Vor fünf Jahren wollte der Berliner Senkrechtstarter Tim Bendzko "Nur noch kurz die Welt retten" und katapultierte sich mit der Single in die Oberliga der deutschsprachigen Popkünstler. Nach dem Erfolg mit "Am seidenen Faden" zog sich Bendzko für gut eineinhalb Jahre bewusst aus dem Rampenlicht zurück, um wieder Energie zu tanken und das Erreichte zu verarbeiten. Das reduzierte und sehr introvertierte Drittwerk "Immer noch Mensch" ist somit die logische Schlussfolgerung, mit der er im Frühling 2017 auch wieder live nach Wien kommt. Wir haben mit dem 31-jährigen Blondschopf über die Bendzko-Omnipräsenz, dummen Leichtsinn und Schlager-Freestyle-Alben gesprochen.
"Krone": Tim, vor fünf Jahren wolltest du "Nur noch kurz die Welt retten", hast damit auf Anhieb die Charts gestürmt, und jetzt bist du laut dem Titel deines dritten Albums "Immer noch Mensch". Wie würdest du die Zeit dazwischen grob bilanzieren?
Tim Bendzko: Das richtige Wort ist wohl sensationell. Für die Leute da draußen kam dieser Erfolg ziemlich plötzlich, ich selbst habe aber viele Jahre darauf hingearbeitet und auch spekuliert. Seitdem ich elf bin, ging ich davon aus, dass das mal mein Beruf sein wird - mit den Ausmaßen konnte aber natürlich niemand rechnen. Natürlich musste ich dazwischen darauf achten, nicht wahnsinnig zu werden, aber wie der Albumtitel schon andeutet, kam ich innerhalb dieser fünf Jahre auch mal zuhause an und wusste, ich bleibe dort eine Weile.
Bestand bei dir die Gefahr abzuheben?
Das kann man selbst relativ schlecht einschätzen, aber man merkt zumindest, dass Zeitspannen total schnell vorbeigehen. Gerade 2011 und 2012 war ich in so vielen Fernsehsendungen und hatte so viele Termine, dass das auf ein ganzes Leben verteilt schon absurd viel gewesen wäre. Man merkt irgendwann, dass gewisse Sachen zu gut laufen und wenn das der Fall ist, dann werde ich skeptisch. Deshalb habe ich das zweite Album "Am seidenen Faden" direkt hinterhergeschossen. Ich wollte damit den Hype wegschieben und allem eine realistische Basis geben. Die Leute sollten wissen, dass der Typ wirklich Musik machen kann und es nicht nur um einen Song geht. Das erste Album war natürlich auch schon sehr erfolgreich, aber man muss schon klarmachen, dass man keine Eintagsfliege ist.
Hast du dich in den letzten beiden Jahren auch deshalb so rar gemacht, um eine Bendzko-Omnipräsenz zu verhindern?
Ich weiß nicht, ob das direkt mit mir zu tun hat, aber prinzipiell muss man den Leuten ein bisschen Ruhe von sich gönnen. Es ist natürlich toll, wenn man bei allen Medien gerne gesehen ist, aber du kannst nicht alle drei Wochen mit einem neuen Song ins Radio kommen. Ich habe dann selber gesagt, wir machen eineinhalb Jahre kein Fernsehen und kein Radio, damit das Bedürfnis wieder nach einem da ist. Irgendwann kann man sich ja selbst nicht mehr hören. (lacht) Man muss auch mal in Ruhe nächste Schritte planen. Für mich ist das wie ein Fußballerphänomen. Manche sind nach einer Verletzung besser als vorher - sie hatten nämlich dazwischen Abstand, konnten von außen beobachten und reflektieren.
Während die meisten Popstars derzeit auf Pomp und Trara setzen, ist "Immer noch Mensch" extrem reduziert ausgefallen und schlägt ruhige Töne an. Wolltest du dich klanglich bewusst so zurücknehmen?
Ich wollte nicht den Leuten etwas beweisen, sondern mir selbst. Ich glaube nicht, dass man Musik nach irgendeiner Sache ausrichten kann, um Erfolg zu haben. Damit ist man zum Scheitern verurteilt. Wenn mir solche Gedanken kamen, habe ich sie sofort weggeschoben, denn man kann Musik nicht nach Plan machen. Man kann Musik nur so machen, wie man es selbst für richtig hält und wie es sich für einen gut anfühlt. Mit etwas Glück ist das Ergebnis dann wiedererkennbar und läuft keinem Trend nach. Denn sobald das passiert, geht es um Erfolg und nicht mehr um die Musik.
Dir ist also primär wichtig, echt und authentisch zu klingen?
Es ist ein Unterschied was man gerne hört und was man gerne macht. Ein gutes Beispiel ist Justin Bieber. Sein neues Album habe ich anfangs überhaupt nicht verstanden, aber so nach einer Woche kamen mir die Songs wieder in den Kopf. Dann habe ich noch öfter hingehört und bemerkt, dass er allen einfach wieder einen Schritt voraus war. Er klingt so neu, dass es alle kopieren werden und genau das passiert gerade. Diese Pseudo-Panflötensounds, die plötzlich überall verwendet werden. (lacht) Diese Leute verkaufen nur Sachen, machen aber keine ehrliche Musik. Deutschsprachige Musik hat nur eine Chance, wenn sie authentisch ist. Und authentisch kannst du nicht mit Absicht sein.
In Songs wie "Hinter dem Meer" oder "Keine Maschine" bist du sehr authentisch, lässt durchaus tief blicken. Ist das Album ein sehr privates?
Privat ist vielleicht das falsche Wort. Ich erzähle zumindest keine Geschichten von mir nach. Ich habe ein bisschen die Scheu vor dem Konkretsein verloren. In "Keine Maschine" kommt die Zeile vor "ein Mensch mit all meinen Fehlern" und das ist tatsächlich autobiografisch. Im Rückblick auf die letzten Jahre habe ich festgestellt, dass es ein Unsinn ist zu versuchen, besonders gut auszusehen oder supercool zu sein. Ich bin halt wie ich bin. Wenn ich einen komischen Humor habe und keiner versteht mich, ist das halt so. Ich bin nicht cool und ich glaube, das macht mich am Ende wohl doch wieder cool. Für den einen bin ich sonderbar, für den anderen nicht - das ist absolut okay so.
Und das Verständnis dafür hast du innerhalb der letzten eineinhalb Jahre bekommen?
Man wird ja auch nicht jünger. (lacht) Ich war schon immer ich selbst, aber mir wurde es einfach noch stärker bewusst. Man hat weniger Scheu, Leute ranzulassen. Mein Lieblingsbeispiel ist etwa die Sendung "Grill den Henssler". Da wäre ich nach den ersten Alben nicht hingegangen, weil ich mich dort nicht sicher gefühlt hätte. Jetzt war das total entspannt, ich habe es viel lockerer genommen. Natürlich bin ich beim Songschreiben ernsthaft unterwegs, aber am Ende ist es doch nur Musik. Man läuft in einer Promophase für so ein Album Gefahr, dass man das ganze Produkt zu wichtig nimmt. Es ist aber einfach nicht weltbewegend, dass ich ein neues Album gemacht habe. Vielleicht für mich, aber nicht für die Menschheit. Ich freue mich natürlich, wenn ich - so wie bei "Keine Maschine" - mit positivem Feedback überschüttet werde, aber so ein Album ist einfach nicht essenziell.
Je konkreter man vorgeht und Themen besingt, umso verletzlicher ist man. Wird das bei dir auf die nächsten Liveshows zutreffen?
Ich weiß nicht, ob so etwas einen verletzlicher macht. Es sind zwei, drei Songs dabei, wo ich weiß, dass wenn man sich reinfallen lässt, dass es schiefgehen kann, aber ansonsten ist mir schon klar, dass die Leute nicht wissen, was ich jetzt genau meine. Selbst wenn ich eine halbe Stunde erkläre, worum es in einem Song geht, ist damit trotzdem nicht der Auslöser für die Emotion beschrieben, die mich zum Song bewogen hat. Es lässt sich nicht verständlich erklären, wie man auf die Idee zu einem Song kommt. Die erste Zeile ist einfach ein Einfall, für den ich nichts kann - und von da an überlege ich, wie ich das Ganze weiterzieht. "Wenn Worte meine Sprache wären" war für mich sehr lange ein Liebeslied, aber irgendwann kam ich in eine Situation, wo ich den Inhalt auch auf eine Freundschaft ummünzen konnte. Es ist bei fast allen Songs so, dass ich ewig brauche bis ich schnalle, weshalb ich das Lied überhaupt geschrieben habe. So etwas ist irrsinnig schwer zu erklären.
Im Song "Leichtsinn" gibt es die Textzeile "ein bisschen Leichtsinn und du kannst sein wer du willst". Trifft das auf dich zu und wann warst du das letzte Mal richtig leichtsinnig?
In Bezug auf den Song kann man nicht zu leichtsinnig sein. Zu leichtsinnig ist man zum Beispiel, wenn man heute mal keinen Fahrradhelm aufsetzt, weil man cool sein will. Das ist dann meistens immer der Tag, an dem man ihn gebraucht hätte. Es gibt eine Art von Leichtsinn, die ich verabscheue. So wie Rauchen. Das ist ein Leichtsinn, den ich mir nicht erlaube, weil ich es einfach dumm finde. Es kommt der Tag an dem man sich daran erinnert wie viel besser es gewesen wäre, hätte man erst gar nie damit angefangen. Auf das Album bezogen wäre es leicht gewesen, den besten Produzenten und die besten Songschreiber zu engagieren.
Dann hast du aber doch alles alleine gemacht. Songs geschrieben, eingespielt, produziert - sogar alles fotografiert.
Kooperationen wären der einfache Weg gewesen, aber das Ergebnis daraus wäre wohl austauschbar ausgefallen. Ieshalb war es eine Art von Leichtsinn, alles selbst zu machen. Das Ergebnis war aber sehr okay. Ich hatte wieder eine neue Aufregung, war unsicher und etwas nervös. Ich finde Sicherheit ist das Schlimmste, dass dir beim Albumschreiben passieren kann. Ich habe kurz überlegt mit jemand anderen zusammenzuarbeiten, nur um sicher zu gehen. Aber der Song, der dort so halb entstand, hatte überhaupt nichts mit all den anderen Nummern zu tun, die ich bereits schrieb.
Hat das auch etwas mit überbordendem Perfektionismus zu tun, wenn du alles selbst in die Hand nimmst?
Das ist komplexer. Ich weigere mich zu glauben, dass Perfektionismus der Auslöser dafür war, dass ich das Album dieses Mal so gemacht habe. Ich bin so oder so perfektionistisch, denn wenn ich eine Vorstellung von einer Sache habe, dann muss ich das auch so durchziehen. Ich finde es ganz schlimm, wenn man dann meint, es wäre zeitlich nicht mehr notwendig, etwas zu adaptieren. Ich wollte unbedingt vermeiden, dass ich in die "ich muss mich für Not oder Elend entscheiden"-Situation falle. Das Selbermachen entstand eigentlich mit den Fotos. Die Frage war, wie dokumentiert man, wenn ich zuhause aufnehme und arbeite? Also wollte ich gleich die Fotos selbst machen. Ich habe mich dann mit Produzenten getroffen, um Testaufnahmen zu machen und merkte, dass ich mich eigentlich vor Arbeit drücke, wenn ich das jemand anderem umhänge. Dass ich dann alles am gleichen Ort machte und alles aus einer Hand war, das entwickelte schlussendlich eine gewisse Romantik. Ich bin kurz vor dem Release auch die Entspannung in Person. Ich weiß, ich kann es nicht besser. Das Album könnte anders sein, aber das Niveau würde nicht besser werden. Jetzt gerade ist es das beste, das ich machen kann und will. Wenn es schief geht, wäre das natürlich kacke, aber ich kann auf niemanden zeigen und meine Verantwortung abschieben.
Der Berliner Schlagerstar Roland Kaiser preist dich unter anderem als hervorragenden deutschsprachigen Songwriter. Wie fühlt sich so ein Kompliment aus einem fremden Metier an und wärst du prinzipiell dafür offen, auch einen Berührungspunkt mit Schlager zu finden, oder etwas in diese Richtung zu wagen?
Grundsätzlich bin ich bei Musik für alles offen. Ich finde es ganz schlimm, wenn sich Leute schubladisieren lassen und dadurch eventuell auf eine interessante Kooperation verzichten. Wenn sich etwas für mich gut und richtig anfühlt, dann würde ich das machen. Ich würde jedenfalls nicht mehr für andere Leute Songs schreiben. Das habe ich eine Zeit lang gemacht, aber es funktioniert mit deutschsprachiger Musik nicht, weil die Authentizität fehlt.
Kaiser lässt sich seine Songs schreiben und trotzdem wirkt er auf seine Fans echt und authentisch.
Es ist auch immer eine Frage der Musikrichtung. Bei deutscher Popmusik funktioniert das meiner Meinung nach nicht. Schlager ist ja eine andere Welt. Ich habe mal für mich beschlossen, dass ich mal ein Schlager-Freestyle-Album mache. (lacht) "Per Rolltreppe gen Himmel" - den Titel habe ich schon. Ich könnte mir total gut vorstellen, mit einem kräftigen Augenzwinkern ein völlig übertriebenes Schlageralbum aufzunehmen. Bei uns wird das nur leider gerne auf die Goldwaage gelegt und zu ernst genommen. Dick Brave von Sasha sehe ich als Super-Beispiel. Dort ging es so weit, dass die Dick Brave-Figur berühmter war als Sasha selbst und die Leute das nicht verstanden haben, dass es eigentlich nur mal ein kurzer Spaß war. Früher ging das besser. Stefan Raab hatte mal wochenlang angekündigt, dass so ein argentinischer Superstar in seine Sendung kommt und dann war er das selbst - sensationell!
Im Zuge deiner Tour kommst du am 27. April live nach Wien in den Gasometer. Was dürfen wir uns da erwarten?
So einiges. Die Band hat sich vergrößert, weil ich unbedingt will, dass man die Songs vom Album auch wirklich so spielen kann und nichts vom Band kommt oder zusammengebastelt wirkt. Wir wollen live dem nahe kommen, was wir auf Platte haben. Wir sind zwölf oder mehr Leute auf Tour und werden es dementsprechend krachen lassen, vergessen aber sicher nicht auf den einen oder anderen intimen Moment. Die Hallen werden immer größer und es ist für mich die große Kunst, dort intime Momente herzustellen. Man soll sich als Fan ruhig denken, dass der Künstler da mit einem alleine ist. Ich habe das einmal in Berlin bei Michael Bublé gesehen, der sich kurz vor Schluss die Kopfhörer rausriss, und vor 15.000 Leuten A-Capella sang - unglaublich.
Und auf was freust du dich besonders in Wien und Österreich?
Auf die Berge. (lacht) Sollte ich mal einen freien Tag haben, wenn ich gerade hier bin, dann will ich auch gerne etwas sehen. Ich bin unter die Wanderer gegangen, am liebsten würde ich schon loslegen. Man wird alt, wenn man als 31-Jähriger in diese Richtung loslegt. (lacht)
Am 27. April ist Tim Bendzko endlich wieder live in Österreich - nämlich im Wiener Gasometer. Karten und alle weiteren Infos gibt es unter www.timbendzko.de.
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