Nach Brexit
Juncker fürchtet Auseinanderbrechen der EU
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fürchtet ein Auseinanderbrechen der EU. Er habe Zweifel, ob die Mitgliedsstaaten angesichts des Brexit eine Geschlossenheit finden würden, sagte Juncker in einem am Samstag vorab veröffentlichten Interview. "Die Briten, die werden es schaffen, ohne große Anstrengung die anderen 27 Mitgliedsstaaten auseinanderzudividieren", sagte Juncker, der zudem eine weitere Amtszeit an der Spitze der Brüsseler Behörde ausschließt. Er werde "nicht noch einmal antreten".
"Die Briten wissen schon sehr genau, wie sie das in Angriff nehmen können", sagte er im Deutschlandfunk mit Blick auf die Spaltung des Staatenbundes. "Man verspricht dem Land A dieses und man verspricht dem Land B jenes und man verspricht dem Land C etwas anderes." Dabei sei jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem die EU sich vor dem Hintergrund des Brexit und der Wahl von US-Präsident Donald Trump eigentlich einig zeigen müsste. "Ob dem aber so sein wird, da habe ich einige begründete Zweifel."
US-Politik als große Chance für EU
In der Haltung der US-Regierung, mit Handelshemmnissen die eigene Wirtschaft zu schützen, sieht Juncker indes eine große Chance für die EU. "Wenn die Amerikaner sich aus internationalen, globalen Handelsverflechtungen zurückziehen, dann entsteht ein offener Raum." Er habe viele Staats- und Regierungschefs empfangen, die nun Interesse an weitreichenden und ambitiöseren Handelsverträgen mit der EU hätten. "Diese Chance sollten wir nutzen." Dabei sollte es den Briten nicht erlaubt werden, so zu tun, als ob sie jetzt schon eigenmächtig Handelsverträge mit anderen abschließen könnten. "Solange Großbritannien Mitglied der Europäischen Union ist, liegt die Außenhandelspolitik im Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union - und ergo der Kommission."
Aufruf zum Kampf gegen EU-Gegner
Juncker bekräftigte, keine zweite Amtszeit anzustreben: "Ich werde nicht noch einmal antreten." Er rief zudem zum Kampf gegen die Gegner der EU auf: "Man muss sich diesen Europavereinfachern resolut in den Weg stellen und nicht den Populisten nachlaufen." Wer dies doch tue, werde irgendwann selbst zum Populisten.
Der Luxemburger hatte sein Amt im November 2014 angetreten, die Amtszeit des EU-Kommissionspräsidenten dauert fünf Jahre. Mit Blick auf den damaligen Wahlkampf sagte Juncker, er habe sich "dann auch wieder neu in Europa verliebt, weil ich dann diesen Farbenreichtum der Europäischen Union wiederentdeckt habe". Damals habe er aber auch gemerkt, "dass es an dem Grundeinverständnis fehlt über die Dinge, die in Europa zu leisten sind". Einige Länder hätten gerne mehr Europa, "andere finden, dass wir schon zu viel Europa haben".
Der langjährige Luxemburger Regierungschef und Finanzminister gilt als einer der erfahrensten Europapolitiker. Von 2005 bis 2013 war er Vorsitzender der Eurogruppe. In dieser Funktion hatte er maßgeblich die milliardenschweren Hilfspakete für das vom Bankrott bedrohte Griechenland mit ausgehandelt.
Am Montag wird Juncker Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Christian Kern zu einem Arbeitsgespräch treffen. Bei diesem und weiteren Treffen Van der Bellens in Brüssel, etwa mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, werde vordringlich die "aktuelle Situation in der EU" besprochen werden, verlautete im Vorfeld aus der Präsidentschaftskanzlei.
EU fürchtet weiteren Aufstieg von Rechtspopulisten
Der Wahlsieg des unabhängigen Kandidaten mit grünen Wurzeln gegen den FPÖ-Kontrahenten Norbert Hofer war aus Sicht der EU-Spitzen bedeutsam. In Brüssel wird nach dem Brexit-Votum der Briten und dem Erfolg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen ein weiterer Aufstieg von Rechtspopulisten und Europagegnern befürchtet.
Juncker hatte in Hinblick auf die FPÖ vor der österreichischen Bundespräsidentenwahl kein Hehl daraus gemacht, "dass ich sie nicht mag". In einem Interview hatte er erklärt: "Mit den Rechtspopulisten ist weder eine Debatte noch ein Dialog möglich."
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