"Keine Risiken"
Frankreich: Höchstgericht hebt Burkini-Verbot auf
Frankreichs oberstes Verwaltungsgericht hat die umstrittenen Burkini-Verbote an französischen Stränden für unrechtmäßig erklärt. In einer Grundsatzentscheidung setzte der Staatsrat in Paris am Freitag das im südfranzösischen Badeort Villeneuve-Loubet verhängte Verbot des muslimischen Ganzkörperbadeanzugs aus. Freiheitsrechte könnten demnach nur bei "erwiesenen Risiken" für die öffentliche Ordnung eingeschränkt werden, urteilten die Richter. Diese seien im Falle des Burkini nicht gegeben.
Die Burkini-Verbote haben in Frankreich eine erbitterte Debatte ausgelöst. Seit dem islamistisch motivierten Anschlag von Nizza mit 86 Toten haben mehr als 30 Gemeinden Burkini-Verbote an ihren Stränden verhängt. Kürzlich wurde etwa am Strand von Nizza eine Frau von vier Polizisten aufgefordert, ihr Obergwand auszuziehen. In Cannes kam es zu ähnlichen Szenen.
Bürgermeister: "Störung, Provokation"
Die Bürgermeister von NIzza begründen dies mit der angespannten Stimmung: Muslimische Badebekleidung könne als Provokation empfunden werden und zu Störungen der öffentlichen Ordnung führen. Der von Menschenrechtsgruppen angerufene Staatsrat erklärte nun, eine solche Begründung sei unzureichend. Für ein Verbot müsse es vielmehr "erwiesene Risiken" für die öffentliche Ordnung geben. Die unter anderem durch den Anschlag von Nizza ausgelösten "Emotionen und Sorgen" alleine könnten keine Rechtfertigung sein.
Das Oberste Verwaltungsgericht machte auch deutlich, dass die Bürgermeister keine Badebekleidung verlangen können, welche die "Laizität" respektiert. Diese Formulierung findet sich in den Burkini-Verboten wieder.
Konkret befassten sich die Richter mit nur einem Burkini-Verbot, jenem aus dem südfranzösischen Villeneuve-Loubet. Ihr Urteil vom Freitag ist aber eine Grundsatzentscheidung und damit für alle Verwaltungsgerichte des Landes bindend. Das bedeutet aber nicht, dass alle anderen Burkini-Verbote automatisch aufgehoben sind - zunächst muss juristisch gegen sie vorgegangen werden. "Ja, es gibt eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Religionsfreiheit, und der Bürgermeister hatte nicht die Befugnis, diese Freiheit einzuschränken", sagte Klägeranwalt Patrice Spinosi nach der Bekanntgabe der Entscheidung.
Zentralrat der Muslime begrüßt Richterspruch
Der Zentralrat der französischen Muslime begrüßte den Richterspruch. "Das ist ein Sieg des Rechts und der Weisheit, der das Zusammenleben in unserem Land fördern wird", sagte Vizechef Abdallah Zekri. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte das Urteil. "Diese Verbote erhöhen nicht die öffentliche Sicherheit, sondern fördern die öffentliche Demütigung muslimischer Frauen", erklärte Europadirektor John Dalhuisen.
Trotz Urteil: Bürgermeister halten an Verbot fest
Mehrere Bürgermeister in Frankreich wollen jedoch trotz der Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichts an ihren Burkini-Verboten festhalten. Zu den Orten, die den Ganzkörperbadeanzug für muslimische Frauen an ihren Stränden auch weiterhin nicht sehen wollen, gehören laut französischen Medien unter anderem Nizza und Frejus an der Cote d'Azur sowie Sisco auf Korsika.
Präsidentenwahl in acht Monaten
In Frankreich wird in acht Monaten gewählt, auch deshalb wird die Debatte um Burkinis mit aller Schärfe geführt. Spannungen gibt es auch innerhalb der Regierung. Das ganze Land debattiert mit erstaunlicher Härte und Ausdauer über Sinn und Unsinn des Reizthemas. Der konservative Präsidentschaftsbewerber Nicolas Sarkozy will einfach alle muslimische Kleidungsstücke verbieten, um im Wahlkampf die rechtsrechte Marine LePen auszustechen.
Seit 2004 Burka-Verbot
Schon seit 2004 gilt in französischen Schulen eine Null-Toleranz-Linie gegen "auffällige religiöse Symbole", Frankreich hat zudem seit fünf Jahren ein Burka-Verbot. Auch in der Regierung des sozialistischen Premiers Manuel Valls sorgt das Reizthema für Spannungen. Bildungsministerin Najat Vallaut-Belkacem meint, es sei nicht willkommen, dass es immer mehr Anti-Burkini-Verordnungen gebe. Valls rief die Ressortchefin postwendend zur Ordnung und entgegnete, es handle sich nicht um eine Fehlentwicklung.
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