Alfa Romeo hat kräftig Ballast abgeworfen und ist wieder richtig da! Bei ersten Testfahrten hat die Giulia meine Befürchtungen zerstreut, die Italiener könnten mit der emotionalen Optik des 3er-BMW-Konkurrenten schon ihr Pulver verschossen haben. Tatsächlich fühlt sie sich beim Fahren genau so an, wie ich gehofft habe.
Vorbei offenbar die Zeiten des Übergewichts, das Autos wie Alfa 159, Brera und Spider mit sich herumschleppen. Die Giulia ist eine ranke, schlanke Schönheit mit besten Manieren und dem eleganten Auftritt einer Diva, ist sich aber auch nicht zu schade, richtig zuzupacken. Sie löst die Versprechungen ein, die die Marke seit Jahren gebrochen hat und erfüllt die Hoffnungen der Fans. "Alfista" heißt jetzt nicht mehr Leidender, sondern Begeisterter.
Und dafür muss man nicht einmal zum Topmodell Giulia Quadrifoglio greifen, mit 510 PS die Speerspitze im Programm. Nein, schon die ganz normale Giulia mit dem 180 PS starken 2,2-Liter-Dieselmotor zeigt, wo der coniglio langläuft oder der Giacomo den Chianti holt.
Das Alu-Triebwerk ist ein Leisetreter, der nicht dieselt, dafür aber mit 450 Nm ab 1750/min. für kräftigen Vortrieb sorgt. Von einem Turboloch ist nichts zu spüren, das manuelle Schaltgetriebe passt perfekt dazu und ist knackig und präzise zu schalten. Die Version mit Achtstufenautomatik ist auf maximal 380 Nm limitiert, die konnte ich allerdings leider nicht ausprobieren. Vom Start weg, also ab sofort, gibt es den Motor auch mit 150 PS, ein 136-PS Diesel soll später folgen. Ebenso wie weitere Benziner, bisher ist ja 510 PS die einzige Otto-Option.
Yes! Hinterradantrieb!
Das Aluminium-Fahrwerk ist vom Feinsten, hinten Mehrlenkerachse, vorne "Doppelquerlenker mit halbvirtueller Lenkachse". Das soll für einen konstanten Nachlauf in allen Fahrsituationen sorgen und die Lenkung " effektiv von Federungs- und Antriebseinflüssen entkoppeln". Wie gut das wirklich funktioniert, werden wir erst sehen, wenn die Allradversionen nachgereicht werden, einstweilen sorgt vor allem der Heckantrieb für eine Entkopplung von Antrieb und Lenkung. Ja, richtig, Alfa Romeo sagt arrivederci zum Frontantrieb, den der 159 noch hatte. Die Lenkung an sich ist etwas leichtgängig geraten, lässt sich aber mit dem DNA-Schalter (das, was bei BMW etwas sperrig Fahrerlebnisschalter heißt) ein wenig schärfen. An der Präzision gibt es nichts zu bemängeln.
Die Fahrwerksabstimmung ist mustergültig: knackig, ohne zu straff zu werden, und ausreichend komfortabel. Das fühlt sich richtig gut an, irgendwie vertraut. Man spürt, dass sich Alfa Romeo an BMW orientiert.
Das gilt auch für den Innenraum. Es gibt jetzt einen BMW-esken Drehdrücksteller, mit dem über den zentralen Bildschirm das Navitainment gesteuert wird. Bedienlogik und Grafik sind zwar nicht so ausgereift wie bei BMW, man kann damit aber gut leben. Optisch ist der Bildschirm perfekt eingepasst, er scheint durch eine große, schwarze Fläche durch, nahtlos. In beiden erhältlichen Größen. Es gibt kaum Knöpfe und Tasten, alles wirkt aufgeräumt, die Materialien hochwertig, nur der Plastikschaltknauf liegt unangemessen billig in der Hand. Perfekt für das Ferrari-Feeling: Der Startknopf sitzt am Lenkrad.
Kleine Schrullen gibt es auch: Der Tippkontankt des Blinkers löst ein fünf(!)-maliges Blinken aus.
Mit 1374 kg Leergewicht ist diese Giulia vorbildlich leicht, der entsprechende 3er-BMW bringt über 50 kg mehr auf die Waage. Entsprechend gut ist der Sprintwert mit 7,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Als Höchstgeschwindigkeit gibt Alfa Romeo 230 km/h an (Verbrauch: 4,2 l/100 km).
Die 510-PS-Bestie als BMW-M3-Killer
Der Münchner Mittelklasse-Sportler ist der erklärte Gegner des Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio. Mit 510 PS entspricht die Leistung des 2,9-Liter-V6-Motors der des (im Vergleich übergewichtigen) Mercedes-AMG C 63 S, dessen Drehmoment (700 Nm bei 1750/min.) die Giulia mit 600 Nm bei 2500/min. aber nicht annähernd erreicht. Kunststück, die Schwaben verbauen ja einen Vier-Liter-V8. Für den BMW M3 langt es aber, schließlich kommt er nur auf 431 PS und 550 Nm.
Herausragend ist jedenfalls das Höchsttempo: Alfa spart sich die freiwillige Selbstbeschränkung und lässt die Giulia Quadrifoglio volle 307 km/h rennen. Der Standardsprint soll in 3,9 Sekunden möglich sein. Das Gewicht des Italo-Sportlers liegt minimal über dem des Münchner Konkurrenten, ist aber mit 1.580 kg ohne Fahrer dennoch sehr gut, unter anderem weil der aktive Frontsplitter, die Motorhaube, das Dach und die Kardanwelle aus Carbon bestehen. Auf Wunsch auch der Rahmen der Sportsitze. Und die Bremsscheiben (Carbon-Keramik).
Der Motor klingt im Vergleich zum BMW ein wenig zahmer, der Antritt ist aber brachial. Und dabei so unspektakulär. Da fährst du 250 und möchtest am liebsten den Ellbogen aus dem Fenster hängen und locker "Volare" pfeifen. Und bist dabei sogar auf der sicheren Seite, denn wenn es sein muss, kannst du dich auf die elektromechanischen Bremsen verlassen. Alfa Romeo verspricht einen Bremsweg von nur 32 Metern aus Tempo 100. Zur Not bremst die Giulia auch autonom, auch für Fußgänger. Steigt man kräftig in die Eisen (und da rede ich noch nicht von einer Notbremse), aktiviert sie allerdings schon sehr früh die Warnblinkanlage. Das kann bei einem so sportlichen Auto nerven.
Unterm Strich
Dass wir das noch erleben dürfen! So muss ein Alfa Romeo sein. Die Verarbeitung ist zwar nicht auf Top-Niveau, aber das wäre wirklich zu viel verlangt. Und sie geht schon in Ordnung. Ganz auf Top-Niveau liegt hingegen der Preis, nämlich auf dem des 3er-BMW. Der derzeitige Einstiegspreis für die Giulia mit 150-PS-Diesel liegt bei 35.390 Euro, die Giulia Super mit 180 PS und besserer Ausstattung (u.a. Leder und 17-Zöller) kostet 36.990 Euro. Die Giulia Quadrifoglio kommt auf 85.900 Euro - billiger wird man so viel Leistung wohl nirgends bekommen.
Wenn sie jetzt auch noch zuverlässig ist, ist die Giulia vollends ein großer Wurf. Manchmal wird ja doch noch alles gut.
Warum?
Warum nicht?
Oder vielleicht …
… 3er-BMW, Mercedes C-Klasse, Audi A4, Jaguar XE
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