Wie sollen Gläubige, Katholiken wie Muslime, auf Terror reagieren? Nach dem Attentat von Berlin am vergangenen Montag spricht der Salzburger Erzbischof Franz Lackner im "Krone"-Interview mit Conny Bischofberger Klartext. Über die Verantwortung der muslimischen "Brüder und Schwestern", das sinnlose Morden und die übergroße Sehnsucht nach Weihnachtsfrieden.
Sein Anruf aus dem erzbischöflichen Palais am Salzburger Kapitelplatz kommt pünktlich um 11 Uhr. "Ich begrüße Sie herzlich", sagt seine Exzellenz mit fröhlicher Stimme. Vor ihm auf dem Schreibtisch steht ein Glas Wasser, daneben liegt sein Smartphone samt Facebook-Profil. Im Hintergrund leuchten die Kerzen des Adventkranzes - drei sind violett, eine rosa. Aufs Stichwort schickt Pressereferentin Heidi Zikulnig ein Foto von ihrem Handy. Im Telefon-Interview nimmt der Salzburger Erzbischof Franz Lackner (60) zum Attentat von Berlin Stellung und analysiert, welche Antworten der Glaube auf Krieg und Gewalt hat.
"Krone": Herr Erzbischof, in Berlin hat ein Islamist am Montagabend zwölf Menschen getötet und 48 schwer verletzt. Hat das eine andere Dimension, weil er als Ziel seines Attentats einen Weihnachtsmarkt gewählt hat?
Franz Lackner: Ja. Diese Dimension ist in der Tat eine, die uns fast verstummen lässt. Es ist eine neue Form des Mordens, wenn Menschen getötet werden, die auf einem Weihnachtsmarkt den Abend genießen wollen. Da prallen Gegensätze aufeinander, die größer und furchtbarer eigentlich nicht gedacht werden können.
Was war Ihr erster Gedanke?
Im ersten Moment, und der dauert bei mir noch immer an, bin ich regelrecht verstummt. Ich musste an einen Satz von Elie Wiesel denken, der im KZ Furchtbares durchgemacht und überlebt hat. Er fragte sich, ob man nicht selbst mitschuldig wird, nur weil man nicht betroffen ist. So ähnlich kommt mir das nach Berlin auch vor.
Gibt es eine christliche Antwort auf Taten wie diese?
Sie ist schwer zu geben. Vielleicht drei Worte: mitfühlen, mitleiden und helfen.
Damit sind wohl die Opfer gemeint. Was ist mit dem Täter? Da sagte Jesus ja diesen provokativen Satz: "Wenn dich einer auf die linke Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin."
Das Wort Gottes kann nicht so einfach in so eine tragische, schreckliche Situation hineingetragen werden. Ich würde es nie wagen, eine allgemeingültige Antwort auf alles Furchtbare, was in dieser Welt geschieht, zu geben. Meine Frage ist eher: Wo kann ich, wo kann der Einzelne helfen, dass so etwas in unserer Umgebung - und das kann ja jetzt überall losgehen - nicht geschehen kann. Wo trage ich im Kleinen dazu bei, dass so etwas geschehen kann, wo schaue ich zu, wo schweige ich und stimme zu? Schweigen ist oft Zustimmung. Durch Schweigen geschieht Ungerechtigkeit und man tut nichts dagegen.
Verstehen Sie Leute, die Rachegefühle gegenüber dem mutmaßlichen Täter empfinden?
Bei Rache würde ich sehr vorsichtig sein. Ich verstehe die Gefühle von den direkt Betroffenen. Dass diese Menschen ohnmächtig vor dem Geschehenen sind, und manchmal stellt sich Wut ein, das verstehe ich. Deshalb muss man sie gut begleiten, damit das nicht eine Massenbewegung wird. Ich glaube, es war Einstein, der gesagt hat: "Kein Fehler lässt sich durch einen anderen Fehler ausmerzen."
Es ist schwer, die Angst ganz wegzustecken. Wie soll man mit Unsicherheit und diesem klammen Gefühl umgehen?
Angst ist ein Indikator, wie es im Innersten des Menschen ausschaut. Deshalb soll man Angst zulassen, auf keinen Fall verdrängen. Es steht auch zu viel auf dem Spiel. Die Angst ist berechtigt, die dürfen wir nicht wegdiskutieren oder wegwischen. Dass sie bei vielen da ist, merke ich in meinem täglichen Leben und bei meiner Arbeit ganz deutlich. Aber wir dürfen uns von der Angst auch nicht in Geiselhaft nehmen lassen. Das Leben ist immer ein Wagnis, aber der Glaube sagt uns: Letztlich wird es gut ausgehen.
Glauben Sie, dass Kirchen bzw. traditionell christliche Veranstaltungen in Zukunft besser geschützt werden müssen?
Die Vorstellung, dass gläubige Menschen durch Metalldetektoren die Kirche betreten, erschreckt mich schon ein wenig. Andererseits begleitet mich gerade auch seit dem Mord an einem französischen Priester die Frage, ob man diese Räume des Feierns nicht besser schützen müsste. Keine Festung, das wäre übertrieben, aber die Sorge soll uns schon begleiten in diesen Tagen.
Viele, die mit dem Glauben hadern, fragen sich, warum Gott das alles zulässt.
Man kann sich dieser Frage nur annähern. Ich glaube fest, dass Gott nicht das Zugeständnis für das Böse gibt. Aber die Frage, warum er es nicht verhindert, die kann ich nicht beantworten.
Obwohl der mutmaßliche Täter einen islamistischen Hintergrund hatte, bleibt am Ende stehen: Er war ein Muslim. Wird es das interreligiöse Zusammenleben in Österreich beeinflussen?
Das muss Thema sein und ich glaube, wir müssen diese Frage auch unseren muslimischen Brüdern und Schwestern stellen. Ich glaube, es steht allen religiösen Institutionen gut an, dass sie da, wo der Glaube missbraucht wird, auch bereit sind, in bestimmter Weise Verantwortung zu übernehmen. Keine Religion ist per se terroristisch, das gilt auch für den Islam, aber, um wieder mit Elie Wiesel zu sprechen: Man trägt auch Mitschuld für das, was in meinem Namen geschieht.
Hat der Terror, wie Kardinal Christoph Schönborn es ausgedrückt hat, momentan ein islamisches Gesicht?
Ich würde sagen, er tritt im islamischen Namen auf und insofern kann man das so sagen. Mit dieser Frage sollten sich die offiziellen Vertreter des Islam befassen, denn da ist vieles höchst interpretationsbedürfig und sollte geklärt werden. Wobei ich anfügen muss, dass der Glaube immer Gefahr läuft, instrumentalisiert zu werden, das ist auch uns als Christen schon passiert. Wenn der Glaube missbraucht wird von Einzelnen, dann müssen die offiziellen Vertreter klar sprechen, wie das zu verstehen ist.
Zwei Tage vor Weihnachten sind wir von dieser Terrorgefahr umgeben. Ist das Fest des Friedens nur noch ein frommer Wunsch?
Nein, ich glaube es bleibt ein Fest des Friedens, die Sehnsucht nach diesem Frieden war nie größer. Ich muss in diesen Tagen so oft an den kleinen Buben denken, den sie aus den Trümmern von Aleppo herausgetragen haben, der nicht weint, der nicht schreit, der nur mit großen Augen schaut. Diesem Buben und all den Menschen im Krieg wünsche ich von Herzen Frieden. Ich bitte Gott, dass das sinnlose Morden und Töten aufhören möge, aber auch um Frieden in den Herzen, hier bei uns.
Wie finden wir alle diesen Frieden?
Friede beginnt in den Herzen der Einzelnen. Jeder kann in seiner Umgebung eine Atmosphäre der Zufriedenheit und des Friedens schaffen. Friede braucht aber auch Gerechtigkeit, das ist ein zweiter Punkt. Und schließlich braucht Frieden, das sage ich als Bischof, unser Gebet. Jesus sagt: "Ich gebe euch einen Frieden, den die Welt nicht geben kann."
Gehört auch das Einpacken der Geschenke, das Schmücken des Baums, das gute Essen zum Weihnachtsfrieden?
Ich gehöre den Franziskanern an, die das Leben in aller Buntheit bejahen, und deshalb sage ich: Ja, das gehört unbedingt dazu.
Herr Erzbischof, Sie sind der Sohn eines steirischen Knechtes. Welche Erinnerung taucht auf, wenn Sie an Ihre Kindheit denken?
Ich habe die Armut als Kind sehr tragisch erlebt, aber sehr viel lernen dürfen. Oft habe ich in meiner Kindheit den Blick nach oben gerichtet, in der Sehnsucht, es möge da einen guten Gott für alle Menschen geben. Aus meinem Dorf haben mir Freunde eine Krippe geschenkt, die so aussieht wie mein Heimathaus, eine oststeirische Keusche. Sie steht jetzt das ganze Jahr in meinem Esszimmer.
Sind Sie das Jesukind?
Nein, nein! - Lacht. Wie Papst Franziskus sagt: Ich bin ein Sünder, den Gott angeblickt hat.
Auf vielen Fotos von Ihnen haben Sie so einen suchenden Blick. Hat das eine tiefere Bedeutung?
Ja, ich glaube schon, dass das ein Wesenszug meines Lebens geworden ist, dieses Hinaufschauen in den Himmel, um irgendwo ein offenes Fenster zu entdecken. Ich empfinde das als schön und tröstend. Als Zeichen, dass es eine letzte Gerechtigkeit, eine letzte Instanz gibt.
Zur Person:
Geboren am 14. Juli 1956, aufgewachsen südoststeirischen St. Anna. Erlernter Beruf: Elektriker. Auf Zypern, wo er als UNO-Soldat diente, reift in ihm die Entscheidung, Priester zu werden. 1984 tritt er in den Franziskanerorden ein, 1991 wird er zum Priester geweiht. Nach dem Doktorat an der päpstlichen Universität Antonianium in Rom unterrichtet der Steirer dort Metaphysik, 1999 wird er zum Provinzial der Franziskanerprovinz von Wien berufen. 2002 wird Lackner zum Weihbischof der Diözese Graz-Seckau ernannt und am 8. Dezember 2002 zum Bischof geweiht. Seit 2014 ist er Erzbischof von Salzburg.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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