Fall immer seltsamer
IS-Bombenbastler konnte sich in Zelle erhängen
Zuerst die unverständliche Flucht des syrischen IS-Bombenbastlers Jaber al-Bakr beim Zugriffsversuch der Polizei in Chemnitz, dann seine hollywoodreife Festnahme in Leipzig - und jetzt die nächste Seltsamkeit in diesem Fall: Der 22-jährige Terrorverdächtige ist tot. Bakr habe in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Leipzig Suizid begangen und sei erhängt aufgefunden worden, teilte das sächsische Justizministerium am Mittwochabend mit - und das, obwohl er offenbar als selbstmordgefährdet gegolten hatte und deshalb ständig beobachtet worden war. Der Pflichtverteidiger des Syrers sprach von einem "Justizskandal", auch Politiker reagierten entsetzt.
Unter welchen Umständen es Bakr gelingen konnte, sich das Leben zu nehmen, teilten die Behörden zunächst nicht mit. Das Justizministerium bestätigte lediglich den Suizid und verwies auf eine für Donnerstag angesetzte Pressekonferenz.
"Absolut fassungslos": Verteidiger sieht "Justizskandal"
Bakrs Pflichtverteidiger Alexander Hübner übte am Mittwochabend scharfe Kritik an der sächsischen Justiz: "Ich bin wahnsinnig schockiert und absolut fassungslos, dass so etwas passieren kann", sagte er "Focus Online". Er sprach von einem "Justizskandal". Hübner sagte, den Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalt sei das Suizidrisiko des Beschuldigten bekannt gewesen, es sei auch im Protokoll vermerkt worden.
"Er hatte bereits Lampen zerschlagen und an Steckdosen manipuliert", so Hübner. Noch am Mittwochnachmittag habe ihm der stellvertretende JVA-Leiter telefonisch versichert, dass der in Einzelhaft sitzende Bakr "ständig beobachtet" werde. Die "Bild"-Zeitung hingegen schrieb, die Zelle sei offenbar nur einmal pro Stunde kontrolliert worden. Hübner sagte weiters, dass sich der Terrorverdächtige seit seiner Festnahme im Hungerstreik befunden und seit Sonntag nichts gegessen und getrunken gehabt habe.
Am Donnerstagvormittag kritisierte Hübner im Deutschlandfunk zudem, von den Behörden noch keine näheren Informationen über die Todesumstände seines Mandanten bekommen zu haben. Die zuständige Oberstaatsanwältin habe ihm lediglich mitgeteilt, dass sich der 22-Jährige erhängt habe.
Auch deutsche Politiker äußerten sich entsetzt über den Vorfall. "Was ist da los?", schrieb Familienministerin Manuela Schwesig auf Twitter. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck twitterte: "Wie konnte das geschehen?"
De Maiziere fordert "umfassende Aufklärung"
Innenminister Thomas de Maiziere sagte am Donnerstag im ZDF-"Morgenmagazin": "Das, was da passiert ist, verlangt nun wirklich nach schneller und umfassender Aufklärung der örtlichen Justizbehörden." Der Tod des Syrers erschwere natürlich die Ermittlungen nach den möglichen sonstigen Beteiligten und Hintermännern der Anschlagspläne. Gleichzeitig warnte er vor Spekulationen: Er finde, nun solle der Generalbundesanwalt zu dem Fall ermitteln können - eine "Durchstecherei von einzelnen Aussagen" sei da nicht hilfreich.
Flucht in Chemnitz, hollywoodreife Festnahme in Leipzig
Bakr war am Samstag bei einem Polizeieinsatz in einer Wohnung in Chemnitz knapp dem Zugriff der Beamten entkommen. Wie dies geschehen konnte, nachdem er bereits seit längerer Zeit unter Beobachtung gestanden war, ist nach wie vor unklar. In der Wohnung wurden 1,5 Kilogramm hochexplosiver Sprengstoff gefunden, der Mieter wurde als mutmaßlicher Komplize verhaftet.
Laut den Behörden hätten dann drei Landsmänner, bei denen der Syrer in Leipzig um einen Platz zum Übernachten gebeten hatte, den Terrorverdächtigen überwältigt und gefesselt. Schließlich hätten sie die Polizei verständigt, die den 22-Jährigen verhaftet habe. Auch diese hollywoodreife Festnahme wirft Fragen auf. Nach der Verhaftung gab es viel Lob für das Verhalten der drei syrischen Flüchtlinge, aus der Regierungskoalition wurden Forderungen nach einem Orden für die Männer laut.
"Islamistisch motivierten Anschlag geplant und vorbereitet"
Die Bundesanwaltschaft übernahm nach der Festnahme die Ermittlungen und bezeichnete Bakr als "dringend verdächtig", einen "islamistisch motivierten Anschlag mit hochexplosivem Sprengstoff in Deutschland geplant und bereits konkret vorbereitet" zu haben. Laut Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatte er Züge und Flughäfen in Deutschland im Visier. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Syrer Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat hatte.
In seinen Vernehmungen bezichtigte Bakr die Männer, die ihn überwältigt hatten, der Mitwisserschaft. Inwieweit diese Aussage als glaubhaft eingestuft werden kann, ist noch unklar. Auch die Frage, ob die Männer noch als Zeugen oder schon als Verdächtige in dem Ermittlungsverfahren behandelt würden, blieb unbeantwortet.
2015 als Flüchtling nach Deutschland gekommen
Bakr war Anfang des Vorjahres als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Laut dem Sender MDR sei er zwischenzeitlich wieder in Syrien gewesen, das habe die Familie des 22-Jährigen mitgeteilt. Mitbewohner aus dem nordsächsischen Eilenburg hätten ebenfalls von seinem Aufenthalt in der syrischen Stadt Idlib berichtet. Sie hätten den 22-Jährigen nicht als besonders religiös beschrieben, nach seiner Rückkehr soll er sich jedoch verändert haben. Innenminister de Maiziere sagte am Mittwoch, Bakr sei 2015 von den deutschen Sicherheitsbehörden überprüft worden - "allerdings ohne Treffer. Es steht ja auch noch gar nicht fest, wann es in Syrien zu einer Radikalisierung gekommen ist."
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