Die Kinderärztin Martina K. versorgt Tag für Tag todkranke Mädchen und Buben. Lesen Sie das Protokoll einer Frau, die ganz nah am Leben steht.
Da ist dieses Bild, das ich schon als Mädchen vor Augen hatte: Ich als alte Frau in einem Futon-Sessel, Ich blicke zurück auf mein Leben. Ein erfreutes Lächeln huscht über mein Gesicht. Denn ich bin zufrieden mit mir, vielleicht sogar ein bisschen stolz.
Kann sein, dass mich diese Vorstellung angetrieben hat. Ich bin Kinderärztin und meine kleinen Patienten sind schwer krank. Tod und Sterben werden in unserer Gesellschaft gerne verdrängt. In meinem Alltag ist das nicht möglich. Je schlechter es dem Kind geht, desto präsenter werden diese Themen. Dass das einfach ist, wäre gelogen. Es gibt Tage, da weine ich aus Verzweiflung. Da schreie im Auto vor Zorn und Wut. Oder ich lasse einfach nur die Tränen fließen.
Es ist der professionelle Hut als Medizinerin, der mir dann helfen muss, mich abzugrenzen. Es ist ein schwieriger Grad zwischen Einfühlungsvermögen und der Lähmung, die handlungsunfähig macht. Im Grunde hätte ich es auch einfach haben können: Ich komme aus sogenanntem guten Haus. Aufgewachsen bin ich in einem Wiener Nobelbezirk. Geldsorgen waren bei uns daheim nie ein Thema.
Ich hätte es sicher auch einfach haben können
Auf der anderen Seite hat mir diese sorgenfreie Kinderstube vielleicht erst ermöglicht, Dinge zu hinterfragen. Denn wer keine existenziellen Nöte hat, hat den Kopf frei für philosophische Fragen. Umgekehrt ist es so: Wenn einen die Zuzahlung für Spitalsaufenthalte oder Reha-Geräte schon aus der Bahn wirft, wie das bei vielen unserer Klienten der Fall ist, fällt einem oft schlichtweg die Kraft, das große Ganze zu reflektieren. So haben die Geschwister meiner Patienten ganz andere Probleme, als sich gegen das Bürgertum aufzulehnen. So wie ich es als Jugendliche getan habe. Gleichzeitig hätten sie allen Grund dazu, wütend zu sein.
Denn unser Kinderhospiz ist bis heute nur durch private Spenden finanziert. Warum kriegen die kranken Kleinen nichts aus dem allgemeinen Steuertopf? Als Kinderhospizbeauftragte im Dachverband konfrontiere ich die Politiker ohnehin mit dieser Thematik. Doch getan wurde wenig bisher. Ich fürchte, es gibt Wickel wer konkret für was zuständig ist. Und während die einen Hahnenkämpfe aufführen, kämpfen andere um schöne Momente.
Von Verbitterung bin ich weit entfernt. Ich habe das riesige Glück, dass ich am richtigen Platz, am richtigen Ort bin. Einige der Kleinen sind fast vergnügt, wenn man zur Türe herein kommt. Jedes Kind hat seine eigene Geschichte.
Wird das Schicksal auch mich treffen?
Ich bin selber Mutter. Immer wieder werde ich gefragt, ob ich nicht auch um meine Kinder Angst habe. Wird das Schicksal auch mich treffen? Ich vertraue einfach fest darauf, dass meine Kinder groß werden. Und dass sie mich besuchen, wenn ich eines Tages als alte Frau in einem Futon-Sessel sitzen werde ...
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