Kafka in Echtzeit

“Heilig Abend”: Neuer Kehlmann in der Josefstadt

Adabei
02.02.2017 22:47

Respekt vor einem renommierten Erzähler, der sich mit Leidenschaft und nicht ohne Fortüne in die dramatische Kunst einbringt: Daniel Kehlmanns "Heilig Abend" wurde am Donnerstag in der Josefstadt uraufgeführt. Das etwas überambitionierte Stück gewinnt durch die starke Umsetzung.

24. Dezember, 90 Minuten vor Mitternacht. Auf den Polizisten Thomas wartet trotz der vorgerückten Stunde noch Arbeit: Soeben wurde die Philosophieprofessorin Judith aus dem Taxi geholt, weil sich auf ihrem Computer das Bekennerschreiben für einen auf null Uhr terminisierten Terror-Anschlag fand. Bloß eine Arbeitsunterlage für das Seminar, sagt sie. Aber wie konnte die Behörde auf ihre Festplatte zugreifen? Und wie kann es sein, dass sie jetzt quasi nackt vor dem Verhörenden steht, weil er ihre Lebensumstände von der Kindheit bis zu jüngst absolvierten sexuellen Aktivitäten en detail kennt?

Kehlmanns Zweipersonenmanifest gegen den Überwachungsstaat ist klug ins Kafkaeske überhöht, womit es vor Banalität bewahrt bleibt. Der Plot ist spannend und der Dialog geschliffen, ohne den genialen Schwung Kehlmann'scher Prosa nehmen zu können. Thematisch wirkt das Ganze eine Spur überambitioniert, denn die Akteure arbeiten im Echtzeit-Dialog ein umfängliches Sortiment an Gesellschaftstheorie und Leid der Welt ab.

Herbert Föttinger bewährt sich als glänzender Regisseur. Die Ereignisse sind in einen klaustrophobischen Glaskasten verlegt, Mikrofone verfremden den spannenden, sich ständig verdichtenden Dialog, der von Bernhard Schir und Maria Köstlinger auf exzellente Höhe gespielt wird. Ein begrüßenswertes Bekenntnis zu Zeiten, da sich das Theater mit dramatisierten Romanen pervertiert.

Heinz Sichrovsky, Kronen Zeitung

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(Bild: kmm)



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