Experten warnen davor, dass viele bakterielle Infektionen wieder unbehandelbar werden. Die Zahl wirksamer Arzneien nimmt ständig ab, weil die Keime diese geschickt austricksen. Schon ein entzündeter Schnitt im Finger könnte bald wieder lebensgefährlich werden.
"Resistenzen sind unvermeidlich. Über kurz oder lang werden Bakterien gegen jedes Antibiotikum unempfindlich. Das einzige, was wir beeinflussen können, ist die Geschwindigkeit, mit der das passiert", erklärt Univ.-Prof. Mag. Dr. Michael Wagner, Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien. Je sparsamer und sinnvoller diese wertvollen Arzneien eingesetzt werden, desto länger bleibt Zeit, neue zu entwickeln. Doch leider tickt die Uhr inzwischen bedrohlich. Bakterien reagieren schnell und tricksen die Wirkstoffe mit ihrer hohen Anpassungsfähigkeit aus. Die Herstellung neuer Medikamente ist ein ständiger Wettlauf gegen die wandlungsfähigen Erreger. Ein Blick zurück: 1928 entdeckte Alexander Fleming in einem Schimmelpilz Penicillin, das schließlich als erstes Antibiotikum den Siegeszug gegen gefährliche bakterielle Infektionen antrat. Weitere Wirkstoffe folgten. Dank der "Wunderpillen" galten viele Infektions- Krankheiten als ein für allemal besiegt. Ein Trugschluss, denn vor allem seit den 2000er-Jahren nehmen Resistenzen zu. Wo die Gefahren lauern:
Einige der Strategien von Bakterien, gegen die auf Dauer "kein Kraut gewachsen" ist:
Nichts leichter für die Mikroorganismen als diese Bindestellen zu verändern, und schon passt der "Schlüssel" nicht mehr ins "Schloss" - um es bildlich darzustellen.
Resistenz werden weitergegeben
Besonders tückisch: Die Erreger geben die Resistenz-Gene nicht nur an ihre Nachfahren weiter, sondern auch an andere, nicht mit ihnen verwandten Bakterien. "Die Mehrzahl der Antibiotika wird vom Hausarzt verordnet, obwohl dies oft nicht notwendig bzw. bei viralen Erkrankungen sinnlos ist. Es wird geschätzt, dass bis zu 30 Prozent der Verschreibungen unnötig sind", beklagt Prof. Wagner. Die Gründe: Patienten fordern die Medikamente oft sogar ein, Ärzte wiederum wollen sich absichern und verordnen mitunter "vorsorglich". Häufig kommen an Stelle einer Bestimmung der Erreger und der Auswahl spezifischer Antibiotika Breitbandmedikamente (töten bzw. hemmen viele verschiedene Keime) zum Einsatz, die dann nach Resistenzverbreitung für die schnelle Behandlung schwerer Infekte fehlen. Abgesehen davon verursacht übertriebener Einsatz dieser Medikamente einen Kahlschlag unter den Milliarden "guten" Bakterien im Organismus, die viele wichtige Funktionen ausüben, vor allem im Verdauungstrakt. Die Darmflora, die für jeden Menschen typisch wie ein Fingerabdruck ist, kann sich massiv verändern. Der Appell an Patienten: Antibiotika nicht erwarten oder gar einfordern, sondern kritisch hinterfragen, ob diese wirklich notwendig sind. Schnelltests für Arztpraxen, die es bereits gibt, sind hier hilfreich. Dabei wird das sogenannte C-reaktive Protein gemessen, das Hinweise liefert, ob überhaupt Bakterien die Ursache einer Infektion sind.
Billiges Fleisch - mehr Antibiotika
"Weltweit werden viel zu viele dieser Medikamente in der industriellen Massentierhaltung eingesetzt, um die eigentlich ungeeigneten Haltungsbedingungen zu kaschieren", wie es Prof. Wagner ausdrückt. "Jedes dieser Schweine hat mehrere Antibiotika-Behandlungen hinter sich, bevor es auf dem Teller landet. Ein krankes Tier bedeutet oft, dass alle anderen, und das können Hunderte sein, behandelt werden." Was dem Mikrobiologen besonders sauer aufstößt: "In der Tiermast gibt es Mengenrabatte für Antibiotika! Solche und andere Anreize sollten abgeschafft werden." Über Abluft, Gülle, Abwasser und das Fleisch kommen Resistenzgene der Bakterien in die Umwelt und können so wiederum in Krankheitserreger, die unseren Körper infizieren, gelangen. Prof. Wagner rät, Fleisch aus Biobetrieben zu bevorzugen, die deutlich weniger Antibiotika anwenden. "Viele Menschen wollen jedoch das Fleisch so billig wie möglich - und die Gesellschaft bezahlt damit langfristig bei der Gesundheit einen hohen Preis."
Zehn Jahre für ein neues Medikament
Die WHO hat nun eine Liste der zwölf für den Menschen gefährlichsten und gegen viele Antibiotika bereits resistenten Erreger veröffentlicht*. Univ.-Prof. Dr. Ojan Assadian von der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene betont, dass neben der Verhinderung von Infektionen neue Therapien ebenso wichtig sind. "Die Entwicklung von Medikamenten müsste vom Staat gefördert werden. Etwa mit Steuern auf Antibiotikaeinsatz in der Tiermast", schlägt Prof. Wagner vor, "weil Antibiotika in der Regel beim Menschen nur kurz anzuwendende Mittel und daher für Pharmaunternehmen nicht besonders lukrativ sind. Es dauert nämlich häufig zwischen zehn und 15 Jahre, bis ein neuer Wirkstoff zur Marktreife gelangt." Das Potenzial ist groß: Noch Millionen unerforschter Mikroorganismen halten natürliche "Antibiotika" bereit. So wie einst der Schimmelpilz.
*Weitere Informationen zu resistenten Erregern:
http://www.who.int/mediacentre/news/releases/2017/bacteria-antibiotics-needed/en/
Eva Rohrer, Kronen Zeitung
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