"Krone"-Interview

Chelsea Wolfe: “Meine Musik ist nicht dunkel”

Musik
08.09.2016 12:21

Die US-amerikanische Singer/Songwriterin Chelsea Wolfe hat sich spätestens mit ihrem letzten Album "Abyss" (2015) eine ungemein große Fanschar erspielt, die ihre dunkel-dröhnenden Neofolk/Gothic/Dark Pop/Rock-Songs fast schon kultisch verehren. Neben ein paar handverlesenen Festivals spielte sie im Sommer auch einen gut besuchten Gig in der Wiener Arena und ließ uns ein bisschen hinter die sinister-schwarze Fassade blicken. Ein Gespräch über das Aufwachsen, Erwartungshaltungen und die natürliche Barriere zum Publikum.

(Bild: kmm)

"Krone": Chelsea, dein Auftritt in der Wiener Arena im August war der einzige in Europa diesen Sommer, der nicht auf einem Festival stattfand.
Chelsea Wolfe: Korrekt, für mich ist es immer schwierig auf Festivals zu spielen. Die Show und auch der Soundcheck sind knapp bemessen und das ist schwierig für uns, weil wir sehr viele Instrumente auf der Bühne haben. (lacht) Mir ist wichtig, dass ich meine Stimme gut höre und in Schweden hatte ich ungefähr 15 Minuten für das Set-Up und das Konzert - das war schon hart. Beim Brutal Assault Festival hatten wir eine Stunde, um uns vorzubereiten und das beruhigt mich, ich bin doch ein Perfektionist.

"Krone": Ist es manchmal schwierig, das Publikum eines Festivals wie dem Brutal Assault für sich zu vereinnahmen, schließlich sind die Leute dort meist härtere Klänge gewohnt?
Wolfe: Eigentlich gar nicht, das Publikum war immer gut zu uns. Es ist interessant, dass wir bei Metal- und auch Pop-Festivals spielen können. Die Metal-Festivals präferiere ich, weil dort mehr Bands spielen, die ich selber mag und schätze. Zum Beispiel Neurosis oder Mutoid Man. Ich bin dort gerne einfach nur Fan.

"Krone": Letztes Jahr musstest du krankheitsbedingt absagen, aber 2014 warst du mit den Black Metallern von Deafheaven in der Arena. Hattest du damals etwas Zeit, in die Stadt und ihre Kultur hier einzutauchen, nachdem du eine große Liebhaberin von Kunst und Kultur im Allgemeinen bist?
Wolfe: Leider nicht wirklich, weil die Busreisen einfach viel zu lang sind und ich dann den Tag verschlafe. (lacht) Ich will unbedingt einmal einen freien Tag in Wien haben, denn Kunst und Geschichte dieser Stadt sind wirklich mehr als interessant.

"Krone": Deine Musik setzt sich grob gesagt aus Neofolk, Electronica, Metal, Goth und Dark Pop zusammen, obwohl du aus dem sonnigen Kalifornien stammst. Woher kommt diese Liebe für die dunkle Atmosphäre, die sinistren Klänge?
Wolfe: Das begann schon in meiner Kindheit, denn egal wie sonnig meine Umgebung auch sein mag, ich habe mich immer für die Realität und das wahre Leben interessiert. Ich habe immer beide Seiten einer Münze betrachtet und schon als Achtjährige die Nachrichten konsumiert und gemerkt, wie beschissen es auf der Welt eigentlich zugeht. Ich wollte diese Realität und die Ehrlichkeit in meiner Musik reflektieren. Ich würde meine Musik gar nicht einmal als dunkel und schon gar nicht als Goth beschreiben - sie ist einfach reale, echte Musik.

"Krone": Du brauchst also beide Welten? Die Dunkelheit in deiner Musik und deine sonnige Heimat?
Wolfe: Das stimmt. Ich versuche immer etwas Hoffnung in meine Musik zu verpacken, da ich nicht komplett verzweifelt wirken will. Das ist auch bei mir als Person so, ich kann mich nicht den ganzen Tag auf die schrecklichen Dinge des Lebens fokussieren. Ich brauche etwas, das mich in das Licht bringt. Das kann ein Film sein oder auch fröhlichere Musik. Wichtig ist immer eine gesunde Ausgewogenheit.

"Krone": Du willst aber niemals zu fröhlich klingen. Hattest du schon mal Songideen, die einfach zu positiv klangen und die dadurch wieder verworfen wurden?
Wolfe: Ich glaube nicht, dass ich etwas schrieb, das zu fröhlich klang. Das ist wohl gar nicht möglich. (lacht)

"Krone": Dein Vater war früher Mitglied einer Country-Band und hat dich als Kind beschallt. Hast du dich am Anfang deiner musikalischen Karriere bewusst von diesem Bereich abgenabelt?
Wolfe: Ich war eher von seiner Musik beeinflusst. Der alte Country dreht sich immer um das Geschichtenerzählen über gebrochene Herzen, die Liebe oder den Verlust von Menschen. Sogar in Dolly Parton-Songs findest du diese Traurigkeit. Auch Hank Williams und Johnny Cash waren sehr inspirierend für mich. Für mich geht diese Musik viel tiefer, der Country wird heute leider viel zu oberflächlich aufgenommen. Es gibt eine Menge Musik, die ich als Kind durch meinen Vater hörte. Auch Townes Van Zandt, dessen Musik sehr traurig war und die meine Laune oft sehr stark reflektiert. Ich habe mich nicht bewusst gegen diese Musik gestellt, allerdings habe ich in den letzten Jahren mehr auf Dunkelheit und harte Klänge gesetzt. Viele Menschen waren überrascht, dass ich Country höre, aber ich verändere mich ständig. Ich will nicht steckenbleiben - weder beim Hören, noch beim Komponieren. Es muss immer Platz für Veränderungen geben.

Chelsea Wolfe (Bild: Andreas Graf)
Chelsea Wolfe

"Krone": Du hörst mitunter auch so unterschiedliche Bands wie Nirvana oder Burzum…
Wolfe: Burzum hatte ich früher öfter gehört, heute ist mir seine politische Einstellung aber längst zu extrem und ich bin davon abgekommen. Gaahl, der Ex-Sänger von Gorgoroth, ist eine ganz wichtige Inspirationsquelle für mich. Nirvana habe ich früher sehr oft gehört, ich bin dann später mal davon abgekommen, finde aber immer wieder dorthin zurück. Von meinem Vater habe ich auch Bands wie Led Zeppelin oder Black Sabbath mitbekommen.

"Krone": Was definiert für dich die Schönheit in Musik? Der Sound, die Atmosphäre, die Texte?
Wolfe: Es ist eine Kombination. Ich achte sehr genau auf die Texte. Sind sie zu einfach oder nicht ehrlich, dann interessiert mich die Band nicht mehr - unabhängig von ihrer Musik. Im Black Metal gibt es so extrem viel Atmosphäre, in der ich mich total verlieren kann. Der Rock'n'Roll hat einfach etwas Anregendes, Sexuelles und bei Folk fasziniert mich, dass ich mich total reinvertiefen und mir meine eigenen Geschichten dazu ausdenken kann. Jede Musikrichtung birgt für mich eine eigene Faszination.

"Krone": Speziell der norwegische Black Metal scheint sich aber schon seit Jahren nur noch zu wiederholen und weist kaum mehr Innovationsgeist auf.
Wolfe: So genau weiß ich das nicht, weil ich die neueren Bands auch nicht mehr verfolge. Ich bin einfach ein Fan von Gaahls Stimme und meine Lieblingsband aus diesem Bereich sind Wardruna. Das sind Black-Metal-Musiker mit traditionellen Folk-Einsprengseln. Hier vermischt sich Tradition mit der Energie und der Wucht moderner Klänge. Das ist etwas ganz Besonderes, das ich mir oft anhöre.

"Krone": Als du Anfang 20 warst, erschien das Album "Mistake In Partin", das du zu der Zeit eigentlich gar nicht veröffentlichen wolltest. Zu dieser Zeit hast du kurzzeitig auch die Liebe zur Musik verloren - was ist damals passiert?
Wolfe: Ich schreibe Musik, seit ich neun bin und als ich 21 oder 22 war, wollte ich ein Album machen, aber die Produzenten haben mich dann in eine Richtung geschoben, die mir nicht gefiel. Es war ein misslungenes Experiment und deshalb würde ich es gerne aus meiner Diskografie streichen. Es kam meiner Vorstellung von Musik nur nahe und meine Stimme klang so, als ob ich kotzen würde. (lacht) Durch das Internet kam alles ins Tageslicht, aber die CDs habe ich alle in den Müll geworfen. Ich wollte damals einen Schritt zurückmachen, um die Freude wiederzufinden und glücklicherweise gelang mir das dann auch. Ich habe meine Stimme wieder gefunden, mit anderen Musikern gespielt, bin dann mit einer Band durch Europa getourt und habe mit Gitarren und Pedals experimentiert. Das war für mich ungemein wichtig und bereichernd und daraus entstand 2010 das für mich wirklich erste Album "The Grime And The Glow".

"Krone": War das damals auch der einzige Moment in deiner Karriere, wo du deine künstlerische Freiheit verloren hast?
Wolfe: Musikalisch sicher. Ich habe nicht mehr genau das gemacht, was ich alleine machen wollte, aber daraus habe ich gelernt und ging gestärkt hervor. Ich habe seitdem mit sehr vielen grandiosen Musikern zusammengespielt und rt über Sound und Richtung der Musik. Ich habe gelernt, die Kontrolle und die Verantwortung zu übernehmen.

"Krone": Von "The Grime And The Glow" an wurdest du bis heute immer populärer, dabei hattest du anfangs noch stark mit Lampenfieber zu kämpfen. Hast du das mittlerweile halbwegs überstanden?
Wolfe: Ich fühle mich auch heute nicht immer wohl auf der Bühne, aber im Vergleich zu früher ist das natürlich gar nichts mehr. Ich habe mittlerweile so viele Konzerte gespielt, dass das Schlimmste wohl überstanden ist. Ich bin nicht sehr extrovertiert und brauche viel Zeit für mich, ganz alleine. Bei den Shows bin ich dann schnell überwältigt, weil eben so viele Menschen auf und vor der Bühne sind und mich das manchmal etwas aus dem Tritt bringt.

"Krone": Gab es einmal eine Zeit, wo du so viel Lampenfieber hattest, dass du gar nicht mehr touren und live spielen wolltest?
Wolfe: Anfangs war die Bühne tatsächlich extrem hart für mich. Meine ersten Konzerte in meiner Heimatstadt dauerten zwei oder drei Songs, dann konnte ich einfach nicht mehr. (lacht) Was mir sehr stark geholfen hat, waren anfangs die Kostüme. Ein guter Freund von mir hatte so ein viktorianisches gesehen, - schwarzer Schleier, schwarzes Kleid - das mich etwas unsichtbarer machte. Ich hatte dann eine Barriere zwischen mir und dem Publikum, aber ich habe immer daran gearbeitet, darüber hinauszukommen, weil ich niemals eine Witzfigur werden wollte. Ich bin daran gereift und wurde dadurch immer selbstsicherer.

Chelsea Wolfe (Bild: Andreas Graf)
Chelsea Wolfe

"Krone": Deine Shows beinhalten eine ziemlich gewaltige Soundwand - ist das für dich auch eine Art von Versteck?
Wolfe: Möglicherweise stimmt das, obwohl ich das noch nie so gesehen habe. Aber ich bin ja auch oft ganz alleine mit Akustikgitarre unterwegs und das ist für mich definitiv eine schwierigere Sache. Der Gedanke alleine zu spielen, erschreckt mich immer, aber es ist auch ein großer Traum von mir, völlig auf das Wesentliche heruntergestrichen aufzutreten und das möglichst als lange Tour. Mit der Band zu spielen macht mehr Spaß, doch ich sollte wohl mehr Mut aufbringen, um mich alleine in Bewegung zu setzen.

"Krone": Ministrys Al Jourgensen hat mir unlängst gesagt, er mag das Livespielen auch deshalb nicht, weil er dabei nur eine Kunst reflektiert, die er bereits erschaffen hat und somit nichts Neues macht. Wie denkst du darüber?
Wolfe: Wenn ich mir etwas aussuchen müsste, dann würde ich Studio- und Schreibarbeit immer bevorzugen. Ich bin dort auch viel freier und unabhängiger. Es geht nur um mich und die Musik. Gleichzeitig mag ich aber auch das Touren, denn jede Nacht ist total anders. Egal ob Festivals oder Club-Shows, es ist immer alles anders. Ich bin eine sehr stimmungsvolle Person und manche Shows können dann, wenn meine Stimmung danach ist, auch vor wenigen Leuten intensiver sein als welche, wo wirklich großes Publikum da ist. Mit der Band ist das einfach lustig.

"Krone": Seit deinem letzten Album "Abyss" aus dem Vorjahr spielst du auf immer größeren Bühnen. Fühlst du dich auf solchen wohl?
Wolfe: Für mich ist das Ganze ein langsamer, natürlicher Prozess, weil mir eigentlich nichts rasant über Nacht widerfahren ist. Jede Tour wurde etwas größer, ich bin niemals von 50 auf 8.000 Menschen explodiert. (lacht) Ich sehe immer wieder neue Gesichter und auch bekannte, das ist eine schöne Mischung. Außerdem mag ich es, auf größeren Bühnen zu spielen, weil die Soundsysteme und Anlagen dort meist besser sind, was für unsere Musik nicht ganz irrelevant ist. In Memphis habe ich mal vor ca. 50 Leuten und bei einer schlechten Anlage in einer komplett heruntergekommenen Bar gespielt, aber dort hat die Stimmung auch gepasst und der Abend ist unvergessen.

"Krone": Du bist auch sehr stark von Filmemachern wie Ingmar Bergman oder Autoren wie Ayn Rand inspiriert. Was können dir diese Kunstformen geben, was die Musik nicht für dich hat?
Wolfe: Wenn ich Musik schreibe, dann stelle ich mir immer vor, was die Leute sehen können, wenn sie dabei ihre Augen schließen. Das Kopfkino sollte einfach passen und deshalb kann ich mir bei einer Dokumentation im Fernsehen auch immer gut vorstellen, welche Musik dazu passen könnte. Filme und Bücher können mir Wörter, Gedanken oder eine ganz andere Stimmung geben, die ich bislang nicht beachtet oder gefunden habe. Darauf basierend, kann ich ganz neue und anders geartete Songs schreiben.

"Krone": Wäre es für dich interessant, selbst mal Regie zu führen oder ein Buch zu schreiben?
Wolfe: Ich weiß es nicht, ich schneide gerne an Videos herum, aber ich wäre sicher kein Regisseur. Das war eher so ein Geplänkel mit Freunden im DIY-Stil. Ich liebe es zu fotografieren und kleine Gedichte zu schreiben, aber ich sehe mich nicht als Romanautorin. (lacht) Ich glaube, ich habe nicht die Konzentration dafür. Wenn ich bei einem zweiten Kapitel anfange, hätte ich längst wieder vergessen, wie das erste endete.

Chelsea Wolfe (Bild: Andreas Graf)
Chelsea Wolfe

"Krone": Der visuelle Aspekt ist bei dir immens wichtig. Willst du den Menschen gerne das volle Paket bieten? Kann man deine gesamte Kunst nur in Form von Musik, Kostümierung und Lichteffekten begreifen?
Wolfe: Auf das Visuelle habe ich bislang noch gar nicht so gesetzt. Ich sehe so viele Künstler, die viel professioneller zu Werke gehen und auch viel mehr Videos machen. Meistens habe ich zwei Videos pro Album, die ich mit Freunden mache - ich denke da einfach nicht professionell genug, es macht mehr Spaß und das war es. Ich kann natürlich auch viel nicht machen, weil mir die finanziellen Mittel dafür fehlen. Manchmal habe ich grandiose Ideen in meinem Kopf, aber dann fehlt es an Geld oder Ressourcen. (lacht) Vielleicht irgendwann einmal, derzeit sind es meist nur Wunschgedanken. Die nicht umsetzen zu können, kann natürlich auch mal etwas frustrierend sein.

"Krone": Wie sieht es mit neuen Songs oder einem neuen Album aus?
Wolfe: 2017 könnte schon etwas kommen. Den Rest des Jahres habe ich keine Konzerte mehr, um mit der Band an neuen Songs zu schrauben. Die letzten Jahre waren wir wirklich viel unterwegs und ich brauche jetzt auch mal Ruhe, um mich wieder auf neue Nummern fokussieren zu können. 2017 werden wir aber sicher etwas veröffentlichen.

"Krone": Auch mit Gastmusikern oder diversen Idolen von dir?
Wolfe: Ich will dazu noch nichts sagen, aber natürlich wäre es spannend, mit anderen Musikern zu schreiben. Die Pläne dazu sind jedenfalls da und ich kann sagen, dass das nächste Album sicher ein sehr spezielles werden wird.

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