Als 14-Jähriger wird Josef Gantschnig zum Alkoholiker. Erst 50 Jahre später schafft er den Entzug. Das Protokoll seines mühevollen Neubeginns.
Wie man es schafft, 50 Jahre lang zu saufen, ohne als arbeitsloser Sandler unter der Brücke zu landen? Diese Frage beantworte ich lieber mit einer Gegenfrage: Wie schaffe ich es weiter beliebt und erfolgreich zu sein, ohne ein Glaserl mitzutrinken? Ich wollte einfach dazugehören.
Darum köpfte ich 1966 als 14-Jähriger meine erste Flasche. Als Lehrling auf einer Baustelle. Um acht Uhr wurde das erste Bier ausgeteilt. Bis zum Abend wurden sicher neun, zehn getrunken.
Freilich habe ich mich anfangs benommen gefühlt. Aber der Körper gewöhnt sich an den Alkohol. Später habe ich mein Geld als Außendienstler und DJ verdient. Rund um die Uhr wurde angestoßen. Bei Kundenterminen und in den Tanzbars sowieso. Wenn ich bei der Tür rein bin, hat man mich mit den Worten begrüßt: "Servus Sepp! Was trinken wir?" Ich galt als geselliger und unterhaltsamer Typ.
Richtig verkatert war ich nie. Typisch Spiegel-Säufer. Wenn ich doch einmal Kopfweh hatte, habe ich es aufs Wetter geschoben. In den 90er-Jahren bin ich dann mit meiner Frau Margreth an den Arlberg übersiedelt. Sie hat als Zimmermädchen gearbeitet, ich als Spüler in einer Hotelküche. Das war der Anfang vom Ende.
Meine Frau hatte alles still erduldet
Ohne 20 Seidel und eine Handvoll Schnäpse bin ich nicht nach Hause. Wer sagt schon zum Chefkoch nein, wenn der einem was anbietet? Damals hat sich auch mein Körper gewehrt: Bauchspeicheldrüsenentzündung, Bluthochdruck.
2008 ist es dann meiner Frau zu viel geworden. Sie hatte bis dahin immer alles still erduldet. Aggressiv oder laut bin ich ja nie geworden. Aber sie hatte Angst um mich. Also sind wir zurück nach Osttirol. Die Margreth hat geglaubt, ich würde mich in der Heimat besinnen. Vielleicht wäre es auch so gekommen. Aber ich habe keine Arbeit gefunden und wurde pensioniert. Mit 56 Jahren! Weiße Spritzer wurden dann mein Mittel gegen die Tristesse. Fünf Doppler am Tag, das war normal.
Auch der Hund hat sich vor mir verkrochen
Ich habe nur noch apathisch gesoffen. Die Tränen meiner Frau, die Tatsache, dass mir jeder Freund den Rücken gekehrt hat - das alles habe ich gar nicht mehr registriert. Erst als sich auch der Hund vor mir verkrochen hat, hat es Klick gemacht in meinem berauschten Hirn.
Also habe ich in der Psychiatrie in Lienz angerufen. Das war im Herbst 2015. Die Entgiftung war die Hölle. Du schreist nur noch. Du willst sterben. Dann kamen die Therapien und Selbsthilfegruppen. Ohne die geht es nicht. Heute ist Alkohol ein Tabu. Noch nicht einmal Balsamico-Essig rühre ich an.
Vorgestern bin ich ins Gasthaus und habe einen Verlängerten bestellt. Ein Bekannter hat Kopf schüttelnd gesagt: "Du bist aber langweilig geworden." Ich habe ein paar Schmähs gemacht. Alle haben gelacht. Auch mit Kaffee kann man also dazugehören ...
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