Sie ist das neue - weibliche - Gesicht der Männerbastion ÖVP: Im "Krone"-Interview mit Conny Bischofberger spricht Generalsekretärin Elisabeth "Elli" Köstinger über Härte und Sanftmut, ihren Kärntner Humor und Politik unter der Gürtellinie.
Samstag 11 Uhr, wir sind zu einem späten Frühstück im "Daily" des Wiener Museumsquartiers verabredet. Köstinger erscheint in einem pinkfarbenen Sakko, dazu trägt sie eine zarte Kette und ihr strahlendes Lächeln. Der Startschuss zum Amtsantritt als neue Generalsekretärin von Sebastian Kurz war eine "Sex-Bombe", die ein Wiener SPÖ-Bezirksrat auf Facebook zündete. Götz Schrage verglich die Politikerin dort allen Ernstes mit seinen Bettgefährtinnen aus den Achzigerjahren - er hat bis Montag Zeit zurückzutreten.
Im "Krone"-Interview ist Köstinger kein Thema zu heikel, und als ein Augustin-Verkäufer an den Tisch kommt, hat sie auch ihm was zu sagen. "I hob leida scho ane!", entschuldigt sie sich bei dem Mann und zaubert ein Lächeln auf dessen Gesicht.
"Krone": Frau Köstinger, was dachten Sie sich, als Sie das Posting gelesen haben, über das jetzt alle reden?
Elisabeth Köstinger: Ich war ehrlich schockiert. Mein erster Gedanke war: Wie muss das für meine Familie und auch für meinen Freund sein? Ich hatte schon damit gerechnet, dass man länger als nur 24 Stunden persönlichen Schutz genießt, ich empfand es als Angriff auf mein Frausein. Aber Herr Schrage scheint verstanden zu haben, dass es sehr verletztend war, er hat sich auf Facebook entschuldigt und das Posting gelöscht. Deshalb ist der Fall für mich erledigt.
Wenn er jetzt zu uns an den Tisch käme, was würden Sie ihm sagen?
Ich bin ja auch in den sozialen Medien aktiv, aber der oberste Grundsatz sollte doch der respektvolle Umgang sein. Schreibe nie etwas, was du deinem Gegenüber nicht auch persönlich ins Gesicht sagen würdest. Denn hinter jedem Namen steckt eben ein Gesicht, ein Mensch mit Gefühlen, eine Familie, die man mitverletzt. Das würde ich ihm sagen: Dass man zuerst denken sollte und dann erst schreiben. (Lacht.) Und dass Sexismus im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr hat.
Ist Versöhnlichkeit eine gute Strategie?
Ich bin eben jemand, der das Verbindende vor das Trennende stellt, der in der Sache gerne sehr hart diskutiert, dabei das Gegenüber aber immer sehr wertschätzt. Das ist der Anspruch, den auch ich an meine Politik lege.
Soll Schrage zurücktreten?
Das sollen die SPÖ-Gremien entscheiden, das ist nicht mein Problem.
Eva Glawischnig hat bei ihrer Abschiedsrede "politische und mediale Aggressivität" bemängelt, geben Sie ihr da recht?
Absolut. Auch der Rücktritt von Reinhold Mitterlehner hat gezeigt, dass der Politik über weite Strecken die konstruktive Note fehlt. Mich persönlich hat das sehr berührt, was Eva Glawischnig da ausgesprochen hat. Ich verfolge ihre Politik schon über sehr viele Jahre, und obwohl ich mit ihren politischen Ansichten oft sehr wenig anfangen konnte, hat sie mir als Persönlichkeit und als Frau immer imponiert. Aus diesem System, das ist auch der Anspruch von Sebastian Kurz, müssen wir ausbrechen. Wenn wir es als junge Generation nicht tun, dann geht das Ansehen der Politik verloren. Dass man harte Auseinandersetzungen führen muss, ist klar, aber diese dürfen ein gewisses Niveau nicht unterschreiten.
Haben Sie eine dicke Haut?
Ja!
Die dickste Haut haben angeblich Elefanten, gefolgt von Wildschweinen. Wie dick ist Ihre?
Sie liegt irgendwo dazwischen. Ich bringe eine gewisse Sanftmütigkeit und auch sehr viel Empathie mit, weil mir Gefühle von anderen sehr wichtig sind. Aber ich habe auch ein Temperament, das man nicht unterschätzen sollte, und wenn ich von etwas überzeugt bin, dann packe ich das an und setze es durch.
Also ein sanftmütiger Elefant, der schnell in den Kampfmodus gehen kann?
Das gefällt mir. So war es ja auch, als ich die Saatgutverordnung im Europaparlament vom Tisch gewischt habe.
Mit welchen drei Eigenschaften haben Sie sich in der Männerbastion ÖVP durchgesetzt?
Erstens das Anpacken. Ich komme aus ehrenamtlichen Jugendorganisationen, das hat mich persönlich sehr geprägt. Auch meine bäuerliche Herkunft. Das Feld liegt vor dir und jetzt bestell es! Scheu dich nicht davor, dir die Hände schmutzig zu machen. Zweitens habe ich eine sehr große Leidenschaft zu gestalten und zu verändern. Und drittens: Loyalität.
Wem gegenüber?
Meinen Freundinnen, die mich schon sehr viele Jahre begleiten und die ein wichtiges Korrektiv für mich sind. Aber auch gegenüber meinen Freunden im politischen Bereich.
Wann und wie haben Sie Sebastian Kurz kennengelernt?
Das war vor neun Jahren in Wien. Er war frisch gewählter Obmann der Jungen ÖVP, ich war Bundesobfrau der Jungbauernschaft. Seit damals teile ich das politische Engagement mit ihm, wir verstehen uns aber auch auf einer persönlichen Ebene sehr gut und gehen freundschaftlich miteinander um.
Mal in seinem Geilomobil mitgefahren?
Nein, nie. (Lacht.) Aber genau solche Dinge sind in einer Biographie auch wichtig. Jemand, der nicht irgendwann einmal einen Fehler macht, wäre ja total unglaubwürdig. Wichtig ist, sich aus so was wieder heraus- und weiterzuentwickeln.
Was schätzen Sie am allermeisten an ihm?
Seinen Mut und das Leadership, das er an den Tag legt. Wir arbeiten zurzeit ja sehr intensiv an unserem Programm. Es wird Österreich-Gespräche geben, es wird thematische Positionierungen geben zum Thema Wirtschaftsstandort, im Sozialbereich und bei der Migration.
Kurz lasse im Mittelmeer Flüchtlinge ertrinken, lautet der Vorwurf der politischen Gegner. Was antworten Sie denen?
Das Gegenteil ist der Fall. Die Flüchtlinge ertrinken ja leider, weil es diese Möglichkeit gibt, dass Schlepper sie aufs Meer ziehen und dann dort ihrem Schicksal überlassen. Der Anspruch von Sebastian Kurz ist es, das zu stoppen. Es ist falsch zu glauben, wir könnten so weitermachen wie bisher. Wir müssen genau dieses Schlepperwesen bekämpfen und wir müssen den Menschen vor Ort eine Perspektive geben.
Aber 6,6 Millionen bleiben eben nicht vor Ort, sondern machen sich derzeit auf den Weg nach Europa.
Das muss uns Warnung sein und zum Handeln auffordern. Da hat sich Sebastian Kurz auch auf europäischer Ebene einen Namen gemacht. Weil er Lösungen in dieser Migrations- und Flüchtlingsbewegung benennt.
Kurz Kanzler, Kern Wiener Bürgermeister, Köstinger Landwirtschaftsministerin einer schwarz-blauen Koaliton, wie gefällt Ihnen dieses Szenario?
Sebastian Kurz als österreichischer Bundeskanzler kann ich mir sehr gut vorstellen.
Und der Rest?
Ist Zukunftsmusik. Sicher ist, dass sich Kurz die besten Köpfe aussuchen wird - und nachdem er mich in eine Schlüsselposition gebracht hat, zähle ich wohl dazu.
Haben Sie sofort Ja gesagt oder mussten Sich sich erst überlegen, ob Sie in den sauren Apfel beißen?
Ich hatte ein bisschen Bedenkzeit, war aber ohnehin überzeugt, dass ich das mache. Ich bin ja auch durch meine Arbeit an der Politischen Akademie sehr stark mit Sebastian Kurz verbunden und kenne seine Ideen und seinen Stil. Also: Der Apfel ist nicht sauer.
Wie schmeckt die ÖVP?
Ich würde sagen wie ein Ontario-Apfel. Das ist eine alte Obstsorte, die man selten findet. Keine Einheitssorte wie Pink Lady. Robust und beständig, aber unglaublich frisch im Geschmack. Und im Keller sehr lange haltbar.
Was können Sie besser als Werner Amon?
Ich glaube, ich verkörpere eine andere Art von Politiker. Die Zeiten haben sich geändert und auch die Gesellschaft hat einen anderen Anspruch an die Politik. Sie will sich wiederfinden und sie will Antworten. Das hat aber nichts mit besser oder schlechter zu tun.
Eine Rüge haben Sie auch schon am Hals. Gabriele Heinisch-Hosek versteht nicht, warum Sie sich als Frau nicht zu einer Frauenquote durchringen können.
Das kann ich ihr erklären. Eine Quote allein ist noch keine Frauenpolitik. Da gehört mehr dazu als nur Zahlen festzuschreiben. Wir haben uns bewusst für ein Reißverschlusssystem entschieden, weil gerade in einer Volkspartei diese 50 Prozent der Bevölkerung abgebildet sein müssen. Ich werde Frauen aus voller Überzeugung auf allen Ebenen immer fördern, aber jede Frau soll selbst entscheiden können, ob sie Mutter sein will oder Vorstandsvorsitzende.
Kritik ernten Sie auch, weil Sie auf Ihr Gehalt als EU-Abgeordnete nicht verzichten wollen.
Ich werde nur ein Gehalt beziehen. Europa ist meine Heimat. Ich würde das Europaparlament nur mit sehr, sehr schwerem Herzen verlassen.
Heißt das, Sie wollen EU-Parlamentarierin bleiben?
Genau. Und es geht sich auch aus. In Zeiten der Vernetzung und Digitalisierung darf das kein Problem mehr sein. Außerdem habe ich mit Axel Melchior einen Geschäftsführer in der Volkspartei, der viel Organisatorisches übernehmen wird.
Sie sind auf einem Bauernhof aufgewachsen. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie zurückdenken?
An die Tiere. Vor allem an unsere Milchschafe. Die Herde zusammenzuhalten war immer eine Herausforderung. Ich hab' jedes einzelne der 120 Schafe in den Stall gebracht. Ohne Hund!
Wo sehen Sie sich in zwölf Jahren? Da sind Sie 50.
Das ist eine schwierige Frage, weil ich nie lange vorausplane. Ich weiß nur, dass ich auch in zwölf Jahren sehr glücklich sein werde. Wahrscheinlich in Kärnten, weil da mein Wurzeln sind und weil das immer meine Heimat bleiben wird.
Wie können Sie sich des Glücks so sicher sein?
Ich ändere das, was nicht passt, sehr schnell, und mache mir darüber hinaus relativ wenig Sorgen.
Was soll man in 30 Jahren einmal über Elli Köstinger sagen?
Die hat sich echt was getraut.
Zur Person
Geboren am 22.11.1978 in Wolfsberg, aufgewachsen auf einem Bauernhof in St. Paul im Kärntner Lavanttal, den heute ihre um zwei Jahre jüngere Schwester Martina führt. Der kleine Bruder starb mit zehn Jahren an einer Stoffwechselerkrankung. Abgebrochenes Publizistik-Studium, politisch aktiv seit 1995 (Landjugend, Jungbauern), ÖVP-Mitglied seit 2007, Mitglied des Europäischen Parlaments seit 2009, Präsidentin des Ökosozialen Forums Europa. Am Mittwoch ernennt Sebastian Kurz die 38-Jährige zur neuen ÖVP-Generalsekretärin.
Interview: Conny Bischofberger
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