Um Österreich machten die legendären US-Rocker Aerosmith auch auf ihrer "Aero-Vederci, Baby!"-Tour einen großen Bogen. Viele Fans pendelten daher Freitagabend auf den Münchner Königsplatz, wo Steven Tyler, Joe Perry und Co. vor etwa 22.500 Fans eine beeindruckende Rock-Geschichtsstunde ablieferten, die wenig Wünsche offenließ. In erster Linie aber jene, das Karriereende noch etwas hinauszuzögern und vielleicht auch mal wieder bei uns aufzuschlagen...
Wie ernst soll man selbsterklärte Endszenarien von Bands heute noch nehmen? The Sweet deklarierten schon vor mehr als zwei Jahren unmissverständlich ihre letzte Tour und tingeln seither unaufhörlich durch die Gegend. Status Quo haben "The Last Night Of The Electrics" nur als Verkaufsschlager benutzt, denn selbst nach dem tragischen Tod von Gitarrist Rick Parfitt hat Bandkopf Francis Rossi den Tourkalender bis zum Jahresende vollgestopft. Und Deep Purples "The Long Goodbye"-Tour heißt nicht zufällig so, wie Sänger Ian Gillan in mehreren Interviews verschmitzt anmerkte: "Wir lassen uns nicht umsonst die Tür offen, denn so ein Abschied kann sich wirklich lange rausziehen." Nun sagen also die US-Rocklegenden Aerosmith "Aero-Vederci Baby!" und stoßen damit Millionen Fans in ein Tal der Tränen.
Pension noch nicht nötig
Den Bostonern ist man sogar geneigt zu glauben, schließlich verliefen die letzten Jahre innerhalb der Band nicht friktionsfrei und Managementstreitereien begleiteten das bunte Treiben in ungewollter Konsequenz. Außerdem ist Steven Tyler, auch wenn man es ihm optisch nicht ansieht nächstes Jahr immerhin stolze 70 und der Oldie in der Band, des Tourens und Reisens müde und würde gerne stärker auf die Bremse steigen. Dass er in deutschen Interviews gerne mal ein "man kann nie wissen" anhängt, nährt aber die Fan-Hoffnungen, dass ihre Lieblinge es eingangs erwähnten Rock-Sauriern gleichtun und die Pension auf unbestimmt hinausschieben. Vor allem, wenn sie sich in einer derart beeindruckenden Verfassung wie Freitagabend am Münchner Königsplatz befinden.
Rund 22.500 Fans waren bei der Open-Air-Show am ausverkauften Königsplatz zugegen und bekamen eine unerwartete Lehrstunde in Sachen Rock 'n' Roll serviert. "Let The Music Do The Talking" wurde als Auftaktsong in eine 105-minütige Vergangenheitsreise ausgewählt und war programmatisch, denn Plaudertasche Steven Tyler, wie immer mit allerlei Seidenbändern, Ledermantel, Schmuckutensilien und die mit Lippenstift auf die Hand gekritzelte Aufschrift "Leck mich" bestückt, hielt sich nicht lange mit Zwischenansagen auf, sondern konzentrierte sich darauf, die rare Zeit mit möglichst vielen Hits zu füllen. Derer gibt es nach knapp fünf Dekaden Bandgeschichte zuhauf, ansonsten hätten Aerosmith nicht schon zu Beginn Großtaten wie "Cryin'" (der einzige Schwachpunkt des Abends, als Tyler kurze Textunsicherheiten zeigte), "Livin' On The Edge" oder "Love In An Elevator" aus dem Köcher gezogen.
In der Ruhe liegt die Kraft
Während Tyler - wahlweise singend, wahlweise in bester Mick Jagger-Manier mit seiner Mundharmonika spielend - den souveränen Motivator gab, bildete Silberstreif Joe Perry mit Blues-basierten Soloeinsprengseln und ausufernden Jam-Sessions den Gitarren-Zeremonienmeister, während Bassist Tom Hamilton, Rhythmusgitarrist Brad Whitford und der sichtlich mit Atemproblemen kämpfende Drummer Joey Kramer das tighte Fundament des bunten Treibens boten. Bei so viel Pomp und Trara blieb eben kein Platz zum schnöden Geschichtenerzählen. Dabei fühlten sich Aerosmith meist dann am stärksten an, wenn sie sich in den ruhigen Momenten suhlten und die fulminante Lichtshow zugunsten der Musik auf ein Minimum zurückgedreht wurde.
Etwa wenn Tyler spontan das bislang kaum gespielte "Janie's Got A Gun" in die Setlist einbaute, Tyler und Perry sich bei "Hangman Jury" in einen Rausch spielten oder Letzterer am Mikro unaufgeregt und souverän die beiden Fleetwood Mac-Cover "Stop Messin' Around" und "Oh Well" intonierte. Eine wahre Größe erkennt man auch in den Momenten abseits des Bombasts. Von dort kann die Brücke zu den beiden Enttäuschungen des Abends gelegt werden. Einerseits waren nicht einmal Seitenleinwände aufgebaut, was den hintersten Stehplätzen für einen stattlichen Eintrittspreis wenig Freude und Sicht brachte, andererseits befand sich das Münchner Publikum die meiste Zeit über auf Standby-Schaltung, denn richtig Stimmung kam an diesem lauen Vorsommerabend nur allzu selten auf.
Highlight um Highlight
An Aerosmith selbst lag es nicht, denn die Oldie-Band strafte alle Kritiker Lügen und bot ein fulminantes Spektakel, das weder für Augen noch für Ohren Wünsche offenließ. Das letzte Konzertdrittel war eine einzige Hitstafette, die sich mal nostalgisch-berührend ("Sweet Emotion"), mal geradeaus rockend ("Rag Doll", "Dude (Looks Like A Lady)" und mal hinreißend-paralysierend ("Dream On" mit Tyler am Piano als absolutes Highlight dieses Abends) zeigte. Das funkige "Walk This Way" samt Konfettiregen und inflationären Stroboskopeinsatz bildete den ausladenden Schlusspunkt einer Show, die in dieser Form alles andere als nach Karriereende riecht.
Mögen sich die wackeren Fünf ihren finalen Schritt noch einmal gründlich überlegen, denn im Gegensatz zu vielen anderen Bands riecht ein Aerosmith-Auftritt noch lange nicht nach modriger Musikergruft - ebenso wenig wie die 40-Jahre-Bandgeschichte feiernden Foreigner, die im Vorprogramm mit Songs wie "Cold As Ice", "Urgent", "Juke Box Hero" oder "Hot Blooded" einen eigenen Headliner-Slot verdient hätten.
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