Schicksalsreferendum
Erdogan setzt seinen Willen ganz knapp durch
Die Türkei hat am Sonntag über das neue Präsidialsystem von Präsident Recep Tayyip Erdogan abgestimmt, wobei sich der Machthaber ganz knapp durchgesetzt hat. Laut Auszählung von rund 99 Prozent der Stimmen stimmten etwas mehr als 51 Prozent für "Ja". Ministerpräsident Binali Yildirim erklärte am späten Abend das "Ja"-Lager zum Sieger: "Das Präsidialsystem ist nach nicht-offiziellen Ergebnissen bestätigt worden." Auch die Wahlkommission bestätigte dieses Ergebnis. Mit dem Ausgang des Referendums hat die Türkei nun wohl auch endgültig die Tür zur Europäischen Union zugeschlagen.
Erdogan reagierte in einer ersten Stellungnahme hocherfreut: "Mit dem Volk haben wir die wichtigste Reform in unserer Geschichte realisiert", sagte er am Sonntagabend in seiner Residenz in Istanbul. Er rief das Ausland auf, das Ergebnis des Referendums zu respektieren. Der türkische Machthaber erklärte, das "Ja"-Lager sei mit 25 Millionen Stimmen um 1,3 Millionen vor der "Nein"-Fraktion gelegen. Das Referendum habe nun die Tür für die lange Geschichte militärischer Interventionen in der Türkei geschlossen.
"Zum ersten Mal hat die Türkei in ihrer Geschichte mit dem Willen des Parlaments und ihres Volkes eine so wichtige Veränderung beschlossen. Wir haben erstmals das herrschende System durch zivile Politik geändert, das ist sehr bedeutend", sagte der Präsident.
Opposition kündigt Anfechtung an
Die beiden größten Oppositionsparteien der Türkei sprachen in einer ersten Reaktion von einer Manipulation des Referendums und kündigten eine Anfechtung des Ergebnisses an. Die prokurdische HDP erklärte am Sonntagabend auf Twitter, sie werde eine Neuauszählung von zwei Dritteln der Urnen verlangen. Es gebe Hinweise auf eine "Manipulation der Abstimmung in Höhe von drei bis vier Prozentpunkten".
Der Vizechef der Oppositionspartei CHP, Bülent Tezcan, warf im Sender CNN-Türk der Hohen Wahlkommission (YSK) vor, gegen die Regeln verstoßen zu haben, indem sie nicht offiziell zugelassene Stimmzettel als gültig akzeptierte. Ein anderer CHP-Vize, Erdal Aksunger, sagte, die Partei erwäge, bis zu 60 Prozent der Stimmzettel anzufechten.
Metropolen stimmten mit "Nein", Land für "Ja"
Das Votum für "Ja" fiel äußerst knapp aus und wurde in den ländlichen Regionen errungen. In den wichtigsten Metropolen Istanbul und Ankara überwogen die Stimmen für "Nein" mit jeweils knapp 51 Prozent, in der westtürkischen Großstadt Izmir stimmten gar fast 69 Prozent gegen die Reform, wie CNN Türk berichtete. Auch in den südöstlichen Kurdengebieten lag das "Nein"-Lager deutlich vorne. So stimmen etwa in der Kurdenmetropole Diyarbakir rund 67 Prozent mit "Nein". In Zentralanatolien überwog dagegen das "Ja", während in den westlichen und südwestlichen Provinzen eine Mehrheit mit "Nein" stimmte.
58,2 Millionen waren wahlberechtigt
In dem historischen Referendum haben die Türken über die Einführung des von Staatschef Erdogan angestrebten Präsidialsystems entschieden. 55,3 Millionen Wahlberechtigte waren in der Türkei zur Teilnahme an der Volksabstimmung aufgerufen, im Ausland waren zusätzlich 2,9 Millionen Türken zur Wahl zugelassen.
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