Prediger in USA
Erdogan fordert Auslieferung seines Erzfeindes
Tausende Putschisten verhaftet, fast 3000 Richter suspendiert, nach dem Umsturzversuch in der Türkei läuft die "Säuberungsaktion" von Präsident Recep Tayyip Erdogan auf Hochtouren. Weil der Präsident den im US-Exil lebenden einstigen Weggefährten und nunmehrigen Erzfeind Fethullah Gülen hinter dem Chaos vermutet, fordert er nun die Auslieferung oder Festnahme des islamischen Predigers. US-Außenminister John Kerry erklärte, Washington werde ein etwaiges Auslieferungsersuchen prüfen und "angemessen" darüber entscheiden.
Erdogan wandte sich am Samstag mit seiner Forderung direkt an US-Präsident Barack Obama. Wenn die USA und die Türkei tatsächlich strategische Partner seien, müsse Obama handeln, sagte der türkische Präsident in einer Ansprache am Samstagabend vor Anhängern in Istanbul.
Gülen vermutet eine Inszenierung Erdogans
Gülen ist seit einem schweren Zerwürfnis 2013 einer der heutigen Erzfeinde Erdogans. Der islamische Prediger hat den Vorwurf zurückgewiesen und den Putschversuch von Teilen des Militärs scharf verurteilt. Gülen hält es für möglich, dass der Putschversuch inszeniert war. Er forderte am Samstag die Bevölkerung der Türkei auf, eine militärische Intervention nicht in einem positiven Licht zu beurteilen. Eine Demokratie könne durch militärisches Vorgehen nicht erreicht werden, sagte er.
Die türkische Führung setzt nach dem gescheiterten Putschversuch die von Präsident Erdogan angekündigte "Säuberung" des Militärs um und geht auch hart gegen Richter vor. Der Sender CNN Türk meldete am Samstagabend, der Verfassungsrichter Alparslan Altan sei festgenommen worden. Aus Regierungskreisen verlautete, auch sein Kollege Erdal Tezcan sei in Gewahrsam genommen worden - wie zuvor schon zehn Mitglieder des türkischen Staatsrats und fünf Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte.
Unbeteiligte Kritiker Erdogans ebenfalls im Visier
2700 Richter wurden abgesetzt - fast ein Fünftel der schätzungsweise rund 15.000 Richter in der Türkei. Der Chef der Richtergewerkschaft Yargiclar, Mustafa Karadag, sagte der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul, nicht nur mutmaßliche Unterstützer des Putsches, sondern auch völlig unbeteiligte Kritiker von Erdogan würden festgenommen.
Offiziellen Angaben zufolge wurden in einer ersten Aktion auch mehr als 2800 Putschisten aus den Reihen der Streitkräfte festgenommen. Fünf Generäle und 29 Oberste sollen nach Angaben aus Regierungskreisen ihrer Posten enthoben worden sein. Die türkischen Behörden nahmen einem Bericht der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge den Oberbefehlshabenden der Zweiten Armee, General Adem Huduti, fest. Die Zweite Armee hat ihr Hauptquartier in Malatya und ist für das Grenzgebiet zu Syrien, dem Irak und dem Iran verantwortlich. Amtlichen Angaben zufolge befindet sich auch der Kommandant der Dritten Armee, Erdal Öztürk, in Polizeigewahrsam.
Erdogan: "Putschversuch ist ein Segen Gottes"
Erdogan kündigte eine "vollständige Säuberung" des Militärs an. Er bezeichnete den Freitagnacht gestarteten Putschversuch dafür als einen "Segen Gottes". Nach Einschätzung des türkischen Verteidigungsministers Fikri Isik befindet sich inzwischen kein Gebiet in der Türkei mehr außerhalb der Kontrolle der Regierung. Ein Putsch sei verhindert worden. Dennoch müsse man wachsam bleiben. Es sei zu früh, um zu sagen, dass die mit dem Putschversuch verbundene Gefahr vollständig eliminiert worden sei.
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