Sie wirkte, als wolle sie sich etwas von der Seele reden - oder das Schlimmste noch verhindern: Sali S., deren Wohnung in Baden am Nationalfeiertag von der Sondereinheit Cobra gestürmt wurde - und die nun wie ihr Mann wegen Terrorverdachts in U-Haft sitzt. Zwei Tage zuvor traf krone.at die 36-jährige Tschetschenin in einem Meidlinger Kaffeehaus. Sie selbst hatte um das Treffen gebeten. Der Grund bleibt geheimnisvoll.
Tschetschenien, Traiskirchen, Skype
Rückblende: 2010 sucht die gebürtige Tschetschenin im Flüchtlingslager Traiskirchen um Asyl an. In den darauffolgenden Jahren besucht sie Deutschkurse, nimmt verschiedene Teilzeitjobs an. "Zufällig", so Sali S., habe ihr späterer Mann sie auf Skype "hinzugefügt". Aus den Chats entwickelt sich eine Affäre. Es sind diese Gespräche, in denen Sali S. - laut aktuellen Ermittlungen - "Ich spreng' mich in die Luft" sagte.
In Wohnung von Imam in Wien verheiratet
In der Wohnung eines Imams schließen die beiden 2015 in Wien den Bund der Ehe. Der heute 25-Jährige, ebenfalls in Tschetschenien geboren, kam mit elf Jahren nach Belgien. Von dort reiste er gegen den Willen seiner Eltern nach Österreich, um Sali S. zu heiraten - und um hier zu leben. Er ist arbeitslos, seine Eltern schicken hie und da Geld. Um sich die Zeit zu vertreiben, verbringt er viele Stunden im Internet.
Baupläne für Molotowcocktails heruntergeladen
Im Sommer nimmt das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung den Tschetschenen ins Visier. Auf den Rechner, der Sali S. gehört, wurden demnach Pläne für den Bau von Molotowcocktails heruntergeladen - in russischer Sprache.
Wohung im September erstmals gestürmt
Dem jungen Belgier wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und Terrorfinanzierung vorgeworfen. Er soll mit dem Islamischen Staat in Verbindung stehen, diesen aktiv unterstützen und ein "Dschihad-Heimkehrer" sein. Im September stürmt die Cobra die Wohnung des Paares und nimmt den Verdächtigen fest. "Bis heute", sagt Sali S. gegenüber krone.at am 24. Oktober, "konnte ich mit meinem Mann nicht mehr sprechen." Einem Antrag auf Besuchsrecht wurde nicht stattgegeben.
"Familie und krebskranker Onkel"
Wusste sie von den Kontakten? Sali S. sagt, die Verbindungen und Telefonate des terrorverdächtigen Ehemannes nach Frankreich und Belgien seien leicht erklärt: "Seine Familie wohnt in Belgien, sein krebskranker Onkel in Frankreich." Belgien und Frankreich gelten als Stammländer des IS-Terrorismus. Bei der Verhaftung ihres Mannes habe man auch den Rechner ihrer Schwester zur Auswertung mitgenommen, "dabei funktioniert der nicht einmal" meint sie und zwingt sich zu einem Lächeln.
25-Jähriger bei Ladendiebstahl gefasst, Handy beschlagnahmt
Und dann erzählt Sali S., wie die Polizei auf ihren Mann aufmerksam geworden war. "Das war am 1. September nach einem Ladendiebstahl in der Shopping City, da wurde er geschnappt." Auch sein Handy knöpfte man ihm ab - die Auswertung der Daten brachte war verhängnisvoll. Da war diese Chat-Gruppe, auf dem Messaging-Dienst "Telegram", die IS-Propaganda verbreitet. Oft steht die App "Telegram" in direkter Verbindung zu IS-Anwerbern und Sympathisanten. Der Unterschied zu WhatsApp? Mit der "Telegram"-App sind Nachrichten verschlüsselt und können nicht zurückverfolgt werden.
"Bekannter hat seine Nummer weitergegeben"
Sali S. fällt auch dazu eine Rechtfertigung ein: "Ein Bekannter hat seine Nummer weitergegeben. Ich verstehe, dass es verboten ist, mit dieser Gruppe zu kommunizieren. Aber das war nur ein Chat, das waren keine realen Handlungen!" Ihr Mann habe nicht einmal eine SIM-Karte gehabt. Und dann sagt sie, dass sie am liebsten alles vergessen möchte. "Alles, außer meine Kinder", aber darüber will sie nicht sprechen.
Mit Ehemann auf Polizeistation - und wieder daheim
Nach dem Diebstahl bekommt Sali S. unerwarteten Besuch. Vor der Tür steht ihr Ehemann in Handschellen. Polizeibeamte leuchten mit Taschenlampen ins Innere der Wohnung. Sie muss mit auf die Polizeistation kommen. "Dort musste ich auch der weiteren Auswertung des Handys zustimmen." Aber dann darf sie mit ihrem terrorverdächtigen Ehemann wieder nach Hause.
"So ein Großaufgebot ..."
Erst am 6. September, also fünf Tage nach dem Ladendiebstahl, kommt es zur Stürmung der Cobra. "Wenn er wirklich schuldig ist, warum ist er in diesen fünf Tagen nicht geflüchtet?" fragt Sali S. Der Schreck über den Einsatz sitzt ihr sichtlich noch in den Knochen: "So ein Großaufgebot für einen jungen Mann, der nur 60 Kilogramm wiegt."
Profilbild zeigt IS-Flagge
Schließlich stellt sich heraus: Die Chat-Gruppe, bestehend aus 38 Personen aus verschiedenen Ländern, tauschte Fotos und Text-Nachrichten aus - 38 insgesamt. Unter anderem auch Fotos von IS-Kämpfern, die abgetrennte Köpfe präsentieren. Das Profilbild der App des Ehemannes zeigt eine IS-Flagge.
"Das letzte Mal Kopftuch getragen, als es geregnet hat"
Zu unserem Treffen ist sie unverschleiert gekommen. Die Muslimin zeigt uns aber Fotos, auf denen sie Kopftuch trägt. "Das letzte Mal habe ich ein Kopftuch getragen, als es geregnet hat und kalt war", versucht sie zu erklären. Sie zeigt uns auch Videos von sich und ihrem Ehemann. Und spielt jene Musik, die ihr Mann beim Chatten gern im Hintergrund laufen ließ. Sie bestellt Kaffee mit wenig Schaum. Sie will nicht, dass sie auf Fotos erkannt wird.
"Mein Mann ist krank"
Nach dem letzten Interview mit krone.tv, bei dem ihre Stimme verfälscht worden war, haben Freunde sie angesprochen. "Bitte fotografiert nur meine Hände, nicht mein Gesicht." Was erwartet sie sich von unserem Gespräch? Die junge Frau denkt nach und sagt dann: "Ich möchte meinem Mann beistehen." Er sei krank, benötige dringend psychologische Hilfe ... Dass sie bereits selbst ins Visier der Ermittler geraten war, ahnt sie zu dem Zeitpunkt nicht.
Zweiter Wohnungssturm am Nationalfeiertag
Am Nationalfeiertag dann der Knalleffekt: Wieder stürmen Elitepolizisten die Wohnung in der Badener Mühlgasse. Diesmal wird Sali S. selbst festgenommen.
"ISIS ist der Kosename eines Freundes"
Die Skype-Gesprächsprotokolle sind schockierend. So soll sich sie gleich mit mehreren Benutzernamen auf Skype eingeloggt und sich dort für den IS interessiert haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, auch in den anfänglichen Chats mit ihrem Ehemann Konversationen über den IS geführt zu haben. In der Vernehmung behauptet sie später: "ISIS ist wahrscheinlich der Kosename eines Freundes meines Mannes, der falsch übersetzt wurde".
Vernehmung: Gedächtnislücken und "Medikamente"
Die weiteren schweren Vorwürfe: Sali S. soll vorgehabt haben, in den Dschihad zu ziehen, woran sie sich in der Vernehmung allerdings nicht mehr erinnern kann. Außerdem habe sie sich auf Skype auch über mögliche Reiserouten nach Syrien informiert und wie sie am unauffälligsten dorthin komme. Zu diesem Zeitpunkt, behauptet sie, sei sie unter Medikamenteneinfluss gestanden.
"Dann gibt es mich nicht mehr"
Schließlich habe Sali S. auch mit einem Anschlag gedroht. Der genaue Wortlaut im Chat: "Ich werde das Geld auftreiben, den Sprengstoff kaufen, ihn umbinden und mich im Verteidigungsministerium in die Luft sprengen. Dann gibt es mich nicht mehr." Angeblich hatte sie davor "zu viel getrunken". Ihrem Mann soll sie geraten haben, nichts von ihren Plänen zu verraten.
Anwalt: "Gequatsche aus dem Jahre 2014/15"
Anwalt Wolfgang Blige. "Ein Gequatsche aus dem Jahre 2014/15 stellt sich im Jahre 2016 als dringender Tatverdacht aus. Da muss man schon an der Ernsthaftigkeit der Anschuldigungen zweifeln", gibt sich der Verteidiger gelassen. Noch sei ja "nichts passiert".
Über Sali S. wurde Untersuchungshaft verhängt. Ob sie nur, wie sie meint, unter Tabletten- und Alkoholeinfluss ihre Chatnachrichten geschrieben hat, oder ob sie doch Teil des großen, gefährlichen Terrornetzwerks ist, das wird das Gericht klären.
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