in den Dienst des Rock'n'Roll gestellt und dem alles andere untergeordnet. Ich mache einfach mein Ding und fertig. Außerdem ist die Nummer auch ein Verwandtschaftssong zum Lied "Ich mach mein Ding". Nur steckt hier noch mehr meine Biografie drin. Ich erwähne in diesem Zusammenhang immer gerne Hermann Hesse, der schon mit 15 wusste und sagte: "Ich werde Schriftsteller, oder gar nichts". Kollege Mozart wusste schon mit 13, dass er Weltkomponist oder gar nichts werden würde. Bei mir war auch mit zwölf klar, dass ich weltberühmter Trommler oder Performer werde. Wenn man dann noch aus einem kleinen Dorf kommt und außer normal arbeiten gehen ohnehin keine Perspektive hat, dann hat man auch genug Ideen, um sich diese Träume zu erfüllen. Ich hatte keine Sekunde Gesangsunterricht. Mir kam schon viel zugeflogen, ich hatte viel Glück und bin ein Medium, ein Antennenvogel. Ich beziehe viele Informationen und Signale aus der Tiefe des Alls.
"Krone": Du bist derzeit so erfolgreich wie nie zuvor - fühlst du dich erst jetzt von den Leuten richtig verstanden?
Lindenberg: Durchaus, aber mich freut das total. In meinem Publikum sind Leute jeden Alters. Von kleinen Kindern über heiße Greise und Malocher bis hin zu Akademikern und Professoren. Es kommen einfach die hippen Leute, die flexibel sind, eine andere Politik und ein geiles, grenzenloses Europa wollen. Die Schräglage der Welt ist ohnehin schon so heftig, umso schöner wäre es, wenn man auch nur ein klein bisschen dagegen tun könnte. Die Würde des Menschen steht in der UNO-Charta an erster Stelle und dann beobachten wir die Katastrophen, die sich an den EU-Außengrenzen abspielen. Wir möchten diese UNO-Charta auch umgesetzt sehen.
"Krone": Du warst schon seit jeher überzeugt linkseingestellter Politinteressierter. Bist du noch heute so ein Rebell und Revoluzzer wie früher?
Lindenberg: Ich bin Pragmatiker. Ich bin kein so ein romantischer Rebell, der im Che-Guevara-Shirt bei Demos ganz vorne ist. Ich erlebte die Zeit der Frauenrechtsbewegung, der Schwulenbefreiung, die Hippies gegen Vietnam. Man hat ja gesehen, wenn Hunderttausende aufstehen, kann man was bewegen - siehe Watergate. Einerseits stecken wir heute hunderte Millionen in Atomraketen, andererseits müssen Millionen Menschen auf den Straßen hungern. Wir müssen einfach sehen, dass die Welt zu einem faireren Ort in diesem Universum wird. Ich bin kein Kulturpessimist und ich glaube, wir kriegen das alles geregelt. Ich bin da am Start und meine Konzerte bewirken auch was. Da gibt es Informationen gegen Nazis und Kleinstaatlichkeit. Die EU muss da einfach aufs Gas steigen und das große Europa mit unterschiedlichen Ländern wie Österreich, Polen oder Russland muss zusammenwachsen. Ich möchte im Herbst auch in Warschau, Moskau oder in Bulgarien spielen. Die Botschaft muss sich verbreiten. Und natürlich sehr gerne in Wien, denn dort waren wir schon 20 Jahre nicht mehr. Das letzte Mal habe ich ein breites Ständchen im U4 gebracht. Mit unseren Stadionshows möchten wir ganz gerne zu euch kommen, weil wir die Stadt sehr mögen. Nach der Tour habe ich erst einmal eine Woche Urlaub gemacht und da war ich in Salzburg und Wien.
"Krone": Deine Shows und Bühnenaufbauten werden auch immer opulenter. Ist dir das mittlerweile wichtiger als die Musik selbst?
Lindenberg: Das Gesamtwerk besteht aus Komponieren, Singen, Texten und das in große Bilder und Atmosphären umsetzen, dabei Intimität in großen Stadien herstellen und entertainen. Man darf niemals Massenabfertigung machen. Wir haben in Stadien ca. 80 Kameras, die herumfliegen und das macht schon was her. Es wäre natürlich auch schön, könnte ich das mal in Wien sehen - aber vorher muss wohl mal die Stadthalle drankommen. (lacht)
"Krone": Derzeit ist weit und breit kein Nachfolger für dich zu sehen - was fehlt denn den anderen Künstlern, was du hast?
Lindenberg: Das ist wohl der berühmte Maggi-Würfel, von dem ich sprach. Man braucht auf jeden Fall eine ordentliche Verrücktheit und muss sich auch dazu bekennen. Du solltest ein Freund der Grenzbereiche und Ausnahmezustände des Lebens sein - auch ein Freund der Extreme. Man muss dann all die Pläne auch durchsetzen. Künstler im Kopf und am Tresen gibt’s reichlich, solche, die ihre Pläne aber umsetzen, nur wenige. Da bin ich zum Glück cool genug, dass ich das mit meinen tollen Freunden und dem Team hinkriege. Wir sind 300 Leute auf Tournee, darunter euer Wiener Hannes Rossacher, und ziehen das zusammen gut durch.
"Krone": Du bist ja selbst ein kleiner Benjamin Button, denn du hast unlängst deinen 70. Geburtstag gefeiert, wirkst aber fast fitter und jünger als früher. Wie geht so etwas?
Lindenberg: (lacht) Ich habe einen Deal gemacht. Saufen nach der Mengenlehre - also mehr ist mehr - wird eingestellt, stattdessen gibt es eine gezielte Wirkstoffeinnahme. Die Inhalt und die Dosis des Gifts wurden angepasst, es gibt nur mehr das Nötigste und ganz selten einen Tick mehr. Früher war ich ja ständig rund um die Uhr breit, die Spirituosen-Industrie lebte gut von mir. Heute mache ich jeden Tag eine Stunde Sport. Nachts renne ich los, egal wo ich bin und außerdem praktiziere ich Kickboxen. Das Adrenalin und der Kundendienst auf der Bühne halten mich ebenso fit. Leider sind viele von uns bereits viel zu früh in die himmlischen Gefilde übergewechselt, aber ich bin noch hier und muss das Ding hier machen.
"Krone": Wurde dir da auch die Endlichkeit des Seins bewusst, nachdem du die Schicksale von Bowie, Prince und Lemmy erlebt hast?
Lindenberg: Ja, sogar in verstärktem Maß. Auch Lou Reeds Tod hat mich schockiert, die meisten kannte ich ja auch, David Bowie sogar ziemlich gut. Wenn die Leute gehen, stellt man sich immer die Frage des Endes. Ich dachte schon mit 50, dass ich abkratzen würde - da war ich mit 4,3 Promille schon starker Todesanwärter. Da stand ich drei Stunden auf der Bühne wie ein Flummi und hatte keine Ahnung, was überhaupt abgeht. Ich rauche Zigarren, das ist wie Salat. Das ist Grünzeug und wird nur doch die Sonneinwirkung so goldbraun. Alle trinken Smoothies, ich rauche Zigarren. (lacht)
"Krone": Lebst du eigentlich noch immer im Hotel Kempinski in Hamburg und wenn ja, was ist die besondere Magie von Hotels?
Lindenberg: Natürlich, seit 20 Jahren mittlerweile. Seit 1980 lebe ich fix in Hotels. Zuerst in New York, dann im Meridian in London und in verschiedenen Intercontinentals in Berlin und New York. Jetzt halt im Kempinski in Hamburg. Es ist einfach extrem praktisch, weil ich wenig selbst machen muss. Hätte Bach seinen Müll persönlich runterbringen müssen, wäre so manche Kantate nie geschrieben worden. Ich muss mich konzentrieren, auf das was ich kann. Ich bin außerdem ein sehr geselliger Mensch, ein Hotel ist ja ein bisschen wie eine WG. Ich habe sehr viele Freunde im Haus, auch in Berlin, wo quasi mein zweites Headquarter ist.
"Krone": Da wäre doch auch ein Hotel in Wien als Wohnsitz gut für dich geeignet, nachdem du ein Fan dieser Stadt bist…
Lindenberg: Da war ich im Hotel Sacher und mir hat es extrem gut gefallen. Ich habe damals eine Widersacher-Torte bestellt, aber die gab es nicht, zumindest damals. In der Nähe ist auch die Galerie Hartinger, die für Kunstliebhaber sehr zu empfehlen ist. Das Imperial und die geilen Hotels kenne ich natürlich auch. Wien ist eine supergeile Stadt.
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