Massaker in München
Amokschütze und Mitwisser trafen sich am Tatort
Zwei Tage nach dem Blutbad von München hat die Polizei einen 16-jährigen Afghanen unter dem Vorwurf der Mitwisserschaft ausgeforscht. Der mutmaßliche Mitwisser des Amokläufers hatte sich nach Angaben der Ermittler kurz vor der Tat mit dem Schützen im Bereich des Tatorts getroffen. Nach seiner Festnahme in der Nacht auf Montag wurde der 16-Jährige am Montagabend wieder auf freien Fuß gesetzt. Ein Haftrichter habe laut den bayrischen Ermittlungsbehörden "keinen Haftgrund gesehen". Die Staatsanwaltschaft werde dagegen Beschwerde einlegen.
Dass sich der Jugendliche mit dem Amokläufer unmittelbar vor der Bluttat getroffen hatte, gehe aus einer WhatsApp-Kommunikation des 16-jährigen Freundes des Amokläufers mit dem Täter hervor, teilte Oberstaatsanwalt Thomas Streinkraus-Koch mit. Der 16-Jährige habe diesen Chat zwar zu löschen versucht, die Polizei habe den Verlauf der Kommunikation aber wiederhergestellt.
Täter und Mitwisser lernten einander in Psychiatrie kennen
Der 16-Jährige soll den Amokläufer im vergangenen Jahr in der Psychiatrie kennengelernt haben. Dort sei ihm bekannt geworden, dass der Täter vom Freitag den norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik verehrt habe, sagte Oberstaatsanwalt Steinkraus-Koch. Der Amokläufer hat demnach auch geäußert, "er habe einen Hass auf Menschen".
Die beiden Jugendlichen teilten laut Erkenntnissen der Ermittler ihre Begeisterung für sogenannte Killerspiele am Computer und tauschten sich über das Thema Amoklauf aus. "Nach unserer Einschätzung haben sich zwei Einzelgänger getroffen", sagte Hermann Utz von der Kriminalpolizei.
16-Jähriger verstrickte sich in Widersprüche
Gegen den 16-Jährigen wird laut Polizei wegen Nichtanzeigens einer Straftat ermittelt. Der Jugendliche hatte sich bereits unmittelbar nach der Tat bei der Polizei gemeldet. Bei einer erneuten Vernehmung habe er sich dann in Widersprüche verwickelt. Ein Sondereinsatzkommando habe ihn daher am Sonntag gegen 18.15 Uhr in seiner Wohnung im Münchner Stadtteil Laim festgenommen.
Geprüft werde auch, ob der 16-Jährige für einen Facebook-Aufruf zu einem Treffen in einem Kinokomplex in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofes verantwortlich sei, ähnlich jenem des Amokläufers in Bezug auf das McDonald's-Restaurant, bei dem die Bluttat begann. Die Polizei warnte in diesem Zusammenhang vor weiteren Nachahmungstaten und kündigte an, "mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen sogenannte Trittbrettfahrer vorzugehen".
Amokschütze hatte Tat seit einem Jahr geplant
Bereits am Sonntagnachmittag hatten die Behörden mitgeteilt, dass Ali David S., der vor und im Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen erschoss und danach Suizid beging, seine schreckliche Tat bereits seit Sommer des Vorjahres geplant hatte. Das habe die Auswertung der Daten auf dem PC des Todesschützen ergeben.
Breivik und Winnenden-Amokläufer als "Vorbilder"
Der 18-Jährige orientierte sich laut dem Präsidenten des bayrischen Landeskriminalamts, Robert Heimberger, bei seiner mörderischen Tat stärker am norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik und dem Amokläufer von Winnenden, Tim Kretschmer, als zunächst bekannt war. Breivik hatte 2011 in Oslo und auf der Insel Utöya insgesamt 77 Menschen getötet, Kretschmer in Winnenden vor sieben Jahren an seiner früheren Realschule und auf der Flucht 15 Menschen und anschließend sich selbst erschossen. Ali David S. war demnach selbst nach Winnenden gefahren, hatte sich dort umgesehen und Fotos gemacht. Auch hatte er Recherchen zur Tat Breiviks angestellt. Am Tag des Amoklaufs im München hatte sich die norwegische Bluttat zum fünften Mal gejährt.
"Manifest" niedergeschrieben
Wie Oberstaatsanwalt Steinkraus-Koch mitteilte, hat der 18-Jährige wie Breivik ein "Manifest" zu seinen Taten niedergeschrieben. Ali David S. habe auch intensiv gewaltverherrlichende Videospiele wie "Counterstrike" gespielt. In der Vergangenheit sei er von Mitschülern gemobbt worden. Ob es einen Zusammenhang des Mobbings mit der Tat gebe, sei noch unklar. Mitschüler seien jedenfalls nicht unter den Opfern. Diese seien nicht gezielt ausgesucht worden, auch ein politischer Hintergrund wird ausgeschlossen.
Täter war in psychiatrischer Behandlung
Bestätigt habe sich aber, dass Ali David S. wegen einer psychiatrischen Erkrankung behandelt wurde. In der Wohnung habe man ärztliche Behandlungsunterlagen gefunden, die auf eine Angststörung und Depressionen hindeuteten. Der junge Mann habe sich sowohl in stationärer als auch in ambulanter Behandlung befunden und unter "sozialen Phobien" und Depressionen gelitten. Ein letzter ärztlicher Kontakt habe laut Staatsanwaltschaft im vergangenen Juni festgestellt werden können. "Mit großer Sicherheit kommt eine Depression des Täters als Ursache für den Amoklauf aber nicht infrage. Das ist vom Krankheitsbild her nicht gerechtfertigt", so Professor Ulrich Hegerl, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.
Tatwaffe stammt aus dem Darknet
Bei der Tatwaffe, einer Pistole vom Typ Glock 17 und einem Kaliber von neun Millimetern, die laut Ermittlern ein slowakisches Prüfzeichen trägt, handelt es sich einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zufolge um eine Theaterwaffe, die zunächst unscharf und später wieder gebrauchsfähig gemacht worden war. Sie stammt aus dem sogenannten Darknet. Darknet ist ein Sammelbegriff für anonyme Internet-Netzwerke, bei denen private PCs vernetzt werden, um untereinander verschlüsselt Daten auzutauschen.
Fast ausschließlich Jugendliche als Opfer
Bei der Bluttat am Freitagabend hatte der 18-Jährige neun Menschen erschossen, sieben von ihnen mit Migrationshintergrund. Bis auf ein 45-jähriges Opfer waren alle zwischen 15 und 20 Jahre alt. Drei Menschen schweben noch in Lebensgefahr. Insgesamt gab es laut Landeskriminalamt 35 Verletzte. Der Täter hat rund 60 Schüsse abgegeben, 57 Hülsen seien am Tatort entdeckt worden, die laut Polizei "eindeutig" der Tatwaffe zugeordnet werden konnten.
Warum der Amokläufer das Olympia-Einkaufszentrum als Tatort ausgesucht hat, wissen die Ermittler noch nicht. Zur Aufklärung der Tat wurde eine mehr als 70 Personen starke Sonderkommission gebildet.
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