"Erst zieht man sie groß, dann werden sie frech", hört man manchmal zum Thema Kindererziehung. Im VW-Konzern passiert derzeit genau das: Das ehemalige Sorgenkind Seat schrieb 2016 zum ersten Mal seit acht Jahren Gewinn und geht direkt in Führung. Am 12. Juni bringen die Spanier den neuen Ibiza auf den Markt - als ersten Kleinwagen auf Basis der MQB-Architektur. Der VW Polo folgt erst in der zweiten Jahreshälfte.
Bei so viel Zug zum Tor macht man in Wolfsburg große Augen, denn der kleine Iberer legt die Latte hoch, von der Technik übers Design bis zum Platzangebot. Stolz kündigt Seat-Chef Luca de Meo folgerichtig an: "Wir wollen Champions League spielen!" Zu Deutsch: den Polo schlagen.
Dank 9,5 cm mehr Radstand (jetzt 2,56 m) und fast 9 cm mehr Breite erleben die Insassen ein Raumgefühl, das die Klassengrenzen sprengt. Hünen reisen hinter Hünen bequem, dank geraderer Dachlinie passt nun auch die Kopffreiheit und 355 Liter Kofferraumvolumen (63 Liter mehr als bisher) sind Spitze. Trotz des Wachstums braucht man keine größeren Parkplätze als früher, da die Fahrzeuglänge fast gleich geblieben ist (4,06 m).
Vier Ausstattungslinien werden angeboten. XCellence markiert die komfortable, FR die sportliche Speerspitze, beide serienmäßig mit Voll-LEDs. Schon das Einstiegsmodell Reference hat das Wichtigste an Bord, von der Klimaanlage bis zum Bluetooth-Radio.
Da geht die Post ab
Dem FR eigen ist das um 15 mm tiefergelegte (optional regelbare) Sportfahrwerk, das den kleinen Spanier bei Testfahrten im Kurvenreich nahe Barcelona zum Freudenspender machte. Präzise fräst er die Winkel ab, besonders im Sportmodus vermittelt die knackigen Lenkung hervorragend zwischen Fahrer und Straße. Mit dem Standard-Fahrwerk ist der Ibiza deutlich komfortabler, aber nicht zu weich. Beide Versionen arbeiten geschmeidig, lediglich kurze, harte Stöße werden nur mäßig gefiltert. Aber das können die anderen auch nicht besser.
Der stärkste Dreizylinder-Benziner im Angebot leistet 115 PS und geriert sich ebenso drehmomentstark wie drehfreudig. In 9,3 Sekunden beschleunigt er den ohne Fahrer 1065 kg leichten Kleinwagen auf 100 km/h und hängt praktisch ohne merkliche Turboverzögerung wunderbar am Gas. Sogar Drehzahlen unter 1000/min. (kommt wegen der langen Übersetzung durchaus vor) kosten ihn nur ein sonores Brummen. Grundsätzlich fällt über weite Strecken seine akustische Unauffälligkeit auf. Lediglich die Hupe irritiert mit ihrem müden Quäken das Ohr.
Auch in Sachen Innenausstattung steigt der Ibiza in eine höhere Spielklasse auf. Das völlig neu gestaltete Interieur wirkt klar und aufgeräumt, die Materialien hochwertiger als früher. Über das integrierte zentrale 8-Zoll-Touch-Display (Serie: 5 Zoll) spielt das Infotainment alle Connectivity-Stückln: Apple Car Play, Android Auto und Mirror Link, auch induktives Laden ist möglich. Es ist das Gros der konzerneigenen Assistenzsysteme erhältlich (bis hin zum Radartempomaten), die Fußgänger erkennende City-Notbremse ist sogar serienmäßig. Beifahrer-Haltegriffe gab es schon bisher nicht.
Keine Karosserievarianten
Der Dreitürer wird ersatzlos gestrichen, auch einen Kombi wird es nicht geben. Stattdessen wird noch dieses Jahr ein SUV-Ableger namens Arona vorgestellt. Der kleine Bruder des Seat Ateca soll nicht nur SUV-Fans erreichen, sondern auch Menschen mit größerem Raumbedarf.
Das Motorenangebot umfasst im schon laufenden Vorverkauf ausschließlich Dreizylinder-Benziner mit 75, 95 oder 115 PS, weitere Motoren, vom 150-PS-Benziner über Diesel bis zur Erdgas-Variante kommen später, als wahrscheinlich gilt auch der besonders sportliche "Cupra". Der bekommt dann statt der Auspuff-Attrappen des FR echte Endrohre und einen klaren Auftrag: Jagd auf den Polo GTI.
Unterm Strich
Der neue Seat Ibiza macht nicht nur fast keine Fehler, ohne ins Langweilige abzudriften, er macht auch alles richtig gut. Mit klarem, interessantem Design, modernsten Ausstattungsmöglichkeiten, herausragendem Platzangebot und sehr guten Fahreigenschaften macht er nicht nur dem künftigen VW Polo das Leben schwer, er ist auch noch in Österreich 1500 Euro günstiger als in Deutschland: 12.990 Euro, und das bei fünf statt zwei Jahren Garantie. Das heiß also: 1:0 für Spanien - und zugleich für Österreich!
Warum?
Warum nicht?
Oder vielleicht ...
Ford Fiesta, Hyundai i20, VW Polo
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