Seit mehr als 20 Jahren sind die Dropkick Murphys Aushängeschilder im folkig angehauchten Punkrock-Bereich. Mittlerweile sind Al Barr, Ken Casey und Co. aber nicht nur in ihrer Heimat, sondern auch in Europa Garanten für vollgestopfte Konzerthallen. Angesichts des Wien-Auftritts im Gasometer und des neuen Albums "11 Short Stories Of Pain & Glory" baten wir Sänger Al Barr zum Gespräch - und wurden von einer impulsiv vorgetragenen Politlawine überrollt.
Die Dropkick Murphys und Österreich verbindet eine besonders starke Liebe. Jahr für Jahr ist das Bostoner Folk-Punkrock-Kollektiv bei Festivals oder in der Bundeshauptstadt zu Gast und darf sich stets über "Sold Out"-Benachrichtigungen, exaltierte Stimmung und grölende Fans freuen. Spätestens mit ihrem internationalen Durchbruchsalbum "The Warrior's Code" 2005 - der Song "I'm Shipping Up To Boston" wurde in Scorseses Welterfolg "The Departed" eingesetzt und machte die Band schlagartig global bekannt - sind sie Dauergäste in den heimischen Charts. Mit dem aktuellen Album "11 Short Stories Of Pain & Glory" landeten die Murphys gar auf Platz 4, die Popularität steigt unaufhörlich an.
Ausgeglichene Themenauswahl
Vor dem restlos ausverkauften Europa-Tourauftakt im Wiener Gasometer trafen wir Frontmann und Sänger Al Barr zum Interview. Dieser hat zu Österreich ein besonderes Verhältnis, denn seine Eltern lebten 20 Jahre lang in Wien und durch seine deutsche Mutter beherrscht er die Sprache seit seinem dritten Lebensjahr: "Es erleichtert die Kommunikation bei euren Konzerten erheblich". Musik ist aber ohnehin eine universelle Sprache und "11 Short Stories Of Pain & Glory" bedarf prinzipiell keiner genaueren Erläuterung. Die Dropkick Murphys haben nicht nur eines ihrer persönlichsten Alben geschrieben, sondern - Nomen est Omen - schöne und weniger schöne Themen gegenübergestellt.
Barr hat auch wenig Lust über den Songwritingprozess, einzelne Textpassagen oder die Entstehungsgeschichte der Instrumentierung zu reden, sondern geht lieber in medias res. "Der thematisch kleinste gemeinsame Nenner auf dem Album ist die Opiat-Krise, die in den USA herrscht. Allein letztes Jahr sind nachweislich 53.000 Menschen bei uns an einer Drogen-Überdosis gestorben. Ich wohne in New Hampshire, der mit etwas mehr als 1,3 Millionen Einwohnern einer der kleinsten Bundesstaaten ist, prozentuell aber die höchste Anzahl an Drogentoten aufweist. Die Medien verschweigen diese Thematik aber flächendeckend, weil sie mitunter von pharmazeutischen Konzernen regiert werden." Die Wut, die Barr im Gespräch transformiert, resultiert aus persönlichen Erfahrungen. Bandgründer und Sänger/Bassist Ken Casey war innerhalb der letzten zwei Jahre auf etwa 50 Begräbnissen, die durch Drogen verursacht wurden. "Außerdem starb mein Stiefbruder daran", führt Barr aus, "aber worüber reden wir? Ist Kanye West okay? Wie geht es Kim Kardashian? Wie konnte es nur so weit kommen?"
Vom Pöbel zum Aushängeschild
Ein soziales Gewissen hat die Band schon seit Anbeginn. 2009 gründete Casey stellvertretend für die Band den Claddagh Fund, eine Sozialeinrichtung, die neben Opiatabhängigen auch Kriegsveteranen, sowie missbrauchte Frauen und Kinder unterstützt. "Wir sind nun einmal eine Punkband und kennen die Zeit von früher. Wir haben lange vor zehn grölenden Säufern auf bepissten Pub-Böden gespielt und nicht immer vor mehr als 3.000 Leuten wie jetzt in Wien. Natürlich können wir heute unsere Mieten bezahlen, aber wir würden niemals unsere Wurzeln leugnen." In ihren "Sturm und Drang"-Zeiten waren die Dropkick Murphys für die Politelite ein rotes Tuch, mittlerweile gehören sie zu den prunkvollsten Aushängeschildern der Stadt. Sie fördern lokale Sportteams, spielten bei der alljährlichen St. Patricks Day-Parade und haben nach den verheerenden Attentaten beim Boston Marathon Opfer im Krankenhaus besucht und die Erlebnisse nun im Song "4-15-13" verarbeitet.
Just während des Interviews fand in etwas mehr als 7.000 Kilometer Entfernung die Inauguration von Donald Trump zum 45. Präsident der Vereinigten Staaten statt. Ein Tag, der auch am politisch interessierten Sänger nicht spurlos vorüber ging. "Es liegt wohl daran, dass ich hier im Gespräch mit dir so viel Wut im Bauch habe. Aber versteh mich nicht falsch. Ich finde Hillary Clinton noch schlimmer als Trump. Bei Trump weißt du wenigstens wie du dran bist, Hillary ist aber das wahre Böse, weil sie zwei Gesichter hat. Sie verwendet Gelder aus Saudi-Arabien, um die Homosexuellen- und Gleichberechtigungsrechte zu fördern. Spürst du da den Widerspruch?" Dass Trump das Ansehen der USA keinesfalls verbessern wird, davon ist Barr trotz allem überzeugt. "Trump poltert einfach nur drauflos. Er unterscheidet nicht von legal und illegal. Er geht immer den direkten Weg und verunglimpft alle."
Legal vs. illegal
Besonders große Sorgen macht den 48-Jährigen das grassierende Rassenproblem. "Es ist nirgends auf der Welt so schlimm wie bei uns in Amerika. Biohazard haben einmal einen Song darüber geschrieben und 30 Jahre später hat sich noch immer nichts geändert. Warum will Trump alle illegalen Mexikaner aus dem Land haben? Wer macht denn dann die Scheißjobs in den südlichen Staaten? Kein Einheimischer wird für acht Dollar die Stunde zwölf Stunden am Tag Obst von den Bäumen pflücken." Für Barr wäre der liberale Sozialist Bernie Sanders die ideale Lösung gewesen - dieser scheiterte im Präsidentschaftswahlkampf bei den demokratischen Vorwahlen an Hillary Clinton.
"Sogar die Rechten haben Sanders gemocht. Mit Ausnahme der Tatsache, dass er ein Sozialist ist. Ich habe die Menschen dann aber immer in Diskussionen verstrickt und sie Sachen gefragt. Etwa wo ihr Müll landet, ob ihre Kinder auf eine öffentliche Schule gehen, oder ob sie gerne auf Autobahnen fahren, um schneller ans Ziel zu kommen. Das sind alles Errungenschaften des amerikanischen Sozialismus." Für die Spaltung des Landes hat Barr wenig übrig, vielmehr macht er sich Sorgen um seine Kinder und die Zukunft seiner Heimat. "Ich bin ein frei denkender Mensch - weder ein linker, noch ein rechter. Ich bin auch kein Pazifist, sondern glaube an Gewalt. An Gewalt für die Gerechtigkeit. Wenn so ein fetter Ölbastard kommen und mir meine Kinder für einen Krieg entziehen will, dann mag ihm das vielleicht gelingen, aber ich nehme ihn garantiert mit in die Hölle."
Lebensziel Erziehung
Doch auch wenn Barr am Inaugurationstag gerne austeilt, vergisst er nicht auf die guten Seiten des Albums - zum Beispiel im Track "First Class Loser". "Den Song hat Ken für einen seiner besten Freunde geschrieben", lacht Barr, "anfangs schickte er ihm die Nummer ohne Titel und der Typ freute sich über diese Ehre. Als er dann den Text hörte, schimpfte er Ken schnell ein Arschloch. Das ist nun einmal unsere Form des Humors." Damit Gut und Böse sich die Waage halten können, dafür ist die Welt für die Dropkick Murphys derzeit nicht ausgeglichen genug. Für Barr zählt nur eines: "Ich will das Beste aus meiner Zeit auf dieser Welt machen und die Leute mit schönen Gedanken an mich zurücklassen. Meine Kinder sollen so gut erzogen werden, dass sie einmal gute Menschen werden. Mehr will ich gar nicht erreichen." Und Musik macht die Welt bekanntlich immer ein Stück besser.
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