Der designierte SPÖ-Vorsitzende und neue Bundeskanzler Christian Kern will Flüchtlingen künftig rascher einen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen. "Wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir das beschleunigen können", sagte Kern in einem Interview mit dem "Standard". Man müsse mit der Integration so früh wie möglich beginnen. Die Obergrenze für die Aufnahme von 37.500 Flüchtlingen pro Jahr will er aber auf jeden Fall einhalten: "Wir würden einen großen Fehler machen, das wieder aufzuschnüren."
Der Kanzler bezeichnete das deutsche Modell, wonach Flüchtlinge bereits drei Monate nach dem Stellen ihres Asylantrags und nicht erst nach dessen Anerkennung einen Job annehmen dürfen, als "interessant". "Wir können kein Interesse daran haben, die Leute in die Illegalität zu drängen, der Kleinkriminalität auszusetzen, ihnen keine Beschäftigung zu geben. Die Menschen sind da. Wenn wir ihnen keine Perspektive geben, dann werden wir Phänomene produzieren, die wir erst recht nicht wollen", so Kern. "Mir ist schon bewusst, dass das angesichts der Arbeitsmarktlage im Moment eine weitere Belastung bringt. Aber wir müssen uns die Frage stellen, welchen Preis das hat, wenn wir diese Frage nicht positiv beantworten."
Notstandsverordnung bei Erreichen der Obergrenze
Was die mit dem Koalitionspartner vereinbarte Obergrenze betrifft, sagte Kern: "Alles, was bislang beschlossen worden ist, erfährt meine vollumfängliche Unterstützung. Die 37.500 sind der Richtwert, zu dem wir stehen und den wir auch einzuhalten gedenken." Beim Erreichen der Obergrenze spätestens im September würde die Notstandsverordnung greifen, darüber werde gerade mit der ÖVP verhandelt. "Die Notstandsverordnung ist das äußerste Mittel, das zur Verfügung steht. Wenn wir das machen, muss es auch funktionieren. Dann stellt sich die Frage, wie die Asylverfahren zu handhaben sind, um den Zufluss nach Österreich zu reduzieren. Es müssen auch enorme Anstrengungen gesetzt werden, um die Rückführungen möglich zu machen. Das muss funktionieren. Es hat keinen Sinn, wenn wir sagen, wir schicken die abgelehnten Asylwerber zurück, und haben keinen Weg, wie das gehen kann."
"Keine Deckelung der Mindestsicherung für Ausländer"
Eine Deckelung für den Bezug der Mindestsicherung und einen reduzierten Zugang für ausländische Staatsbürger, also auch für Flüchtlinge, wie das von der ÖVP gefordert wird, lehnt Kern klar ab: "Wir sind sehr gut beraten, ein stabiles Netz der sozialen Sicherheit aufzubauen. Eine Deckelung der Mindestsicherung kommt für uns nicht infrage. Ich will da keine Dogmen formulieren, aber wenn man sich die Zahlen anschaut, um die es da geht, dann ist das keine Überdotierung. Da hängt keiner in der Hängematte drinnen."
Kern nennt Ungarn in Sachen Asylpolitik "Führerstaat"
In Sachen Flüchtlingspolitik hatte Kern am Dienstag Ungarns Premier Viktor Orban ins Visier genommen und diesem die Leviten gelesen. So wandte sich der Kanzler gegen einen "autoritären Führerstaat" und kritisierte dabei Orbans Flüchtlingskurs heftig.
Wenn einer von Österreichs Spitzenpolitikern die Flüchtlingskrise hautnah erlebt hat, dann war es wohl Kern. Der ehemalige ÖBB-Chef sah sich im vergangenen September mit einem Ansturm nie da gewesenen Ausmaßes konfrontiert - und reagierte souverän. Zehntausende wurden per Zug und Bus durch Österreich gebracht und versorgt. Schon damals hatte der jetzige Kanzler Ungarns Umgang mit den Flüchtlingen sowie die mangelnde Kooperation der ungarischen Behörden mit Österreich kritisiert.
Am Dienstag warnte Kern mit Blick auf das starke Abschneiden des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer bei der Bundespräsidentenwahl davor, in der Flüchtlingspolitik auf autoritäre Lösungen zu setzen. "Zu glauben, dass man bei der Asylproblematik das Problem wegzaubern kann, indem man den Eindruck vermittelt, dass Reformieren bedeutet, Österreich in einen autoritären Führerstaat zu verwandeln, ist eine Illusion", sagte Kern. "Nicht einmal der Herr Orban kann sich wünschen, die Flüchtlinge wegzubeamen, wie wir anhand der jüngsten Entwicklungen sehen."
Ungarische Regierung empört
Budapest reagierte erzürnt auf die Aussage des Kanzlers. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto sagte, die Haltung Wiens im Umgang mit Flüchtlingen sei "bigott und von Frustration getragen". "Zu glauben, der Kanzlerwechsel würde zu einem Wechsel der politischen Kultur führen, ist eine Illusion", so Szijjarto mit Blick auf den auf Druck der öffentlichen Meinung erfolgten Schwenk in der österreichischen Flüchtlingspolitik. Auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sagte am Dienstagabend in der "ZiB 2" des ORF, Kern habe mit seiner jüngsten Kritik an Ungarn "Gräben aufgerissen".
Van der Bellen bekräftigt: Kein Regierungsbildungsauftrag für FPÖ
Unterdessen wiederholte der designierte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Dienstagabend, Strache nicht mit der Regierungsbildung beauftragen zu wollen. "Die FPÖ spielt mit dem Feuer", sagte Van der Bellen in einem Interview mit den ARD-"Tagesthemen" mit Blick auf den EU-feindlichen Kurs der Freiheitlichen. "Wir sind ein kleines, offenes Land, das auf Exporte angewiesen ist. Daher ist es nicht im politischen oder wirtschaftlichen Interesse Österreichs, sich von der Union abzunabeln." Er werde der FPÖ nicht den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen, wenn sie nach der nächsten Nationalratswahl stärkste Kraft im Parlament werden sollte.
Dazu sagte Strache in der "ZiB 2", Van der Bellen ignoriere mit dem neuerlichen Nein zu einem FPÖ-Regierungsbildungsauftrag den Wählerwillen. Strache sieht beim "Gräben Zuschütten" daher nicht sich selbst am Zug, sondern Van der Bellen.
Kern: "Protest berechtigt und ernst zu nehmen"
Die Koalitionschefs versprachen am Dienstag jedenfalls "konkrete Maßnahmen", um die Lage im Land zu verbessern. Kern hatte in Bezug auf das Erstarken der FPÖ schon am Montag erklärt, dass die Regierung die Signale der Wähler verstanden habe. Am Dienstag ergänzte er, dass "der Protest teilweise berechtigt und ernst zu nehmen ist".
Video: Kern und Mitterlehner haben "den Protest verstanden"
Ringen um Begeisterung für Arbeit der Regierung
Der Ausgang der Hofburg-Wahl nach vielen heftigen Debatten während der Kampagnen sei nun eine Chance, die Menschen "für eine gute Regierungspolitik zu begeistern", gab sich Kern zuversichtlich. Nun müsse die Regierung "konkrete Maßnahmen entwickeln und umsetzen", lautete das Versprechen von Kanzler Kern. Und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sagte, dass man bei den Planungen "die reine Klientelpolitik" hinter sich lassen wolle.
Angekündigt haben SPÖ und ÖVP "fünf Schwerpunktprojekte für die Zukunft". Aufmerksamen Beobachtern der Innenpolitik werden die von Kern genannten Schwerpunkte nicht ganz unbekannt vorkommen:
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