Über Mittelmeerroute
Neue Flüchtlingswellen: Die nächste Krise kommt
Die Zahl der über die gefährliche Mittelmeerroute in Italien ankommenden Flüchtlinge ist seit Jahresbeginn deutlich gestiegen. Laut der Internationalen Organisation für Migration erreichten bis 23. April 36.851 Migranten Europa. Nach den massiven Flüchtlingsankünften der vergangenen Wochen sind alle Flüchtlingseinrichtungen in Italien heillos überfüllt und müssen aufgestockt werden. Die Regierung in Rom ist alarmiert, denn nach wie vor warten im Bürgerkriegsland Libyen bis zu eine Million Menschen.
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) forderte angesichts der dramatischen Situation erst kürzlich wieder die Schließung der Mittelmeerroute. Während seines Besuchs in Libyen bezeichnete Kurz die politische Situation in dem nordafrikanischen Land als "nach wie vor extrem schlecht". Libyen ist ein zentrales Land in der Flüchtlingskrise und Haupttransitland für Migranten auf ihrem Weg über das Mittelmeer nach Europa. Seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gadafi im Jahr 2011 versinkt das Land im Chaos. An einen funktionierenden Grenzschutz und eine einsatzfähige Küstenwache ist da nicht zu denken. Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Spiegel" starteten 90 Prozent der Migranten, die sich heuer über das Mittelmeer nach Italien aufmachten, aus Libyen.
Mittlerweile finden sich unter den Menschen, die auf hoher See aus ihren desolaten Booten gerettet werden, nicht nur Afrikaner, sondern auch immer mehr Südasiaten. Bangladescher stellen die zweitgrößte Gruppe dar. Das werten Beobachter als Verlagerung der Flüchtlingsbewegungen von der mittlerweile geschlossenen Balkan- auf die Mittelmeerroute.
Regierung in Rom zunehmend unter Druck
Besonders betroffen ist Italien als Erstankunftsland. Dort gerät die Regierung zunehmend unter Druck. Das Innenministerium in Rom, das im Gesamtjahr 2017 mit mehr als 200.000 Migranten rechnet, macht Druck auf die Gemeinden, um Lösungen für die Flüchtlinge zu finden. Derzeit versorgt Italien 177.000 Migranten. Innenminister Marco Minniti drängt auf eine faire Lastenverteilung der Flüchtlingsversorgung innerhalb Italiens. Einige Regionen würden mehr als andere ihre Pflichten erfüllen, so der Minister. In zahlreichen Gemeinden wächst aber der Widerstand gegen Flüchtlinge, die immer wieder in Gewalt mündet.
Die bereits im Jahr 2015 in der EU beschlossene Flüchtlings-Umverteilung unter allen EU-Staaten funktioniert nicht. Daher versucht Italien über bilaterale Abkommen mit nordafrikanischen Staaten die Situation ein wenig zu entschärfen. Dabei geht es vor allem um Unterstützung beim Grenzschutz und um finanzielle "Belohnung" für jene Staaten, die ihre Staatsbürger wieder zurücknehmen. Der verbesserte Schutz der Außengrenzen ist ebenfalls ein Dauerthema bei sämtlichen EU-Innenministerratstreffen.
EU-Kompromisspapier zur Flüchtlingsverteilung
Der "Spiegel" berichtete in der Vorwoche über ein derzeit von EU-Diplomaten diskutiertes Kompromisspapier, das eine Reform des Dublin-Systems vorsieht. In dem Schreiben wird eine künftige Unterscheidung von drei Phasen lanciert: normaler Flüchtlingszustrom, starker Anstieg und massenhafter Zustrom in einer Krise. Dem Bericht zufolge drängt Deutschland darauf, dass sich möglichst alle Mitgliedsstaaten an der Aufnahme beteiligen. Um das Ländern wie Ungarn oder Polen "schmackhaft" zu machen, sind finanzielle Anreize vorgesehen: Wer über seine Quote hinaus Migranten aufnimmt, soll innerhalb von fünf Jahren 60.000 Euro pro Flüchtling erhalten. Wer jedoch darunter bleibt, soll diesen Betrag an die Gemeinschaft überweisen.
Kurz sieht neben der Bekämpfung der Fluchtursachen in den Herkunftsländern selbst, was auch niemand in der EU ablehnt, die Verstärkung des Schutzes der EU-Außengrenzen als wichtigstes Mittel. Bei seinem Besuch in Libyen Anfang Mai wiederholte der Minister einmal mehr seine Forderungen zur Schließung der Mittelmeerroute für Flüchtlinge. Eine Rettung im Mittelmeer dürfe "nicht mit einem Ticket nach Europa verbunden sein". Flüchtlinge müssten nach der Rettung in Aufnahmelager in Nordafrika gebracht werden, forderte er erneut.
Kurz für Flüchtlingsabkommen mit Ägypten und Tunesien
Flüchtlingszentren in dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Libyen schließt Kurz derzeit wegen der prekären Sicherheitslage aber aus. Er plädiert für Abkommen mit Ägypten und Tunesien. "Es gibt bereits Flüchtlingslager in Libyen, das Problem ist aber, dass viele von Schleppern errichtet worden sind", so der Außenminister. Die Menschen müssten die Schlepper nicht nur für die lebensgefährliche Überfahrt bezahlen, sondern würden auch ausgebeutet und zum Teil zu Zwangsarbeit und Zwangsprostitution gezwungen. "Diese Lager dürfen keinen Platz in Libyen haben", sagte Kurz.
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