"Krone"-Interview

Seasick Steve: “Reiche sind oft ekelerregend”

Musik
23.09.2016 09:19

Es gibt wenige Musiker, die in ihrer Karriere so oft missverstanden und vor allem missinterpretiert wurden, wie der hemdsärmelige US-Musiker Seasick Steve. Das ist auch ein Grund, warum er für gewöhnlich nur mehr wenige Interviews gibt. Für die "Krone" machte er eine Ausnahme und erzählte bereitwillig, offen und erfrischend ehrlich über seine harte Vergangenheit, wie er mit seinem neuen Album für seine Frau unsterblich werden möchte und weshalb er eigentlich nur sich selbst vertraut. Live gibt es ihn am 27. Oktober im Wiener Gasometer.

(Bild: kmm)

"Krone": Steve, du hast im Wiener Supersense exklusiv eine Zwei-Song-Vinyl pressen lassen, die nur 20 Mal vertrieben wird. Die zweite Nummer wurde erstmals überhaupt auf ein einem Tonträger konserviert. Erzähl doch etwas mehr davon.
Seasick Steve: Die Nummer nennt sich "Whisky Heart Woman". Es ist ein traditioneller Song, aber ich kenne ihn von K.C. Douglas, der seine eigene Version daraus machte. Ich habe die Nummer wirklich niemals aufgenommen und ich weiß nicht einmal, warum ich das jetzt machte. Ich saß da und dachte mir irgendwie, es könnte passen. Ich hatte überhaupt keinen Plan. Ich spiele ja ziemlich viele verrückte Gitarren, die niemand verwendet und der Song entstand bei mir mal auf einer von diesen.

"Krone": Du bist ein Meister des Blues, der gerne auch auf Folk, Americana und amerikanische Roots-Musik zurückgreift. Was definiert für dich gute, handgemachte Musik?
Seasick Steve: Ich bin ein Typ, der in der Vergangenheit lebt. Ich denke bei guter Musik an Hank Williams oder Lefty Frizzell - all die alten Typen, die Musik für mich definiert haben. Auch wenn ich oft selbst sehr verschrobene Musik gemacht habe, habe ich immer auf die Ergebnisse dieser Jungs aufgeschaut. Ich will kein Blues-Man oder so etwas sein, aber ich will das Erbe dieser Größen, die mich in meiner Kindheit begeisterten, hochhalten. Ich hoffe einfach nur, dass ich auf der Bühne auch Menschen so mitnehmen kann, wie diese Musiker mich. Das ist mein einziges Ziel. Ich weiß nicht, ob das möglich ist, aber das ist für mich die Essenz meiner Musik.

"Krone": Bist du eigentlich jemand, der sich auch junge, moderne Bands anhört?
Seasick Steve: Ich suche nicht aktiv danach. Ich habe unlängst die Holländer De Wolff getroffen. Fuck, die rocken wie die Allman Brothers. Ich habe kaum so coole junge Bands wie sie gesehen, aber wenn ich welche sehe oder sie mir ihre Alben geben, dann checke ich das aus. Ich bin kein fanatischer Plattensammler und lade auch nichts herunter. Mit mir geht eine belgische Zwei-Mann-Band namens Black Box Revelation auf Tour, die sind verdammt gut. Einfach nur Schlagzeug und Gitarre - das reicht. Ich mag junge Künstler sehr gerne, aber man muss mir halt was in die Hand drücken, damit ich sie registriere.

"Krone": Anfang Oktober erscheint dein neues Album "Keepin' The Horse Between Me And The Ground" - was willst du uns damit sagen?
Seasick Steve: In erster Linie, dass du, wenn du ein Pferd reitest, es lieber gut festhältst, bevor es dich abwirft. (lacht) Das könnte sonst schmerzhaft werden. Für mich geht es metaphorisch darum, dass man sich im Leben treu bleibt. Der Boden ist immer hart, lass die Augen offen und gehe wachsam durchs Leben. Außerdem reite ich gerne auf Pferden und falle ungern runter. (lacht)

"Krone": Es ist ein Doppelalbum…
Seasick Steve: Die erste Scheibe ist typisches Seasick Steve-Material. Das laute, rockende Blues-Zeug, das ihr von uns kennt. Die zweite Scheibe ist ein Akustikalbum, zu dem mich meine Frau animiert hat. Ich singe dort wie zuhause und habe das Album hauptsächlich für sie gemacht. Wenn ich mal tot bin, dann kann meine Frau das Album auflegen und es wird für sie so sein, als ob ich noch im Raum sitzen würde. Es ist wie eine Bonus-Seite. Falls die Leute von meiner normalen Scheibe gelangweilt sind, können sie sich diese Seite von mir reinpfeifen.

"Krone": Gerade mit dem Hintergrund ist das Aufnehmen der Akustikscheibe doch auch eine verletzliche, persönliche Sache. Macht das den Aufnahmeprozess nicht umso schwieriger?
Seasick Steve: Natürlich ist man verletzlicher. Du kannst dich hinter nichts verstecken. Es gibt dich, deine Gitarre und ein Mikrofon. Ich bin in der Sache aber ziemlich selbstsicher, weil ich das schon mein ganzes Leben lang mache. Es gibt Songs, die spiele ich seit 50 Jahren, das macht mir also keine Sorgen. Ich will einfach so gut wie möglich ich selbst auf meinen Alben sein. So wie hier im Supersense - ich sitze hier und singe. Keine Effekte, nichts mehr. Ich wandle gerne am Rand und mag es, wenn ich verletzlich bin. Selbst wenn ich mit meinem Drummer in einer Scheune aufnehme und den "Record"-Knopf drücke, gibt es niemals Overdubs. Wir fangen den Moment ein und lassen es sein. Heute arbeiten manche Menschen Monate oder sogar Jahre an einzelnen Alben - das ist auch okay, aber für mich wäre das keine Option. Wir sind das komplette Gegenteil davon.

"Krone": Der Song "Bullseye" erinnert mich in seiner Instrumentierung sehr stark an Creedence Clearwater Revival. Waren die Jungs maßgeblich für deine musikalische Entwicklung?
Seasick Steve: Ich liebe Creedence und ich habe sie schon in den 60ern live gesehen. Ich dachte niemals daran, aber so Unrecht hast du gar nicht. Als ich "Bullseye" schrieb, hatte ich eher Eric Burdon im Kopf, der damals eine Band namens War hatte, mit der er den Song "Spill The Wine" aufnahm. Das Piano stach dort heraus und daraus wurde der Song inspiriert. Ich liebe aber Creedence, Mann. Sie spielten wirklich simple, aber extrem groovige Musik, die immer völlig unterbewertet war. John Fogerty weiß heute ja selber nicht mehr, was er da gemacht hat. Er ist eine schlechte Kopie von sich selbst, aber damals befand er sich in einer ganz eigenen Welt. Ich finde ja lustig, dass sie in ihrer Heimat Kalifornien damals überhaupt nicht populär waren. Dort regierten die Hippie-Bands und Creedence hatten immer so etwas Sumpfiges, das nach New Orleans klang. Deshalb waren sie fast überall erfolgreicher als bei sich zuhause.

"Krone": Du hast dein neues Album wieder auf deinem eigenen Label Dead Skunk Records veröffentlicht. Hast du mittlerweile gar kein Vertrauen mehr in die Branchenriesen?
Seasick Steve: Ich habe es mit allen versucht. Warner Brothers, Universal und wie sie alle heißen. Ich hatte einfach die Nase voll von all ihren Ausreden. Wenn eine berühmte Band kommt, dann lassen sie alles stehen und liegen und vergessen dich und dein Album völlig. Das habe ich nicht mehr nötig. Ich mache das selbst und kann dann auch niemandem den schwarzen Peter zuschieben, außer mir selbst, wenn etwas schlecht wird. Es ist für mich wie eine Erlösung, von den Majors getrennt zu sein. Ich konzentriere mich auf mich, zu 100 Prozent und ich brauche kein Label, das vielleicht zehn Prozent auf mich schaut. Ich verdiene meine Geld damit, also mache ich gleich alles alleine.

"Krone": Du bist vor allem ein extrem guter Geschichtenerzähler. Was muss eine Geschichte beinhalten, um wirklich gut und besonders zu sein?
Seasick Steve: Die Geschichte an sich zählt. Am wichtigsten ist meine Erinnerung. Das meiste, über das ich schreibe, passierte mir selbst einmal und je älter ich werde, umso schlechter wird mein Erinnerungsvermögen. Es ist oft wie ein Wettrennen gegen meinen eigenen Geist. Das ist auch der Grund, warum ich schreibe. So habe ich es gefestigt und kann es nicht mehr vergessen. Dann gibt es Songs von mir wie "Hell". Da geht es um die geschickten Typen, die ihr Geld in dubiosen Geldkanälen in Panama verstecken, während mein Drummer, der wirklich dumm ist, seine Steuern nie bezahlte und gepfändet wurde. Er hat kein Geld und verlor sogar seinen 2001er Volvo, weil er einfach zu dumm war, während andere eben ihre Kohle in anderen Staaten parken. Die reichen Menschen sind so abgefuckt, das ist oft ekelerregend. Normalerweise würde ich mir darüber keine Gedanken machen, aber gleichzeitig pfändeten sie Dan's Auto und der hat sowieso kein Geld. Sein Problem ist halt, dass er versoffen ist.

Seasick Steve2 (Bild: Chris Durst)
Seasick Steve2

"Krone": Was sind denn die dümmsten Dinge, die du in deinem Leben verbrochen hast?
Seasick Steve: Ich habe so viel Mist gBücher darüber schreiben.

"Krone": Gutes Stichwort - derzeit ist gerade eine unautorisierte Biografie über dich am Markt.
Seasick Steve: Ja, mein Sohn hat mir davon erzählt. Er hat das Buch gelesen und er sagte, das absolut nichts darin stimmt. Das ist wie ein Fantasiebuch, das jemand zusammengestellt hat, der schnell die große Kohle machen will. Wenn er damit Geld machen will, dann bitte. Aber mir hat er kein Geld dafür geboten. (lacht) Heute können Leute Dinge über dich schreiben, ohne auch nur einmal mit dir gesprochen zu haben. Was für eine verrückte Welt. 99 Prozent des Buches sind absoluter Nonsens. Wenn mich jemand nicht für meine Geschichte bezahlen will, warum soll ich dann meine Zeit dafür opfern? Der Typ hatte mich nie gefragt. Es ist schon sehr irre.

"Krone": Von dir kursieren aber auch viele Interviews, in denen du nicht immer grundehrlich warst. Wie viel Wahrheit steckt in deinen Aussagen? Gibt es da nicht sehr viele Täuschungsmanöver?
Seasick Steve: Ich habe den Medien wirklich wenig von mir erzählt, aber die Presse hat sich seit jeher ihre eigene Wahrheit zusammengereimt. Ich verstehe diese Welt nicht. Meine Frau liest mir oft Geschichten oder Interviews von mir vor und manchmal stimmt fast nichts davon. Es ist so, als ob sie ihre Geschichte schreiben, bevor ich überhaupt etwas sage. Der meiste Schwachsinn kommt seit jeher aus England. Als ich bei den großen Plattenfirmen war, wurde ich dazu getrieben, Interviews zu geben. Wenn die Medien dann eine Kleinigkeit ändern, dann ist das auf ewig festgemeißelt. So läuft die moderne Welt und du brauchst das auch gar nicht bekämpfen. Eigentlich mache ich auch keine Interviews mehr, weil ohnehin alles falsch wiedergegeben bist. Ich habe da längst aufgegeben.

"Krone": Ob du das hören willst oder nicht, doch die Medien sind mit ihren Geschichten zumindest ein wichtiger Teil deines späten Ruhms.
Seasick Steve: So denkt die Presse. Aber ich wurde durch meine hunderten Konzerte berühmt und die Show von Jools Holland in England. Aber der Großteil der Menschen, die mich bei den Konzerten besuchten, haben nichts über mich gelesen oder gesehen. Sie kamen, weil sie meine Musik mögen. Wenn ich große Festivals spiele, dann geht es darum, zu rocken. Der Rest ist den Kids heute egal. Bin ich ein Blues- oder Country-Man? Völlig egal, die Show muss stimmen - alles andere ist nicht wichtig. 80 Prozent der Sachen über mich stimmen einfach nicht, aber ich habe mich nie dagegen gewehrt. Mir war das immer zu mühsam. Der ganze Internet-Scheiß ist mir zu dämlich. Ich kann einen PC noch nicht einmal ordentlich bedienen. Mir geht es nur um das Spielen. Ich habe auch früher nur Interviews gegeben, weil das ein Teil der Verträge mit den Plattenfirmen war. Ich bin wer ich bin, ich weiß auch wer ich bin und wie mein Leben verlief.

Ich habe fünf Buben großgezogen und den Großteil meines Lebens als Tischler gearbeitet, damit das möglich war. Wie bitte, soll ich realistisch gesehen ein ganzes Leben unter einer Brücke verbracht haben und obdachlos gewesen sein? Als Vater von fünf Kindern? Was für ein Bullshit. Die Medien brauchten aber eine Story und haben das einfach weitergezogen. Ich war als Jugendlicher obdachlos, aber das war dann bald vorbei. Ich habe meine Lektion im "The Old Blue Last", einem Schuppen in London, wo ich ein Video gedreht habe, gemacht. Da kam einer von der "Times" - der "Times"! Zu mir! Das musst du dir mal vorstellen! Eine Zeitung, die ich für seriös hielt. Jedenfalls haben sie geschrieben, dass ich mit Lily Allen dort gewesen wäre. Wer wirklich dort war, war Amy Winehouse, die eine Freundin von mir war. Also rief mein Management bei der Redakteurin an und die sagte beinhart, sie hätten erst unlängst Amy Winehouse in einer Story gehabt und deshalb Lily Allen eingebaut. Ist das nicht unglaublich? Und warum Lily Allen? Weil die Redakteurin ein Fan von ihr ist… Von da an wusste ich, dass ich das gar nicht mehr bekämpfen werde, es ist sinnlos.

"Krone": Wenn du fünf Buben erzogen und als Tischler gearbeitet hast - war da für dich überhaupt noch ausreichend Zeit, um Musik zu erschaffen und regelmäßig zu spielen?
Seasick Steve: Ich habe immer zuhause gespielt, das habe ich nie unterbrochen. Ich hatte eine Million Jobs und in den 90ern ein Aufnahmestudio, wo ich Bands produzierte. Viele Leute fragen mich, warum ich nicht schon länger bekannt wäre. Probiert es doch selbst! Werdet berühmt und schau mal, wie das funktioniert. Die Leute glauben, man schnippt mit den Fingern und wird berühmt. Ich hatte Zeiten, wo ich nicht einmal einen Job in einer Bar bekam. Wir leben in einer verrückten Welt und ich hatte einfach pures Glück.

"Krone": Und Talent und gute Songs…
Seasick Steve: Es gibt Millionen Menschen, die Talent haben und gut in dem sind, was sie eben tun. Warum schaffen sie es dann aber nicht? Deshalb war eben so viel Glück dabei. Ich hatte zudem die Verantwortung, meine Kinder aufzuziehen und Musiker zu sein ist nicht der beste Weg, um verantwortungsvoll zu sein. Niemand wollte mich hören, keiner ließ mich live spielen. Nicht in meinen wildesten Träumen hätte ich mit einem Durchbruch gerechnet, also habe ich einfach gearbeitet und war als Dad für meine Kids da. Deshalb ärgert es mich auch so maßlos, dass man mir mein ganzes Leben lang Obdachlosigkeit andichtet. Ich habe niemals gelogen, vom ersten Interview an. Es ging nur immer total in die falsche Richtung, weil Medien sensationsgeil sind. Für mich ist meine Karriere wirklich ein Wunder.

"Krone": Du hast die Show bei Jools Holland schon angesprochen. Das ist nun exakt zehn Jahre her und das war der Knackpunkt, von da an warst du plötzlich rundum bekannt.
Seasick Steve: Von 0 auf 100. Von schwarz zu weiß. Ich lebte damals in Norwegen, hatte noch nie von Jools Holland gehört und kurierte gerade einen Herzinfarkt aus. Dort zu landen war einfach Glück. Ein Freund von mir war der Fahrer einer anderen Band. Er hatte meine CD in der Anlage und gab es dem Produzenten der Show - und plötzlich explodierte alles.

"Krone": Gab es einen Moment, wo du aufgrund des plötzlichen Ruhms vor dem Durchdrehen warst? Vielleicht Gefahr liefst, die Bodenhaftung zu verlieren?
Seasick Steve: Ich habe mich nicht so gut gefühlt damals, also passierte das Ganze wie in einer Blase. Ich bekam in Norwegen nicht einmal einen einfachen Job in der Nachbarschaft und mein Sohn hatte eine Woche vor der Holland-Show eine Webseite eingerichtet, die 75 Mal besucht wurde. 70 davon waren von mir, weil ich nie zuvor eine Website sah. (lacht) Nach der Holland-Show waren es plötzlich 1,750.000 Klicks. Und das alles in einer Nacht - mein Leben war plötzlich total anders. Ich habe mich dann mit dem Produzenten angefreundet und er war ein Fan von John Lee Hooker. Er hörte also meine CD und weil ich einen Boogie-Song drauf hatte, ließ er mich in der Show laufen. Wie viel Glück kann man eigentlich haben? Ich war damals wirklich krank und wollte eigentlich nur meine Ruhe. In Norwegen wird Jools Holland nicht ausgestrahlt, also mussten sie mich überreden, dass ich zu dieser TV-Show kam. Ich wollte da überhaupt nicht hin. Die laberten was von wegen wer meine Plattenfirma sei. Welche Plattenfirma? Der Typ, der mein Album produzierte, tat das in seinem Schlafzimmer und seine Freundin hat das Ding dann veröffentlicht. Die gesamte Plattenfirma bestand also aus einem Schlafzimmer. (lacht)

Nach dieser Show gab es keine einzige CD in keinem Geschäft und wir haben damals sicher unendlich viel Geld verschenkt. Mittlerweile dauert das Wunder schon zehn Jahre an und ich kann es noch immer nicht fassen. Ich fühle mich oft immer noch wie der Elch im Scheinwerferlicht, wenn Festivals wie Glastonbury für mich anfragen. Ich war seit 1969 nicht mehr auf einem Festival, beim legbeendete. Ich habe alle Veränderungen verschlafen, hatte kein Ahnung. Ich spielte dann auf der ganzen Welt und konnte es nie glauben. Mein Ziel vor dieser Show war, einen Job einmal bis zum Jahresende zu behalten und hoffentlich bis dorthin irgendwo auftreten zu können. Einfach ein bisschen Geld verdienen, ein paar Leute glücklich machen und Spaß haben. Und dann eskalierte alles.

"Krone": Dazu Märchen zu sagen, wäre ja fast noch untertrieben…
Seasick Steve: Warner wollten mich damals nicht unter Vertrag nehmen, weil jemand aus dem Büro in New York damals sagte, mich würde kein Mensch kennen und es wäre ein Verlustgeschäft. Einer tat es trotzdem und innerhalb von sechs Monaten wurden dort alle gefeuert. Kein Mensch hat mehr dort gearbeitet und das Album bekam trotzdem Platin. Wie ging das? Das war für mich absolut unverständlich. Für mich war das auch ein Zeichen, dass ich das selber machen könnte, mich einem großen Label nicht ausliefern müsste. Noch heute passt das alles nicht in meinen Kopf. Ich bin kein bescheidener Mensch, ich weiß schon, dass ich etwas kann und gut bin. Aber ich hatte so viele Misserfolge, dass ich dieses Selbstvertrauen über die Jahre verloren hatte. Ich hatte viele Selbstzweifel und nur der normale Alltag hat mich vor einem Absturz bewahrt. Wir spielen heute Festivals vor bis zu 80.000 Menschen und jeden Tag, wenn ich eine Bühne betrete, zwicke ich mich immer noch. Sind wir besoffen? Auf Drogen? Ein Traum? Wache ich gleich mit einem Riesenkater auf und habe mir alles eingebildet?

Ich bin so unendlich dankbar für jeden einzelnen, der zu meinen Shows kommt. Jeder einzelne ist mein Boss. Kein Label, kein Journalist, keine Presse. So viele Künstler glauben, sie wären die Stars. Aber der Star ist mein Fan, denn ohne ihn wäre ich absolut nichts. Ich finde das schlimm, dass das so viele Leute nicht kapieren. Viel gelernt habe ich in meiner Zeit als Straßenmusiker in der Jugend. Da geht es ums Überleben. Wenn du nicht gut spielst und entertainst, dann bekommst du keinen müden Dollar in deinen Hut und kannst dir nichts zu essen kaufen. Das härtet ab und ist die beste Schule des Lebens. Es ist simpel, aber wahr. Diese Arbeitsethik habe ich mir bis heute erhalten. Selbst wenn ich in der Royal Albert Hall spiele, denke ich genau an diese Zeit zurück. Niemals werde ich eine Show unter 150 Prozent spielen, wenn Leute für mich bezahlen. Wir gehen jeden Arbeit raus und bluten für die Menschen. Gerade die jungen Fans merken das. Wir tun den Fans keinen Gefallen - sie tun ihn mir und ich bin sicher keiner, der dann auf der Bühne steht und seine Schuhe anglotzt.

"Krone": Stimmt es wirklich, dass du 75 Jahre alt bist? Es ist eigentlich kaum vorstellbar, wenn man dir gegenüber sitzt…
Seasick Steve: Jetzt bekommst du einmal die eiskalte Wahrheit aufs Tablett serviert - ich habe niemals irgendeinem Menschen jemals mein wahres Alter gesagt. Warum schreiben die Menschen dann, dass ich 1941 geboren wäre? Nach meinem Herzinfarkt habe ich zu meiner Frau gesagt, dass ich keine Geburtstage mehr feiern will. Ich will nicht daran denken, dass ich älter werde und sie solle das bitte möglichst ignorieren. Ich will ein junger Mann sein und habe die Realität etwas weggeschoben. Ich will einfach leben und nicht alt und schwach sein. Weißt du, was ich witzig finde? Ich habe noch nie jemanden direkt danach gefragt, wie alt er sei. Das ist doch etwas komisch oder? Mich fragen lustigerweise dauernd Leute direkt danach. Was macht das für einen Unterschied? Ich glaube keinen, aber auch darüber kann ich mittlerweile lachen. (lacht)

Am 27. Oktober kommt der famose Seasick Steve mit seinem neuen Album und vielen Klassikern live in den Wiener Gasometer. Karten für die Show erhalten Sie unter www.ticketkrone.at oder unter 01/588 85-100

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele
Vorteilswelt