Urnengang-Chaos

Gibt es eine Lösung für Wahlen ohne Ergebnis?

Österreich
26.06.2016 08:08

Das Kernstück jeder Demokratie sind Wahlen. Als Salz in der Suppe politischer Beteiligung gelten Volksabstimmungen. In Österreich, Großbritannien und Spanien erleben wir gerade, dass man nachher mitunter ohne taugliches oder vor allem erwünschtes Ergebnis dasteht. Was ist das Problem - und wie sehen Lösungen aus?

1. Eine Stichwahl zweier Präsidentschaftskandidaten ist narrensicher. Man konnte für Alexander Van der Bellen oder Norbert Hofer sein. Oder ungültig wählen. Die Auszählung der Briefwahl stellte aber ein Sittengemälde des denkschwachen Demokratieverständnisses mehrerer Beamter und Wahlbeisitzer dar.

Dahinter steckte keine böse Absicht. Doch der Umgang mit den Wahlkarten war lässig, als ginge es um die Verteilung von Gratistickets für ein Fußballspiel. Bei Bürgermeisterwahlen in Vorarlberg ist 2015 Ähnliches passiert. Briefwahlkarten wurden blockweise von nicht befugten Personen ausgegeben und übernommen. Weil es noch knapper herging, kam es in Bludenz und Hohenems zu Neuwahlen.

Alexander Van der Bellen, Norbert Hofer (Bild: AP)
Alexander Van der Bellen, Norbert Hofer

2. Diesmal ist offen, ob die Peinlichkeiten wirklich das Ergebnis beeinflussten. Wie immer das Verfassungsgericht entscheidet, eins sollte außer Streit stehen: Politische Erwachsenenbildung muss uns mehr Steuergeld wert sein. Zunächst für Schulungen der Politiker und Verwaltungsbeamten. Sind sie bei der einfachsten aller Wahlen in Österreich - in Nationalratswahlen gibt es viel mehr Parteien sowie Vorzugsstimmen plus 39 Wahlkreise - für die Öffnung von Wahlkuverts geistig total ungeeignet? Nein. Also wussten sie es nicht besser.

Wir Bürger sind ebenfalls Zielpersonen politischer Bildungsarbeit. Verschwörungstheorien entstehen, weil der Wissensstand über das Wahlsystem zu gering ist. Egal, ob es um (Über-)Kuvert und inneres Kuvert in der Briefwahl geht, oder um Ermittlungsverfahren zur Mandatsberechnung für den Nationalrat. Ach ja, und die Briefwahl ist zu reformieren: Alle Stimmen müssen bis zum Freitag vor dem Wahlsonntag einlangen. Dann wird man es schaffen, sie korrekt auszuzählen.

Großbritannien hat entschieden, die EU zu verlassen. (Bild: AFP)
Großbritannien hat entschieden, die EU zu verlassen.

3. Sogar die direkte Demokratie hat Tücken. Die Briten haben zu 52 Prozent entschieden, die EU zu verlassen. Das ist ihr gutes Recht, obwohl ohne Rücksicht auf die regionale Stimmverteilung: England und Wales wollten raus. Schottland will das auch, allerdings aus Großbritannien und wieder rein in die EU. Londoner und Nordiren sind detto klar mehrheitlich unter den fast 16 Millionen EU-Befürwortern. Das Land ist also nach der Abstimmung zerstrittener denn je.

Denkbar wäre eine doppelte Mehrheit nach schweizerischem Vorbild. Dort muss es insgesamt und in der Mehrheit der Kantone mehr als die Hälfte der Stimmen dafür oder dagegen geben. Das verhindert, dass etwa die Vielzahl von Wienern, Steirern sowie Nieder- und Oberösterreichern Dinge durchbringt, die in den fünf kleineren Bundesländern keiner will.

Zudem tümmeln sich unter den Brexit-Fans seltsame Verbündete. Der Londoner Ex-Bürgermeister Boris Johnson hat mit der Unabhängigkeitspartei (UKIP) nichts am Hut. Er will seinen konservativen "Parteifreund" und Premierminister David Cameron beerben. Weil Cameron in der EU sein will, war Johnson dagegen.

4. Ist es hierzulande besser? Volksbefragungen wurden zuletzt von oben herab - durch Parlamentsbeschlüsse mit Regierungsmehrheiten - verordnet. Bei Wehrpflicht oder Berufsheer verstand die Regierung es als internen Ersatzwahlkampf. Die Opposition liegt richtig, wenn sie verpflichtende Abstimmungen nach erfolgreichen Volksbegehren fordert.

Derzeit sind FPÖ-, Grüne- oder Neos-Begehren trotzdem bloß Inszenierung. Es geht um Gesetzvorschläge an das Parlament, die Abgeordnete ohnehin einbringen können. Man müsste eine Lösung finden, dass echte Bürgerinitiativen die Direktdemokratie erzwingen. Für Parteien, die auf Medienspektakel aus sind, wäre das zu erschweren.

Mariano Rajoy (Bild: AP)
Mariano Rajoy

5. Am Sonntag wird in Spanien neu gewählt, weil sich keine Regierungsmehrheit fand. Wieder ist eine Pattsituation zu befürchten. Sowohl bürgerliche Partido Popular und liberale Ciudadanos als auch Sozialisten und Linksbewegung Podemos haben zu wenige Mandate. Miteinander können sie nicht.

Die Einbeziehung von Drittparteien klappt nicht: Die wollen von Katalonien bis zum Baskenland aus jenem Staat austreten, den sie regieren müssten. Oder man stelle sich vor, in Österreich ist die - ihre Parteizugehörigkeit mehrfach wechselnde - Komikertruppe des ursprünglichen Team Stronach das Zünglein an der Waage.

Um eindeutige Mehrheiten zu ermöglichen, kann wie in Griechenland die in Wahlen erstplatzierte Partei einen Mandatsbonus erhalten. Man sollte das nicht je nach Umfragestand beurteilen. Gewinner wurde unerwartet die linke Syriza, was die EU nicht freute und dennoch besser empfand als ewige Blockadesituationen.

So oder so sind in Europa und Österreich Wahlsysteme und Direktdemokratie neu zu gestalten. Warum das nicht geschieht? Alle Politiker müssten die für sie übermenschliche Leistung schaffen, auf Verfassungskonventen im Interesse der Demokratie und nicht im Parteiinteresse zu denken.

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