Sieben Jahre nach ihrem letzten Auftritt in der Wiener Stadthalle kehrten die US-Rocklegenden KISS mit veränderter Setlist, aber unveränderter Motivation an ihre alte Wirkungsstätte zurück. Sonntagabend zelebrierten 11.000 Fans ein feuriges Rock-Spektakel der alten Schule, das mit wenigen Überraschungen, aber größtmöglicher Souveränität überzeugte. Alte Besen kehren immer noch am besten.
Einsteigen, festgurten und staunen - der Rock-'n'-Roll-Express ist wieder in der Stadt. Fast auf den Tag genau sieben Jahre ist es her, als die US-Rocker KISS das letzte Mal in der Wiener Stadthalle konzertierten. Damals noch, um ihr bislang vorletztes Studioalbum "Sonic Boom" zu präsentieren. Heute, um zu einer audiovisuellen Reise in 44 Jahre Bandgeschichte zu laden, der es nicht an Rekorden und Superlativen mangelt. Was 1973 von ernsthaften Rockfans noch milde belächelt wurde, hat knapp fünf Dekaden später die Musikwelt revolutioniert und den Rest mit Beharrlichkeit, Fleiß und wirtschaftlichem Geschick erobert. KISS sind schon seit jeher mehr Marke als Band und zelebrieren diesen unerreichten Götterstatus der musikalisch unterstützten Betriebswirtschaftslehre mit beeindruckender Vehemenz.
KISS'sches Reinheitsgebot
Doch wenn Gene Simmons, Paul Stanley und Co. alle paar Jahre wieder livehaftig auf der Bühne stehen, werden KISS-Flipper, -Särge und -Luftgitarrensaiten für 105 Minuten ins Eck gekarrt, um der wahren Essenz der Legende gewahr zu werden: ihrem untrüglichen Verständnis für knalligen Hard Rock, dessen oberstes Gebot melodiöse Simplizität ist. Mit jeder neuen Tour wird die Setlist der New Yorker um Nuancen verändert, doch das KISS'sche Reinheitsgebot bleibt stets dasselbe. Man vermische ausladende Pyroeffekte mit prägnanten Kostümen, markanter Schminke und überzogenem Selbstvertrauen und bekommt als Ergebnis der musikchemischen Formel "the hottest band in the world" ins Haus geliefert.
Dieses unfehlbare Rezept würde auch ohne städteüblichen Patriotismus funktionieren. Dass Paul Stanley gegen Ende der Show betont, dass seine Mutter in Wien wohnte und er sich hier zuhause fühlt ist nett, im Endeffekt aber ebenso verzichtbar wie die rot-weiß-rot-lackierten Instrumente der beiden Hauptprotagonisten. KISS haben sich ihren Status über all die Jahre so hart und kompromisslos erarbeitet, dass ihr - zu Teilen geschminktes - Publikum keine zusätzliche Streicheleinheit benötigt. Der KISS-Fan ist so loyal und begeisterungsfähig, wie man es vor einigen Jahrzehnten eben noch war, als man die Lieblingsband aufgrund von Covermotiven und Plattenladenbesitzerempfehlungen kürte und nicht von einer halben Single zur nächsten durch den unendlichen Fundus des digitalen Orbits geschickt wurde.
Routiniert, aber souverän
KISS sind "alive" und "ready" - immer und zu jeder Zeit. Bevor Teufelszunge Gene Simmons das erste Mal zum Feuerspucken kommt, haben sie mit "Deuce", "Shout It Out Loud", "Lick It Up" und "I Love It Loud" schon vier Jahrhundertsongs durch die Halle geschossen. Dass Womanizer Paul Stanley schwach bei Stimme ist, ist nichts Neues und wird heute schon beim zweiten Satz seiner ersten Ansprache deutlich - geschenkt. Oder regt sich jemand auf, dass sich die Rolling Stones bei ihren Livekonzerten regelmäßig verspielen? KISS' Magie hat sich beeindruckend ins 21. Jahrhundert gerettet. Wenn Simmons blutspuckend das Bass-Solo in etwa zehn Meter Höhe spielt, Paul Stanley bei "Psycho Circus" am Steigbügel quer durch die Stadthalle zur Mittelbühne fliegt und Tommy Thayer die Funken aus seiner Sechssaitigen sprühen lässt, hat das immer noch eine juvenile Magie.
KISS sind High-Class-Entertainment in Reinkultur und beweisen an diesem Abend, dass sie ihren Job aus dem Effeff beherrschen. Wer die Show als zu routiniert empfindet, der hätte vielleicht genauer hinhören sollen. Mit "Flaming Youth" packt Stanley einen selten gespielten Klassiker aus der "Destroyer"-Ära aus und mit "Say Yeah" ziehen sie gar einen neueren Song von der "Sonic Boom" aus dem Köcher. Dass man legendäre Klassiker wie "Cold Gin" und vor allem "Love Gun" an diesem Abend nicht spielt, ist schade, aber vertretbar. KISS könnten mit ihrer Vita und ihrem Status aber durchaus mehr Mut und Selbstvertrauen in ihr Spätwerk legen, denn das Songmaterial auf "Monster" und "Sonic Boom" ist viel zu gut, um es auf dieser Tour dermaßen ins Abseits zu stellen. Wenn man bei den Klängen von "Rock And Roll All Nite" im Papierschnipselregen duscht, ist aber auch das völlig egal. Denn dann befindet man sich in einer zuckerlbunten Glückseligkeit, mittendrin im Eskapismus aus dem harschen Alltag. Und stellt mit einem weinenden Auge fest, dass diese Form des Entertainments irgendwann ein Ablaufdatum hat.
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