Bildung "reinigen"

Türkei: Evolutionstheorie fliegt aus Schulbüchern

Ausland
24.01.2017 09:26

Während in der Türkei die Vorbereitungen auf ein Referendum über die Errichtung eines Präsidialystems laufen, treibt die regierende islamisch-konservative AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan auch die kulturelle Umgestaltung des Landes voran. Das Bildungsministerium hat nun angekündigt, dass die Evolutionstheorie von Charles Darwin aus den Schulbüchern gestrichen wird. Statt ihr soll dort demnächst das Ersatzkapitel mit dem Titel "Lebewesen und die Umwelt" zu finden sein.

Zwar handelt es sich offiziell noch um einen Vorschlag, doch geht es nach dem Willen des Bildungsministeriums, soll das Maßnahmenpaket bereits im Februar in Kraft treten. Damit würde dann umgesetzt werden, was Säkularisten in der Türkei schon seit langer Zeit befürchten: Die AKP-Regierung stärkt Schritt für Schritt die religiösen Inhalte in Bildungsanstalten, indem sie etwa den Kreationismus unterstützt. Dieser lehnt die Evolutionstheorie ab und geht davon aus, dass alle Arten von Gott erschaffen wurden.

Staatspräsident Erdogan mit seiner Frau Emine (Bild: AFP)
Staatspräsident Erdogan mit seiner Frau Emine

Bildungssystem soll "gereinigt" werden
"Die Beseitigung der Evolutionstheorie aus den türkischen Schulen scheint die jüngste Runde im jahrhundertealten Kulturkrieg zu sein", kommentierte der regierungskritische Journalist Mustafa Akyol im Internetmagazin "Al-Monitor" den jüngsten Vorstoß. "Ein türkischer Highschool-Absolvent wird nichts über eine der wichtigsten wissenschaftlichen Theorien lernen." Mit solch einem Vorgehen wollten die religiös Konservativen das Bildungssystem "reinigen", so Akyol.

Darwin am Cover einer Zeitschrift: Herausgeberin entlassen
Um die Evolutionstheorie gibt es in der Türkei immer wieder Ärger. 2009 etwa war auf Anordnung des staatlichen Wissenschaftsrates sogar die Veröffentlichung eines Artikels über Darwin in der Fachzeitschrift "Bilim ve Teknik" (Wissenschaft und Technik) gestoppt worden. Die Herausgeberin wurde entlassen, nachdem sie das Titelblatt der März-Ausgabe der damals vor 150 Jahren veröffentlichten Evolutionstheorie Darwins gewidmet hatte.

Das umstrittene Cover mit Darwin (links) musste durch ein anderes (rechts) ersetzt werden. (Bild: AFP)
Das umstrittene Cover mit Darwin (links) musste durch ein anderes (rechts) ersetzt werden.

Die Türkei ist das einzige muslimische Land der Welt, das ein laizistisches Selbstverständnis hat. Laut Verfassung dürfen "heilige religiöse Gefühle" nicht "mit den Angelegenheiten und der Politik des Staates" vermischt werden. Ein Grundsatz, an den sich eigentlich auch der offen religiöse Staatspräsident Erdogan zu halten hat. Tatsächlich aber hält er sich oft nicht an diese Vorgabe. So hielt er bei Wahlkämpfen gelegentlich einen Koran in der Hand, was in der Türkei als Tabubruch gilt.

Re-Islamisierung der Türkei unter Erdogan
Tatsächlich erlebt die Türkei seit Erdogans Amtsantritt 2003 als Regierungschef eine Re-Islamisierung. So wurde etwa das Kopftuchverbot in staatlichen Einrichtungen weitgehend gelockert. Die Möglichkeiten des Alkoholkonsums an öffentlichen Orten wurden eingeschränkt, auch bei Gewinnspielen darf kein Alkohol mehr als Preis ausgelobt werden. 2014 forderte Erdogan gar, türkische Schüler sollten Osmanisch lernen, die Vorgängersprache des modernen Türkisch - ohne lateinische Buchstaben. Politiker der kemalistischen Oppositionspartei CHP und der prokurdischen HDP warnen regelmäßig vor einer "religiösen Diktatur" durch die AKP.

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