Gewalt, Verwahrlosung oder Drogen statt Nestwärme und Geborgenheit - wenn Kinder nicht in ihrem Elternhaus bleiben können, springt Sonja ein. Das Protokoll der Krisenpflegemama.
Ich wünschte mir, mein Beruf wäre überflüssig. Dann würde nämlich jedes Baby in ein Umfeld voller Liebe und Fürsorge hineingeboren werden. Leider sieht die Realität anders aus. Es werden auch Frauen schwanger, die schon mit ihrem eigenen Leben nicht zurechtkommen.
Einige nehmen Drogen oder sind psychisch krank. Andere wiederum sind schlichtweg nicht fähig, sich um ein Kind zu kümmern. Dann gibt es immer wieder Fälle, da passiert etwas in einer Familie, das alles aus der Bahn wirft.
Emma* war das erste Baby, das ich aufgenommen habe. Sie war eine anonyme Geburt. Das heißt, die Mutter hat ihren Namen nicht angegeben und die Kleine nach der Entbindung im Spital zurückgelassen. Emma hatte während der Geburt einen Herzstillstand gehabt und musste wiederbelebt werden. Irreparable Hirnschäden sind dabei entstanden.
Sie ließ sich oft nur beruhigen, wenn sie nachts auf meinem Bauch schlafen und meine Herztöne hören konnte. Sie hat viel Nähe gebraucht und ich habe sie ihr gegeben. Nach ein paar Wochen kam sie dann zu einer Pflegefamilie. Trotz ihrer Behinderung hat sie sich wirklich gut entwickelt.
Ich versuche im Hier und Jetzt zu leben
Danach kam Jonas*. Er war drei Jahre alt und kannte zu Hause nur sein Gitterbett und seinen Hochstuhl. Bei uns durfte er sich erstmals frei bewegen und herumtoben.
Dann hatte ich zehn Monate alte Zwillinge bei mir. Während andere Kinder in diesem Alter bald laufen können, drehten sich die Buben gerade mal nach links und rechts. Welchen Bedingungen sie ausgesetzt waren, darüber mochte ich lieber nicht nachdenken. Ich versuche im Hier und Jetzt zu leben und wollte nur, dass es ihnen besser geht. Das habe ich auch geschafft. Den Pflegeeltern konnte ich zwei aufgeweckte, krabbelnde Kinder überreichen.
Seit vier Jahren bin ich Krisenpflegemama und habe schon 23 Kinder betreut. Mein Mann Josef unterstützt mich dabei, und für unsere leibliche Tochter Vanessa sind unsere kleinen Besucher Normalität. Anders ginge es nicht. Bei diesem Rund-um-die-Uhr-Job muss die ganze Familie mitziehen.
Ich verdiene natürlich auch Geld damit und bekomme pro Kind einen Pflegesatz von 1000 Euro im Monat. Unkosten wie Kleidung, Milchpulver, Spielzeug oder Babybett finanziere ich aber selber.
Vor ein paar Tagen habe ich Sarah* abgeholt. Sie ist ein Frühchen und hat schon eine schwere Gehirn-OP hinter sich. Die Mutter ist überfordert mit der Situation. Sie ist ja selbst noch ein Kind.
Meine Arbeit ist meine Berufung
Vielleicht kann Sarah irgendwann zu ihren Eltern zurückkehren. Einige Familien haben nur Startschwierigkeiten und später klappt es doch. Ich wünsche mir für jedes Kind die bestmögliche Lösung. Bis es soweit ist, gebe ich ihm die Liebe, die es braucht. Das ist meine Berufung.
* (Namen von der Redaktion geändert)
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