25.000 Menschen feierten im Zentrum von Innsbruck eine ausgelassene Silvesterparty. Wie konnte es passieren, dass es mitten unter ihnen - völlig unbemerkt - zu einem sexuellen Übergriff nach dem anderen kommt? Die "Krone" sprach mit jenem Kriminalbeamten, der die Ermittlungen zu dieser brisanten Causa leitet. Über die erschütternden Aussagen der Opfer. Über die Motive der Täter. Über die schwierige Suche nach ihnen. Und darüber, dass er seiner 16-jährigen Tochter nie wieder sagen wird, dass sie an belebten Orten am sichersten sei: "Denn dieser Satz hat nun leider keine Gültigkeit mehr."
Ernst Kranebitter ist ein groß gewachsener Mann mit kräftiger Statur und freundlichen grauen Augen. In seinen 38 Jahren als Kriminalbeamter hat er schon viele Abteilungen durchlaufen und oft Schlimmes gesehen. Seit 2014 leitet er bei der Innsbrucker Stadtpolizei eine Ermittler-Gruppe. Raub, Körperverletzung, Sexualdelikte - damit sind er und seine elf Kollegen, darunter fünf Frauen, befasst. Klar also, dass er und sein Team nun auch die Erhebungen zu den Vorkommnissen in der Silvesternacht führen.
Jetzt sitzt Kranebitter in seinem Büro in der Kaiserjägerstraße. Auf dem Schreibtisch vor ihm liegen dicke Ordner mit Vernehmungsprotokollen. Erschütternde Aussagen sind darin gesammelt, von 18 Frauen, die vom 31. Dezember 2016, 23.30 Uhr, bis zum 1. Jänner 2017, 1.30 Uhr, Opfer einer Gewaltaktion geworden sind. An einem Ort, der eigentlich sicher schien. Mitten am Marktplatz, im Zentrum der schönen Stadt, wo 25.000 Menschen mit Musik und Feuerwerk den Jahreswechsel feierten. Aber "mittendrin" konnte es geschehen ...
Die kriminelle Bande hatte ein leichtes Spiel. Umkreiste die Opfer, tanzte um sie herum, trennte sie von ihren Cliquen. Die Männer kamen näher, bildeten mit ihren Körpern einen Wall gegen die Außenwelt und begannen dann ihr grauenhaftes Werk. Betatschten die Frauen an den Geschlechtsteilen, zerrissen ihr Gewand, versuchten sie zu küssen. Ohne dabei ein Wort zu sprechen.
"Bei manchen wird ein Trauma zurückbleiben"
Die meisten der Opfer sind zwischen 17 und 24, eines 41, eines 50. Vier stammen aus Südtirol, eines aus der Schweiz, eines aus Vorarlberg, zwei aus Innsbruck und Umgebung. Ihr Zustand? "Einige von ihnen haben bei den Befragungen bitterlich geweint, alle wirkten schwer geschockt", sagt Kranebitter - und, dass "bei manchen wahrscheinlich ein Trauma zurückbleiben wird". Die Polizisten haben daher den Betroffenen Gespräche mit Psychologen nahegelegt: "Um das Geschehene besser verarbeiten zu können."
Ein sexueller Übergriff sei "nicht so einfach wegzustecken", weiß der Chefinspektor aus seiner beruflichen Praxis. Das Grundvertrauen eines Menschen wird dadurch aufs Tiefste erschüttert."
Verdächtiger "erst seit vier Monaten in Österreich"
Was ist über die Täter bekannt? Fünf bis sechs sollen es gewesen sein, keiner von ihnen über 30. Südländische Typen, unauffällig gekleidet - in dunkle Anoraks und Hosen; einem Mann fehlte ein Schneidezahn, ein anderer hatte das Haar weiß gefärbt.
"Drei der Opfer machten mit ihren Handys Fotos von ihren Peinigern. Aber die Bilder sind leider sehr verschwommen", so Kranebitter. Eine der Frauen sprach vor dem Übergriff an ihr mit einem Bekannten der Männer. "Er erzählte, er wäre erst seit vier Monaten in Österreich", erinnert sie sich, und: "Er war plötzlich verschwunden, als seine Freunde auf mich losgingen."
Taten waren geplant
Die Kripo geht davon aus, dass die Taten der Silvesternacht nicht spontan passiert sind. "Wir glauben, dass die Täter die Übergriffe von langer Hand geplant haben. Nach dem grauenhaften Beispiel Köln", so Kranebitter. Die Identität der Täter? Bis heute unbekannt. Offen ist zudem, ob sie überhaupt in Tirol leben. Möglicherweise sind sie aus einem anderen Bundesland angereist - einzig mit dem Ziel, durch ihre Taten die Gesellschaft in ihren Grundfesten zu erschüttern.
"Ich habe eine 16-jährige Tochter", sagt Kranebitter. Von klein an erkläre ich ihr: 'Dort, wo viele Menschen sind, kann dir nichts Böses passieren.' Diesen Satz werde ich nie wieder zu ihr sagen. Denn er hat mittlerweile keine Gültigkeit mehr."
Martina Prewein und Samuel Thurner, Kronen Zeitung
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